Wird die Saison 2023/24 einen neuen Meister bringen?
In dieser Ausgabe von «Pro und Contra» geben Nicola Berger und Michael Krein Antwort auf die Frage, ob die Saison 2023/24 einen neuen Meister bringen wird.
Ja
Von Michael Krein, SLAPSHOT-Autor, Blogger und MySports-Kommentator
Ein Schweizermeister aus der Westschweiz?
Nie und nimmer hätte ich dies im vergangenen Frühjahr für möglich gehalten. Ein Meister ausserhalb des Trios Bern, Zug und Zürich schien so unwahrscheinlich wie der Mauerfall zu Berlin. Apropos DDR, zwischen 1970 und 1990 teilen sich die einzigen beiden Meisterschaftsteilnehmer Dynamo Berlin (heute Eisbären) und Dynamo Weisswasser den Ostdeutschen Meistertitel.
In der Schweiz teilen sich in einer gleich langen Zeitspanne, zwischen 1999 und 2019 nur die vier Teams Bern, Davos, Lugano und Zürich den Meistertitel. Die National League gehört, wie man sagt, zwar zu den attraktivsten Ligen ausserhalb der NHL, verkommt in dieser Phase aber auch zur langweiligsten Liga der Welt.
Am 27. April 2023 schreibt der Genève-Servette HC die Geschichtsbücher um. Ausgerechnet Genève-Servette, als achtfacher Vizemeister praktisch «unmeisterbar», versagen die Servettiens zwischen 1966 und 1971 fünfmal innert sechs Jahren und landen immer auf dem ersten Verliererplatz, dies wiederholt sich im Playoff-Zeitalter noch dreimal. Eigentlich ist Genf damit «unmeisterbar» und dies macht den Titel 2023 zu einem Wunder.
Servette eliminiert damit eine 50-jährige meisterlose Geschichte der Romandie. Der «Fluch der Romandie» um die meisterlose Westschweiz ist damit aufgehoben und beendet das «Verlierer-Image» der Welschen, gleichzeitig öffnen sich innerhalb der National League neue Gezeiten.
Diese Gezeiten setzen einen Kreis von neuen Meisterkandidaten frei. Kann nun jeder Meister werden? Auch Freiburg-Gottéron oder der HC Ambrì-Piotta?
Nach Genfs Wunder scheint alles möglich und der Kreis von neuen Meisterkandidaten ist erweitert worden. Zu diesem Kreis gehören der EHC Biel, Fribourg-Gottéron und der HC Lausanne.
Vizemeister Biel, welches schon drei Meistertitel im Vor-Playoff-Zeitalter in seinem Palmarès verzeichnen kann, hat seine Mannschaft noch verstärkt und ist noch besser einzustufen als im letzten Jahr. Das neue Trainerduo Petri Matikainen/Juha Vuori holte in der internationalen, österreichischen Liga 2021 gemeinsam den Meistertitel und weiss wie man einen Titel gewinnt.
Freiburg-Gottéron, welches schon viermal im Final gescheitert ist, verfügte schon im letzten Jahr über ein Kader welches um den Finaleinzug hätte spielen können. Findet Christian Dubé in dieser Spielzeit die ideale Mischung und die meisterliche Chemie, dann ist der lang ersehnte Titel endlich greifbar.
Lausanne, als absoluter Aussenseiter im Kreis der neuen Meisterkandidaten, welches in der letzten Spielzeit mit einem Top besetzen Kader nie die wahre Spielstärke entfachen konnte, nun aber für ein neues Wunder am Lac Léman sorgen könnte.
Feiert die Hockey-Schweiz im Frühjahr 2024 einen weiteren Premierenmeister? Dies scheint so unmöglich wie ein Genfer Meistertitel oder der Mauerfall zu Berlin.
Nein
Von Nicola Berger, SLAPSHOT-Autor und NZZ-Redaktor
Die Saison 2022/23 mit den Finalisten Servette und Biel hat gezeigt, dass Parität in dieser Liga mehr als ein billiges Schlagwort ist. Und für die Prosperität der Liga ist es eine prächtige Sache, dass der Meister nicht jedes Jahr Bern, Zürich, Davos oder Lugano heisst. So wie das im 21. Jahrhundert lange Usus war.
Von den Teams, die im Playoff-Zeitalter noch nie Meister waren, darf man Ajoie, Ambri und die SCL Tigers ohne schlechtes Gewissen ausklammern – die Ambitionen und Realitäten liegen in diesen Dorfklubs anderswo.
Aber neben dem Finalisten Biel haben inzwischen auch Gottéron und Lausanne grundsätzlich die finanziellen Voraussetzungen, um Meister zu werden. Die Lakers sind daran, sie zu schaffen, auch wenn bis an die absolute Spitze noch ein paar Franken fehlen.
Insgesamt braucht es viel Fantasie, um sich eines dieser vier Teams 2023/24 als Champion vorzustellen. Lausanne ist nach sehr chaotischen Jahren mit ebenso aufwändigen wie teuren Aufräumarbeiten beschäftigt.
Vielleicht Biel, wenn die Schlüsselspieler einen zweiten Winter lang von Verletzungen verschont bleiben und Petri Matikainen den richtigen Ton trifft. Aber die Abnabelung von Antti Törmänen und eine lange, auch emotional erschöpfende Saison werden ihre Spuren hinterlassen.
Womöglich Gottéron, wenn Reto Berra im Playoff in der Form seines Lebens ist, die Ausländer einschlagen und Christian Dubé ein paar Geistesblitze hat. Aber Fribourg hat sich mit dem Doppelmandat der letzten drei Jahre wirklich keinen Gefallen getan.
Die Lakers, wenn Roman Cervenka ein weiteres überirdisches Jahr abliefert und Stefan Hedlund eine Taktik ausknobelt, an welcher die gegnerischen Offensiven zermürben und Melvin Nyffeler den Frühling seines Lebens spielt? Aber die letzte gewonnene Playoff-Serie datiert von 2006. Und im Kader hat es aktuell keinen einzigen Schweizer WM-Spieler.
Ausschliessen kann man die Titelszenarien der Underdogs nicht, das ist ja die Schönheit am Sport. Zumindest in jenen Ligen, in denen man sich die Titel nicht einfach kaufen kann (hallo, europäischer Fussball).
Nur: Selbst wenn für diese drei Herausforderer alles perfekt läuft – das ist die Grundvoraussetzung – reicht es wohl nicht, um die drei grossen Meisterschaftsfavoriten zu überflügeln: Den Titelhalter Servette mit seinem spektakulären Ausländersextett.
Das wiedererstarkte, smart gecoachte Zug, bei dem keine Schwächen zu erkennen sind.
Den ewigen Krösus ZSC Lions, der seinen exquisiten Kader mit Denis Malgin veredelt hat und auf mehreren Ausländerpositionen überfällige Wechsel vorgenommen hat.
Es wäre eine kleine Sensation, würde es sich beim nächsten Meister nicht um eines dieser drei Teams handeln. Wobei wir das bei den ZSC Lions jedes Jahr sagen. Und dieses Team trotz allen Investitionen, Möglichkeiten und fast unlimitiertem Potenzial in den letzten neun Jahren nur einen einzigen Titel geholt hat.