Die Schweizer in der neuen NHL-Saison
Thomas Roost ist seit 1995 NHL-Scout für den zur NHL gehörenden Central Scouting Service. Im Slapshot-Artikel analysiert er die NHL-Schweizer.
Das Ausgangsszenario für die Schweizer Spieler Roman Josi (Nashville Predators) und Nico Hischier, Timo Meier und Jonas Siegenthaler (alle New Jersey Devils) hat sich im Sommer markant verändert. Beide Franchises, die Predators und die Devils, gehören zu den Gewinnern im Sommer-Trade- und Free-Agent-Markt.
Dies ist bei den New Jersey Devils nicht überraschend. Was hingegen bei Nashville in diesem Sommer «abgegangen» ist, hat schon sehr positiv überrascht. Bleiben wir bei den Devils: Sie hatten in der vergangenen Saison ein Goalieproblem und Verletzungssorgen.
Die verletzten Spieler sind jetzt wieder fit, und das Goalieproblem wurde (hoffentlich) durch den Zuzug von Jakob Markström behoben. Zudem haben sich die Devils in den hinteren Reihen bei den Ergänzungsspielern smart verstärkt.
Bei Nashville war der Paukenschlag die Verpflichtung der Tampa-Legende Steven Stamkos, aber auch der Zuzug von Jonathan Marchessault von Vegas hat hohe Wellen geschlagen. Der langen Worte kurzer Sinn: Die Nashville Predators und die New Jersey Devils gehören jetzt zum erweiterten Contender-Kreis auf den Stanley Cup.
Bei den meisten anderen Franchises mit Schweizer Spielern kann ich weder eine markante Verbesserung noch eine Verschlechterung erkennen. Die LA Kings (Kevin Fiala), die Winnipeg Jets (Nino Niederreiter), Tampa Bay Lightning (J.J. Moser), die Vancouver Canucks (Pius Suter) und die Dallas Stars (Lian Bichsel) schätze ich in etwa gleich stark ein wie letzte Saison, d.h. bei Winnipeg und Vancouver bin ich etwas unsicher, ob sie mit dem aktuellen Kader die letztjährige Performance bestätigen können.
Die Chicago Blackhawks (Philipp Kurashev) und die Montréal Canadiens (Connor Hughes) werden spürbar besser sein, aber wahrscheinlich noch nicht gut genug für die Playoffqualifikation.
Lian Bichsel, Verteidiger, Dallas Stars
Lian Bichsel ist ein sehr wertvolles «Asset» in der Dallas Stars-Pipeline. Mit seinem physischen Spielstil und den langen Hebeln passt er exakt ins Anforderungsprofil, um das starke Dallas-Roster perfekt abrunden zu können. GM Jim Nill denkt, dass betreffend Finetuning die Dallas Stars noch etwas böser werden sollten.
Kurzfristig denke ich, dass Lian Bichsel ein Lehrjahr in der AHL absolvieren wird, weil er aktuell noch in der Positionshierarchie hinter Brendan Smith rangiert, und dies würde für ihn nur marginale Eiszeit oder Press-Box-Aufgebote bedeuten.
Dies ist aber Gift für seine Weiterentwicklung, und deshalb glaube ich, dass er die Saison in der AHL in Angriff nehmen wird. Es würde mich aber nicht überraschen, wenn er den besagten Brendan Smith bereits während der laufenden Saison früher oder später überholen würde.
Bichsel hat im Rookie-Camp noch nicht so ganz überzeugt, dafür aber in den ersten Tagen des Pro-Camps positive Spuren hinterlassen.
Nico Hischier, Stürmer, New Jersey Devils
Nico Hischier hat sich bereits im jungen Alter als einer der besten Zweiwegcenter in der NHL etabliert und wäre da nicht Sasha Barkov von den Florida Panthers, dann wäre Nico Hischier der Favorit auf die Selke Trophy, die Trophäe für den besten Defensivforward. Er hat sich sehr schnell auch zu einem Faceoff-Spezialisten entwickelt, was als Center schon fast unabdingbar ist.
Sein diesbezüglich statistischer Wert von 56,6 Prozent in der letzten Saison ist absolut top. Nico ist sehr stolz auf seine Qualitäten, die die Zuschauer nicht unbedingt von den Sitzen reissen, aber unglaublich wertvoll sind für das Team. Nico ist aber kein reiner Defensivcenter, er versteht es sehr gut, auch wertvolle Offensive zu produzieren.
Mit knapp 30 erzielten Toren im Durchschnitt in den letzten beiden Saisons hat er gezeigt, dass er ein kompletter Center auf allerhöchstem Niveau ist. Seine Schussquantität ist in der letzten Saison etwas gesunken und in diesem Bereich wünsche ich mir, dass er wieder ein wenig opportunistischer spielen wird, dies würde dazu führen, dass er erneut 30 Tore und insgesamt fast einen Skorerpunkt pro Spiel erzielen wird.
Connor Hughes, Goalie, Montréal Canadiens
Die kurzfristige Zukunft von Connor Hughes liegt wohl in der AHL, denn die Habs sind mit Sam Montembeault und Cayden Primeau auf der Goalieposition solide aufgestellt. In der AHL muss Connor Hughes zuerst noch Jakub Dobes verdrängen, dies liegt aber sicher im Bereich des Möglichen.
Mittelfristig steht ihm wohl auch noch der 19-jährige Jacob Fowler vor der Sonne, der eines der grössten Goalietalente in der NHL ist. Ich persönlich bin ein Fan von Connor Hughes und habe mich riesig für ihn gefreut, dass ihn die Montréal Canadiens unter Vertrag genommen haben.
Er verkörpert in vielen Belangen den modernen NHL-Goalie, und ich bin überzeugt, dass er die tiefen Erwartungen in Montréal übertreffen wird. Ich denke, dass er Jakub Dobes als die Nr. 3 herausfordern kann und falls Montembeault und/oder Primeau mal verletzt sind oder zu wenig gut performen, wer weiss?
Pius Suter, Stürmer, Vancouver Canucks
Pius Suter wurde von den Detroit Red Wings verabschiedet und die Vancouver Canucks haben dankend angenommen und ihn für 1,6 Mio pro Jahr bis 2025 unter Vertrag genommen. Schon bald hat sich gezeigt, dass dies für die Canucks ein wahres Schnäppchen darstellt.
Pius Suter gehört in der Form der letzten Saison zu den meist unterbezahlten Spielern. Dank seiner Intelligenz ist er sehr vielseitig einsetzbar und performt sofort in unterschiedlichen Rollen, sei es als Defensivcenter, Flügel, im Boxplay oder auch im Powerplay.
Wenn man Suter zuschaut, fällt es schwer, irgendeinen Flash, eine klare Stärke zu erkennen, d.h. bei nur oberflächlicher Begutachtung wird er definitiv unterschätzt. Okay, wenn ich seinen PDO-Wert von 104,8 heranziehe, müssen wir auch vorsichtig sein hinsichtlich den Skoringerwartungen in der neuen Saison.
Trotzdem, Pius Suter ist ein vielseitig einsetzbares Schnäppchen, ein perfekter Allrounder, «a coaches dream». Wenn er ähnliche Leistungen wie in der letzten Saison abliefert, winkt ihm im nächsten Vertrag eine fette Lohnerhöhung. Verdient hätte er sie!
Roman Josi, Verteidiger, Nashville Predators
Wer hätte das gedacht? Ich habe bereits geglaubt, dass die Stanley Cup-Träume des Roman Josi in Nashville begraben sind, denn noch vor einem Jahr hatten die Predators den klaren Rebuild-Stallgeruch. Mit einem Kraftakt sondergleichen haben die Predators die Playoffs dann doch noch geschafft, ohne aber realistische Chancen auf viel mehr zu haben.
In diesem Sommer hat alles gekehrt. GM Barry Trotz hat die Verpflichtung der Tampa-Legende Steven Stamkos aus dem Hut gezaubert und mit Jonathan Marchessault von den Vegas Golden Knights nachgedoppelt.
Zudem konnte mit Stargoalie Juuse Saros verlängert werden, und in der Defensive haben die Predators ebenfalls stabilisierende Zuzüge vermelden können.
Roman Josi ist als Captain das Gesicht der Nashville Predators und bestätigt Saison für Saison seine Exzellenz. Er ist mit Ausnahme von Cale Makar und Quinn Hughes betreffend Rushes unerreicht. Josi ist ein exzellenter Skater und Passeur, und ich habe den starken Eindruck, dass er sich in der letzten Saison in der Defensive noch einmal verbessert hat.
Es ist eine wahre Freude, Roman Josi beim Eishockey zuzuschauen: Die Leichtigkeit des Seins und ich erkenne beim 34-Jährigen auch noch keinerlei Anzeichen eines Leistungsabbaus.
Philipp Kurashev, Stürmer, Chicago Blackhawks
Philipp Kurashev hat in der vergangenen Saison positiv überrascht und sich einen Platz an der Seite des kanadischen Jahrzehnte-Talents Connor Bedard erkämpft und auch darum seinen bisherigen Skoringbestwert mehr als verdoppelt.
Kurashev hat viele seiner Tore nach Rebounds erzielt; irgendwie hat er eine Nase hierfür, wenigstens in der abgelaufenen Saison hat er es bewiesen.
Dies bedeutet aber nicht, dass er auch in dieser Saison in Bedards Linie auflaufen wird; zu viel haben die Chicago Blackhawks theoretisch zum Positiven verändert. Somit werden auch die Karten betreffend Linienzusammenstellungen neu gemischt.
Aber wir dürfen Kurashev nicht unterschätzen, er hat jüngst gute Fortschritte erzielt und mit Bedard gut harmoniert. Seine Fähigkeit, sich in der offensiven Zone «open» zu positionieren ist positiv auffallend. Ich denke, dass er sich skoringmässig bei etwas mehr als 40 Punkten einreihen wird.
Kevin Fiala, Stürmer, Los Angeles Kings
Kevin Fiala wurde in einem Trade für das eher unscheinbare Verteidigertalent Brock Faber von Minnesota nach LA geholt. Brock Faber hat sich in Minnesota unglaublich entwickelt und somit könnte man meinen, dass die Kings den Trade bereits bereuen – tun sie aber nicht.
Dies liegt an den Leistungen von Kevin Fiala, der in LA mehr oder weniger alles Positive bestätigt, was man sich von ihm versprochen hat. Seine Stärken liegen sehr klar in der Offensive, und er hat mit Center Philip Danault und dem Flügel Trevor Moore gut passende Komplementärspieler gefunden, die ihn defensiv absichern und in der Offensive tanzen lassen.
Fialas Dynamik und die positive Frechheit in seinem Spiel sind selten gesehene «Assets» bei Schweizer Eishockeyspielern. Ein Spieler mit Ecken und Kanten, vor allem aber mit einer herausragenden individuellen Klasse. Ich erwarte von ihm ca. einen Skorerpunkt pro Spiel bei ungefähr 30 erzielten Toren.
Timo Meier, Stürmer, New Jersey Devils
Die Erwartungen an Timo Meier waren nach dem Wechsel zu den Devils riesengross, dies nicht nur wegen seinen Topleistungen in San Jose, sondern auch aufgrund seines stolzen neuen Vertrages, der ihm jährlich 8,8 Mio. einbringt. Timo Meier tat sich am Anfang etwas schwer mit dieser Last, und er provozierte damit bereits erstes Murren im Umfeld der Devils.
Im letzten Saisonviertel hat aber unser Schweizer Powerforward gezeigt, dass die hohen Erwartungen an ihn gerechtfertigt waren. In den letzten 26 Spielen hat er 18 Tore und 12 Assists gebucht. Timo Meier ist ein untypischer europäischer Forward, er spielt sehr nordamerikanisch, mit Wucht, direktem Weg zum Tor und wählt die Schussoption so oft wie kaum ein anderer NHL-Forward.
Wenn ein wenig Kritik angezeigt ist, dann ist es die, dass er diese erstaunliche Schusskadenz aus den Sharks-Zeiten bei den Devils noch nie ganz bestätigen konnte.
Eventuell ist dies auch einem anderen Spielsystem geschuldet doch hoffe ich trotzdem, dass Timo Meier seine Anzahl Schüsse aufs Tor wieder erhöhen kann. Ich traue ihm in dieser Saison 30 Tore und 25 Assists zu.
Janis Jérôme Moser, Verteidiger, Tampa Bay Lightning
JJ Moser ist einer der Spieler, der uns im NHL Central Scouting Europe Team stolz macht, denn er wurde von uns schon seit jeher für den Draft empfohlen und letztlich hat uns Arizona – jetzt Utah – auch erhört. JJ Moser hat sich in jedem Jahr gesteigert und damit eine hohe Lernfähigkeit bewiesen.
Er ist ein guter Puck-Mover, hat ordentliche Puck-Skills, skatet gut und zeigt immer wieder, dass er ein smarter Spieler mit einer tiefen Fehlerquote ist. Es wird interessant sein zu sehen, wo sich Moser bei Tampa in der internen Verteidigerhierarchie einreihen wird.
Ich traue ihm zu, dass er einen Platz im zweiten Powerplay-Unit erkämpfen kann. Moser ist für viele in der NHL noch immer ein eher unbeschriebenes Blatt, was in vielen Beurteilungen auch dazu führt, dass Utah als Sieger im Sergachev-Trade erklärt wird, in dem JJ Moser und Conor Geekie plus zwei Draftpicks in Tampa landeten. Ich denke, Moser wird auch in NHL-Kreisen teilweise noch immer ein wenig unterschätzt.
Persönlich bin ich der Meinung, dass der Trade von Tampa sehr smart war. Falls JJ Moser es schafft, noch zusätzliche Muskelkilos anzusetzen und somit stabiler in den Puckbattles entlang der Bande, in den Ecken und im Slot wird, dann wird Tampa viel Freude am 24-jährigen Schweizer haben.
Nino Niederreiter, Stürmer, Winnipeg Jets
Nino Niederreiter gehört ebenfalls in die Kategorie der Power Forwards. Er ist bei den Winnipeg Jets zufrieden aufgehoben. Nicht alle NHL-Spieler zählen Winnipeg zu den Destinationen, in denen sie unter Vertrag sein wollen. Nino schätzt aber die Blue Collar Atmosphäre mit den treuen, loyalen Fans.
Unser kräftiger Powerforward hoffte in Winnipeg auf eine mehr skoringorientierte Rolle, fand sich aber mit Appleton und Lowry in der dritten Linie wieder. Diese Linie harmonierte sehr gut und produzierte stolze 59,1 Prozent «expected goals» bei 5-gegen-5.
Andererseits hat sich die Eiszeit von Nino reduziert. In dieser Saison werden aber die Karten neu gemischt und Nino erhofft sich dadurch sicher auch wieder eine Chance, mehr in einer Skoringlinie auflaufen zu können. Diese Hoffnung nährt sich auch dadurch, weil die Jets doch einige namhafte Abgänge zu verkraften haben
Nino Niederreiter hat gute Instinkte und positioniert sich meist vorteilhaft in der offensiven Zone, hat guten so genannten «Net Drive» und spielt mit einer physischen Note. Zudem ist er gefährlich mit seinen Aktionen mit dem Puck hinter dem Tor. Ich denke, dass er eine achte Saison mit mindestens 20 Toren erreichen kann. Ja, bereits sieben 20-Tore Saisons darf er sein Eigen nennen. Respekt!
Akira Schmid, Goalie, Vegas Golden Knights
Akira Schmid hatte eine schwierige letzte Saison bei den New Jersey Devils. Nach seinen überragenden Leistungen in den Playoffs gegen die New York Rangers in der vorherigen Saison galt er auf der Goalieposition als Hoffnungsträger bei den Devils.
Leider konnte er die in ihn gesetzten Hoffnungen nicht erfüllen. Die Devils litten grundsätzlich neben Verletzungen unter einem Goalieproblem, so dass es nicht verwunderlich war, dass sie sich auf dieser Position für die neue Saison fast komplett neu aufgestellt haben. Ein Opfer davon war Akira Schmid, der nach Vegas getradet wurde.
Erfreulich ist aber, dass er in einem neuen Umfeld eine neue Chance bekommt, sich als potenzieller NHL-Goalie zu beweisen. In Vegas ist er aktuell die Nummer 3 in der Goalie-Hierarchie und sollte der physisch und psychisch angeschlagene Robin Lehner wider Erwarten zurückkommen, startet Akira Schmid als Nummer 4.
Als positiv für Schmid erachte ich, dass meiner Meinung nach die Nummer 2 Ilya Samsonov bisher nicht bewiesen hat, ein valabler NHL-Goalie zu sein. Sein Problem ist wie bei Akira Schmid in der letzten Saison die mangelnde Leistungskonstanz. Grundsätzlich hat Akira Schmid viele erfolgsversprechende Goalie-Elemente in seinem Repertoire und dies macht Hoffnung.
Jonas Siegenthaler, Verteidiger New Jersey Devils
Jonas Siegenthaler spielte eine überragende Saison 2022/23 – und dies in der Rolle eines zuverlässigen Defensivverteidigers. Auch gemäss wichtigen Advanced Stats hat er brilliert. Leider konnte er diese grossartige Leistung in der letzten Saison nicht bestätigen.
Vielleicht war er auch ein Opfer der allgemein verunsicherten Devils, die von Verletzungen und unsteten Goalieleistungen geprägt waren. Siegenthaler ist ein «no nonsense»-Verteidiger mit guter Reichweite, solidem Spiel und erstaunlichem Skating für einen Spieler mit seiner Körpergrösse.
Gegenüber früher hat er sich auch im schnellen Erkennen von Spielsituationen verbessert (Kopfspeed). Ich wünsche ihm, dass er in einem gefestigten Devils-Roster wieder zu alter Zuverlässigkeit zurückfindet.
Ich traue ihm dies auf jeden Fall zu – und falls ihm dies gelingt, dann ist er sein Jahresgehalt von 3,4 Millionen sicher wert. Mindestens!
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Spieler-Analyst Thomas Roost
Thomas Roost ist seit 1995 NHL-Scout für den zur NHL gehörenden Central Scouting Service und seit 2010 Scout für den EHC Biel.
Hauptberuflich war er 25 Jahre CHRO und Mitglied der Konzernleitung in einer internationalen Touristikfirma mit weltweit 1500 Mitarbeitenden und berät heute Eishockeyspieler als Consultant mit dem Ziel, dass sie ihr Potenzial während und nach ihrer sportlichen Karriere voll ausschöpfen können.
