Tomáš Tatar – Zugs grosser Fang
Tomáš Tatar entschied sich bewusst für einen Wechsel zum EV Zug – statt in der NHL nur noch die Rolle eines Lückenfüllers zu übernehmen.

Der slowakische Starstürmer Tomáš Tatar zog einen Wechsel nach Zug dem Verbleib in der NHL vor. Lieber wird er hier gebraucht, als in Übersee als Lückenbüsser zu firmieren.
Tomáš Tatar spürt, dass der Vorhang bald fallen wird. Nicht heute und nicht morgen, aber er sagt: «Ich weiss, dass mir nicht mehr viele Jahre als Eishockeyprofi bleiben. Es ist für mich ausgeschlossen, mit 40 noch zu spielen.»
Gerade ist er 35 geworden. Und fragte sich in den vergangenen Monaten, wie der Spätherbst seiner beachtlichen Karriere aussehen soll. Was ihm noch wichtig ist.
Tatar hat 927 NHL-Partien bestritten. 983 eigentlich sogar, aber in Nordamerika werden die Playoff-Partien rätselhafterweise nicht mitgerechnet. Er hätte mühelos die 1000 vollmachen können.

420 Spieler haben diesen Meilenstein bisher erreicht. Der Rekordhalter ist Patrick Marleau mit 1779 Einsätzen. Tatar sagt: «Eine Saison hätte wahrscheinlich gereicht. Aber was bringt mir dieser Wert? Nichts. Ich will Spass haben. Ein Spieler sein, der Verantwortung übernimmt.»
So kam es, dass Tatar sich früh dazu entschied, seine Zelte in Nordamerika nach 15 Jahren abzubrechen. Ende Mai unterschrieb er im EV Zug einen Zweijahresvertrag – mehr als einen Monat, bevor in der NHL die «Free Agency» überhaupt startete. «Ich wusste, was mich dort erwartet hätte. Wie mich die Teams sehen», sagt Tatar.
Er hatte 2024/25 bei den New Jersey Devils in 74 Partien durchschnittlich noch elf Minuten Eiszeit erhalten. Die offensive Zaubermaus wurde zum Rollenspieler degradiert. Er dürstete nach mehr. Zudem erwartete er mit seiner Partnerin Veronika bald das erste Kind.

Der Entscheid war gefallen: Es ist Zeit, nach Europa zurückzukehren. Auch KHL-Teams lockten ihn. Aber er fürchtete die langen Reisen, die Abwesenheiten. «Meine Partnerin hat viel für meine Karriere geopfert. Jetzt ist es Zeit, etwas zurückzugeben und für sie da zu sein», sagt Tatar.
Er entschied sich für die Schweiz, eine Liga, in der man jede Nacht im eigenen Bett verbringt. Und in der bei einer dreistündigen Busfahrt schon die Nase gerümpft wird, weil das als weit gilt.
Die enge Verbindung zu den «Swiss Devils»
Das Management des EVZ hatte sich lange zuvor um ihn bemüht. Nach der desillusionierenden Abschiedssaison des zweifachen Meistertrainers Dan Tangnes mit einer 0:4-Ohrfeige im Playoff-Viertelfinal gegen Davos gab es im Klub die Bereitschaft, aufzurüsten.
Sprich: Für das Engagement der Ausländer zusätzliche Mittel zur Verfügung zu stellen. Man kann nachvollziehen, dass es sich bei Tatar um den Wunschkandidaten des Sportchefs Reto Kläy handelte: Es ist selten geworden, dass ein NHL-Stammspieler direkt in die National League wechselt.
Und dann noch einer vom Format Tatars, der in seinem besten Jahr in Montreal 2019/20 fast einen Punkt pro Spiel produziert hatte und mit seinem Spielstil und der Tempofestigkeit für das hiesige Hockey wie geschaffen schien.

Tatars Spitzname lautet «Tuna» – und tatsächlich ist er für den EVZ ein ähnlich grosser Fang wie jener Rote Thunfisch, der 1979 vom kanadischen Angler Ken Fraser gefangen wurde: 678 Kilo, Weltrekord.
Der Nationalstürmer Timo Meier, zuletzt in New Jersey Tatars Teamkollege, sagte der «Zuger Zeitung» im Spätsommer: «Er ist ein effizienter, sehr mannschaftsdienlicher Spieler, der offensiv brandgefährlich ist. Er kann in jeder Situation den Unterschied machen. Er wird die Fans mit seinem Spielstil begeistern.»
Tatar hatte bei seinen Schweizer Teamkollegen in New Jersey umfassende Erkundigungen eingeholt, ehe er den Vertrag unterschrieb. Mit dem Trio Nico Hischier/Meier/Jonas Siegenthaler verband ihn eine enge Beziehung – das Quartett fuhr fast täglich gemeinsam ins Training.
«Hischier war mein erster Nachbar in New Jersey», sagt Tatar, und ergänzt: «Ich liebe die Jungs.» Sie waren auch an seine sommerliche Hochzeit am Lago Maggiore eingeladen, konnten den Termin aber aus verschiedenen Gründen nicht wahrnehmen – Siegenthaler etwa wurde erstmals Vater. Das Quartett tauscht sich privat weiterhin aus.

Es ist zu früh, nach drei Monaten ein abschliessendes Urteil über einen Spieler zu fällen, der sich für zwei Jahre verpflichtet hat. Aber bisher hat Tatar gehalten, was der Prospekt versprach. Eine Selbstverständlichkeit ist das nicht.
Zumal der EVZ Tatar eigentlich als Center eingeplant hatte. Eine Position, die er in seiner Karriere selten ausübte. Mit Fortdauer der Saison wurde er vom Coach Michael Liniger allerdings zumeist auf dem Flügel neben dem Captain Jan Kovar eingesetzt – und selbstredend auch fleissig in den Special Teams.
Mehr als 17 Minuten spielt er hier durchschnittlich, es ist eine Kadenz, wie Tatar sich sie gewünscht hat. Im November fiel er mit einer «Unterkörperverletzung» einige Wochen aus.
Tatar sagt, das sei zuvor nie vorgekommen in seiner gesamten Laufbahn: Dass er aufgrund einer Blessur Spiele verpasste. Erstaunlich für jemanden, der sich seit 2008 im Profigeschäft bewegt.
In Trencin lässt Tatar gerade seine Antwort auf das Oym bauen
In einem Sport wie dem Eishockey braucht es dafür nicht zuletzt Fortune. Doch Tatar investiert auffallend viel in seine Gesundheit. In seiner Heimatstadt Dubnica nad Vahom gründete er vor einigen Jahren ein Gym, in dem er sich den Sommer über fit hält.
Es ist längst auch öffentlich zugänglich – und erfreut sich so grosser Beliebtheit, dass sich ein zweiter Ableger im knapp 30 Autominuten entfernten Trencin im Bau befindet.
Tatar sagt: «Eigentlich ist das Oym in Cham unser Vorbild. Wir wollen einen Ort erschaffen, in dem man seinem Körper etwas Gutes tun kann. Man wird auch essen und zum Coiffeur gehen können. Eigentlich war das schon in Dubnica unsere Vision, aber dort übernahmen wir ein schon bestehendes Gebäude. In Trencin bauen wir nach unseren Vorstellungen neu.»

Tatar ist stark verbunden mit seiner Heimat, seiner Region, er kehrt oft zurück, seine Eltern leben immer noch dort. Tatar wuchs in einfachen Verhältnissen auf, ein Sohn der Arbeiterklasse.
Der Vater Jan war jahrelang in der riesigen, inzwischen stillgelegten Fabrik des Waffenschmieds ZTS tätig, der lange der wichtigste Arbeitgeber der verschlafenen Kleinstadt mit knapp 25000 Einwohnern war.
Tomáš hat auf dem rechten Unterarm die Geburtsdaten der Eltern und jene seiner Brüder tätowiert. Auch sie spielten Eishockey. Mit dem 13 Jahre älteren Tibor teilte Tomáš sich das Kinderzimmer, ehe dieser auszog und an den abenteuerlichsten Orten Eishockey spielte, unter anderem in Island, Rumänien und Spanien.
Tomáš wurde durch die Leidenschaft für den Sport angefixt, er trainierte in jeder freien Minute. Als ein Lehrer ihn einmal ermahnte, dass er in der Schule viel besser sein könnte, lautete Tatars Replik: «Keine Sorge, aus mir wird mal ein guter Hockeyspieler.»
Ein frühes Olympia-Aufgebot
Er hat Wort gehalten. Tatar wurde einer der besten Hockeyexporte in der Geschichte der Slowakei, einer aus dem Dunstkreis von Ikonen wie Zdeno Chara, Pavol Demitra, Miroslav Satan oder Marian Hossa. Selbstverständlich gehörte er zu den sechs Akteuren, die schon im Sommer für den Kader für die Olympischen Spiele in Italien nominiert wurden.
Das slowakische Eishockey machte zuletzt schwere Zeiten durch, die letzte WM-Medaille datiert von 2012. Inzwischen keimt dank einer Reihe von aufregenden Draftpicks (unter anderem: Juraj Slafkovsky, Nr.1/2022 und Simon Nemec, Nr. 2/2022) neue Hoffnung.

Und 2022 in Peking aber holte das Team überraschend Olympiasilber. Tatar fehlte, es war ein Turnier ohne NHL-Beteiligung. Nun soll in Mailand Verpasstes nachgeholt werden.
Denn was ihm fehlt, ist ein grosser Titel. Zwei Mal war er nahe dran: Mit den Vegas Golden Knights 2018 und mit den Montreal Canadiens 2021 musste er sich erst im Final geschlagen geben.
Im Sommer 2023 lagen ihm Angebote der Colorado Avalanche und der Florida Panthers vor. Er entschied sich für Colorado, den Titel holte Florida. «So ist das Leben», sagt Tatar, und ergänzt: «Ich trauere keinem Entscheid hinterher. Ich bin einfach froh darüber, was dieser Sport mir alles gegeben hat.»
Schweizer Meister werden, das mag kein Stanley Cup-Sieg sein. Aber Tatar ist nicht der Einzige, der findet: Den EVZ zu diesem Triumph zu führen, das wäre ein würdiger Schlusspunkt für eine glorreiche Laufbahn.














