Anton Lindholm: Die Jagd nach den Glücksgefühlen
Vor zehn Jahren verewigte sich der neue SCB-Verteidiger Lindholm in Schweden als Meisterschütze. Nun will er die Ekstase jenes Abends noch einmal erleben.
19 ist Anton Lindholm im Winter 2013, als er bei Skelleftea die ersten Gehversuche im Profi- Eishockey unternimmt. Und gleich Geschichte schreibt: Im SHL-Final von 2014 markiert er in Spiel 4 der Serie gegen das chancenlose Färjestad den entscheidenden Treffer.
Er ist es, der Skelleftea mit dem späteren ZSC-Coach Hans Wallson den dritten Meistertitel der Historie sichert.
Heute sagt er: «Ich war damals so jung, dass ich das gar nicht richtig realisiert habe. Alles geschieht so schnell. Aber da bist du als Teenager und erlebst einen absoluten Höhepunkt, es war irgendwie surreal. Ich wusste bis da ja nicht einmal, ob ich eine Chance habe, Profi zu werden.»
Als Jugendlicher dachte er eigentlich, dereinst Feuerwehrmann zu werden, so wie sein Grossvater. Doch das Leben hat eine andere Berufung für ihn bereitgehalten. Wenige Monate nach dem Meistertriumph wird Lindholm gedraftet, in Runde 5 von den Colorado Avalanche. 2016 wagt er den Sprung nach Übersee, in der NHL wird er Dollarmillionär.
Sein Weg in diesem Kosmos war vorgezeichnet, er wuchs wenige Gehminuten entfernt von der Arena des Skelleftea AIK auf, dem lokalen Erstligisten mit reicher Vergangenheit. Skelleftea zählt nur wenig mehr als 30 000 Einwohner, die Strahlkraft des Klubs ist gross – es gibt sonst wenig zu tun in der Stadt.
Fast alle Jugendlichen spielen Eishockey. Als Zeitvertrieb – und ab einem gewissen Alter vielleicht auch, weil es die beste Chance ist, die Kleinstadt irgendwann verlassen zu können.
Anton und sein drei Jahre älterer Bruder Johan beginnen früh damit, auf dem Eis herumzukurven: Der Vater errichtete in den Wintermonaten im Garten es eigenen Grundstücks jeweils ein Eisfeld.
Und abends geht es an die Heimspiele Skellefteas – die Brüder können die Fan-Gesänge auswendig.
«Ich hätte mir keine schönere Kindheit wünschen können, es war das Paradies. Und ich hatte grosses Glück, dass ich für Skelleftea spielen konnte. Für einen jungen Spieler war das die perfekte Umgebung, alle hatten grossen Ehrgeiz, wir haben uns gegenseitig gepusht», sagt Lindholm heute.
Die Krankenakte ist umfassend
Lindholm erlebte eine erfüllte Jugend, die ihm in den Weg für eine abwechslungsreiche Karriere ebnete. Fünf Jahre verbrachte er in Nordamerika, er spielte mit Minsk in der KHL und vertrat Schweden zwei Mal an Weltmeisterschaften.
Er liess sich auch von einer Vielzahl an Blessuren (allein in den letzten fünf Jahren: gebrochener Kiefer, geprellte Knöchel und Rippen, Fingerfrakturen, ein verstauchtes Knie und eine Nackenverletzung) nicht bremsen – zu seiner langen Krankenakte sagt er lachend:
«Das gehört zu diesem Sport dazu. Und ich hatte das Glück, dass es nie etwas Chronisches war. Wenn ein Knochen bricht, weisst du: Das dauert so und so viele Wochen. Und dann ist alles wieder beim alten.»
Nun ist Lindholm in Bern gelandet, er war ein Wunschspieler des neuen Sportchefs Martin Plüss, der sich früh um ihn bemühte – die ersten Gespräche fanden im Kalenderjahr 2023 statt.
Lindholm ist ein etwas überraschender Transfer, weil sein Profil jenem von Patrik Nemeth ähnelt, dem anderen Schweden in der SCB-Defensive. Nemeth, 32, ist ein strikter Defensivverteidiger – und er war einer der ersten Menschen, die Lindholm anrief, um sich über Bern und die National League zu erkunden. Die beiden spielten einst zusammen für Colorado, fanden das Glück dort aber nur bedingt.
Lindholm absolvierte in vier Jahren in Denver 66 Partien, es sind nicht die Zahlen eines Durchbruchs – er sass sehr oft überzählig auf der Tribüne.
Lindholm sagt: «Ich konnte mich nicht dauerhaft etablieren, aber ich habe es in die NHL geschafft, das kann mir keiner nehmen. Ich habe in dieser Zeit sehr viel gelernt, gerade auch über mich. Und was es heisst, geduldig zu sein. Für all diese Erfahrungen bin ich sehr dankbar. Mein Problem war, dass ich gleichzeitig zu viele Dinge sein wollte. In der NHL brauchst du ein klares Profil, eine Nische. Die habe ich nicht gefunden, vielleicht war ich einfach zu wenig reif.»
Und dann schiebt er nach: «Denver hat mir sehr gefallen. Die Natur fühlte sich fast wie bei uns in Nordschweden an: dichte Wälder, viele Seen. Es war wunderbar.»
Unterschätztes Offensivpotenzial
Auch in der Region Bern hat er seit seiner Ankunft im Juli ein paar Kraftorte erkundet. Der Fokus aber gilt dem Job, dem SCB, und der Sehnsucht, nach zehn titellosen Jahren wieder jene Emotionen zu erleben wie 2014.
Er sagt: «Diesem Gefühl jage ich seitdem hinterher. Es ist schwierig zu beschreiben, aber es fühlt sich an wie eine Erlösung, wie unglaublich viel positive Energie.»
Die Devotionalien von damals hat er aufbewahrt, klar, den versenkten Puck und den Goldenen Helm, den jeder Spieler der Meistermannschaft erhielt. «Ich habe bei mir zu Hause einen kleinen Schrein. Aber in dem gibt es noch viel freien Platz…».
Die Frage ist, ob sich daran in Bern etwas ändern kann. Der SCB hat seit 2019 keine Playoff-Serie mehr gewonnen und gehört auch jetzt nicht zu den Titelkandidaten.
Aber Lindholm hat einen Zweijahresvertrag unterzeichnet, und die Stärkeverhältnisse in der NL sind volatil. Und es ist ja schon die Idee, dass Lindholm selbst etwas dazu beiträgt, dass der Publikumsprimus Europas zu alter Stärke zurückfindet.
Er mag auf den ersten Blick wie ein klassischer Stay-at-home-Verteidiger wirken, aber eigentlich schlummert in ihm durchaus Offensivpotenzial. 2022/23 hat er das bewiesen, als er für Leksands in 50 Spielen sieben Tore und 21 Punkte produzierte.
Er sagt: «Ich denke, dass das definitiv ein unterschätzter Aspekt meines Spiels ist. Es ist vor allem eine Frage des Mindsets: Wie wichtig ist es dir, auch gegen vorne etwas zu bewirken? Was kannst du dafür unternehmen? Ich weiss, dass ich die Qualitäten dafür habe, offensiv etwas beizutragen. Ich weiss, dass in der Schweiz sehr schnell und vorwärtsgerichtet gespielt wird. Das kommt mir entgegen.»
Lindholm, das ist die Hoffnung, könnte das Beste aus zwei Welten vereinen: Die Kilos (er bringt deren 90 auf die Waage) und Wasserverdrängung, für die der SCB-Trainer Jussi Tapola eine so ausgeprägte Schwäche zu hegen scheint. Und die Mobilität, die das Management um Plüss schätzt.
Zumindest auf dem Papier wirkt Lindholm für den SCB der Ära Tapola mit diesen Voraussetzungen deutlich kompatibler als seine Vorgänger Ville Pokka und Julius Honka.
Über Anton Lindholm
Geboren: 29. November 1994. Grösse: 182 cm. Gewicht: 90 kg. Vertrag: bis 2026. Stationen: Bis 2016: Skelleftea AIK (SHL). 2016 bis 2021: (NHL), San Antonio Rampage, Colorado Eagles, Rockford IceHogs (alle AHL). 2021/22: Dinamo Minsk (KHL). 2022 bis 2024: Leksands IF (SHL). Seit 2024: SC Bern. Erfolge: Schwedischer Meister 2014 und Meisterschütze; schwedischer Vizemeister 2015 und 2016.