Arno Del Curto: «Niederlagen waren mir auf einmal egal»
Arno del Curto (69) spricht im grossen Interview über seine erfolgreiche Karriere und sein heutiges Leben als Eishockey-Rentner. Eine Hockey-Philosophie.

SLAPSHOT: Arno Del Curto, wie fühlen Sie sich als Eishockey-Rentner?
Arno Del Curto: Eishockey-Rentner? Ich weiss nicht. Es stimmt, als ich aufgehört habe, haben mir alle vorausgesagt, wenn du mal zurücktreten wirst, dann wird es schwierig für dich. Du kannst nicht ohne das Eishockey sein.

Wenn ich ehrlich bin, habe auch ich so gedacht. Die Emotionen rund um die Partien, die Struktur, welche das Eishockey meinem Leben gegeben hat, waren auf einen Schlag weg.
Aber eigentlich ist es müssig überhaupt darüber zu sprechen. Ich bin heute in einer anderen Welt und führe ein anderes Leben.
SLAPSHOT: Wie sieht denn so ein Alltag von Ihnen heute aus?
Del Curto: Im Sommer spiele ich viel Golf mit meinen Kollegen. Ausserdem interessiere ich mich sehr für Fussball und American Football und verfolge diese Sportarten auch. Zudem möchte ich lernen Klavier zu spielen.

Dann schliesse ich all die kleinen Projektlein ab, die ich vorher während Jahren vor mir hergeschoben habe oder ich geniesse einfach das Leben. Langeweile kenne ich nicht.
SLAPSHOT: Projekte? Was sind das für Projekte?
Del Curto: Ich möchte meine geschäftlichen Projekte, bei welchen ich beteiligt, war zum Abschluss bringen. Als Beispiel dafür steht das Hotel-Projekt in Arosa.
SLAPSHOT: Welchen Teams gehören ihren Sympathien?
Del Curto: Im Fussball bin ich seit meiner Jugend ein Anhänger des FC Arsenal, im Football interessieren mich vor allem die San Francisco 49ers.
SLAPSHOT: Wenn Sie heute Sport schauen, tun Sie das weiterhin mit den Augen des Trainers oder einfach als Anhänger?
Del Curto: Natürlich ist der Trainer und der Blick von diesem weiterhin in mir. Das kann man nicht einfach so ablegen. Es interessiert mich besonders, wie sich Trainer verhalten, welche ein Team in der Krise übernehmen.

Ich beobachte verschiedene Trainer nahe. Beispielsweise Vincent Kompany vom FC Bayern München, Pep Guardiola, Arne Slot oder Mikel Arteta, um nur einige zu nennen.
Wenn es um die technischen Dinge im Fussball geht, bin ich zwar der falsche Mann, aber die verschiedenen taktischen Herangehensweisen der jeweiligen Teams sind genau das, was mich immer noch anspricht.
Ich schaue viele Spiele immer noch mit den Augen eines Trainers aber einige, vor allem die von Arsenal, schaue ich eher als grosser Anhänger.
SLAPSHOT: Sehen Sie einen Trainer, der Sie an Ihr Jugend-Ego erinnert?
Del Curto: Schwer zu sagen. Am nächsten lag mir sicher Jürgen Klopp. Das Schöne an ihm ist, dass er erst nach mir in der Szene aufgetaucht ist. Man kann mir also nicht vorwerfen, ihn kopiert zu haben. Wenn, dann war es umgekehrt.

Doch ganz ehrlich, mir fehlt dieser ganze Hype um die Trainer und ihre Überhöhung nicht. Ich beobachte gerne, wie die heutigen Trainer mit ihren Spielern umgehen und stelle fest, dass mein damaliger Stil dem heutigen sehr ähnlich ist.
SLAPSHOT: Kurz waren Sie auch noch als Assistent von Roger Bader an der Bande des österreichischen Nationalteams. Machen Sie das weiterhin?
Del Curto: Nein, damit habe ich schon im vergangenen Frühjahr aufgehört. Es war eine nette Erfahrung, doch ich denke, Roger kann das nun auch ohne meine Unterstützung.
Nun, an der nächsten WM in der Schweiz, geht das ohnehin nicht. Ich will die Aufmerksamkeit nicht von ihm wegziehen. Das geht nicht.
SLAPSHOT: Aber Hand aufs Herz, fehlt Ihnen der ganze Trubel wirklich gar nicht?
Del Curto: Nein, ich hätte heute auch gesundheitlich nicht mehr genügend Kraft dafür. Ich brauchte einige Zeit, um mich vollständig von all dem Stress zu erholen, und das ist mir auch gelungen.

Doch wenn ich ehrlich bin, dann spüre ich den Alterungsprozess. Auf den ganzen Druck, der mit dem Trainerjob verbunden ist, habe ich keine Lust mehr.
SLAPSHOT: Nach Ihrem Rücktritt im Herbst 2018 in Davos sagten Sie einmal, Sie hätten zu lange damit gewartet, sich zurückzuziehen. 22 Jahre seien zu viel gewesen. Wann haben Sie gespürt, dass das so war?
Del Curto: Eigentlich schon eineinhalb Jahre, ehe ich wirklich die Konsequenzen gezogen habe. Wir spielten 2016 in der Europa League gegen den schwedischen Meister Växjö.
Meine Spieler machten Fehler mit dummen Strafen, und ich habe mich nicht mehr über diese geärgert. Das war ein erstes Signal, dass ich nicht mehr derselbe war, wie noch kurz zuvor.
Ich sprach es danach bei meinem langjährigen Assistenten Remo Gross an, dass es wohl Zeit sei, einen Schlussstrich zu ziehen. Doch dann stimmte man mich doch wieder um, weiterzumachen.

Ich war erschöpft, hatte keine Energie mehr und war nicht mehr mich selbst. Niederlagen waren mir auf einmal egal. Vorher hatte ich immer Respekt vor einer Negativ-Spirale.
Ich liess plötzlich alles mit mir geschehen, ohne dass ich mich dagegen aufgelehnt habe. Als ich mich später auf einem Video selbst sah, bin ich erschrocken. Ich kannte mich selbst nicht mehr. Mein Blick war leer, ich war wie tot.
SLAPSHOT: Was geht einem in einem solchen Moment durch den Kopf?
Del Curto: Ich musste anerkennen, dass ich nicht mehr jener Mensch war, der ich eigentlich bin. Ich reagierte nicht mehr richtig. Es war ein Weckruf. Das Einzige, was im Leben wirklich zählt, ist die Gesundheit.

Grundsätzlich wissen wir das alle, und auch ich habe das immer gewusst. Doch erst als ich meine leeren Blicke selbst sah, habe ich realisiert, dass ich auf dem falschen Weg bin.
SLAPSHOT: Gab es für Sie nach dem Intermezzo bei den ZSC Lions noch einmal einen Anruf, dem zu folgen Sie gereizt hätte?
Del Curto: Es gab Telefone, doch ich habe früh signalisiert, dass das Kapitel Trainer für mich abgeschlossen ist. Ich will und ich brauche das nicht mehr.
SLAPSHOT: Sie haben in Bern noch ein Versprechen offen. Sie haben mit dem SCB-CEO Marc Lüthi einst ausgemacht, dass ihr beiden irgendwann noch zusammenarbeiten werdet. Nun wäre doch der richtige Moment dazu, dieses Versprechen einzulösen. Der SCB braucht dringend Hilfe und Inspiration.
Del Curto: Habe ich das tatsächlich versprochen? Ich spreche regelmässig mit Martin Plüss, ich würde ihm gönnen, das Schiff SCB wieder auf den Weg zu bringen. Er hat die Fähigkeiten dazu, er ist intelligent und weiss, was es braucht, um Erfolg zu haben.
Wenn ich dem SCB etwas raten dürfte: Ich würde an der eingeschlagenen Linie festhalten. Der Klub hat einen Neuaufbau mit jungen, talentierten Spielern eingeleitet, mit dem man Erfolg haben kann.
Stellen Sie sich vor, Sie spielen in Bern mit einer Mannschaft, die aus jungen, eigenen Spielern besteht, plötzlich an der Spitze mit. Die Zuschauer würden ausflippen und Marc die Bude einrennen. Er könnte jedes einzelne Ticket doppelt verkaufen.
Aber das braucht Geduld und Zeit, und man muss es den Menschen erklären.
SLAPSHOT: Genau dafür wären Sie mit Ihrer Aura doch prädestiniert?
Del Curto: Martin Plüss weiss, dass er jederzeit anrufen kann, wenn er meine Hilfe brauchen sollte. Ich würde ihm helfen. Doch um die Verantwortung zu übernehmen, fehlen mir die Kraft, aber auch die Lust, und zudem ist das meiner Gesundheit auch nicht zuträglich.
Ich helfe den Menschen gerne. Ich erhalte immer noch regelmässig Anrufe von Spielern, die mich um Rat bitten.
Gerade letzte Woche hat mich ein ehemaliger Spieler angerufen und mich um Input gebeten. Ich habe auch schon Athleten anderer Sportarten besucht und sie zu inspirieren versucht.
SLAPSHOT: Sie haben Ihrem Job sehr viel untergeordnet. Haben Sie im Rückblick das Gefühl, dass sich das gelohnt hat?
Del Curto: Vielleicht habe ich mich zuweilen zu sehr in den Job gegeben. Aber unter dem Strich habe ich auch sehr viel zurückerhalten. Die Emotionen, wenn man ein Spiel gewinnt, einen Final erreicht und dann auch noch den Titel gewinnt, die sind unbeschreiblich.

Beispielsweise den Match in der Champions Hockey League gegen Skelleftea, den wir 4:1 gewonnen haben, habe ich bis heute in tiefer Erinnerung.
Ich habe sicherlich einiges geopfert, aber es war schön.
SLAPSHOT: Wer Erfolg hat, hat schnell auch viele Freunde. Wie viele von diesen sind Ihnen bis heute geblieben?
Del Curto: Ich habe mich zurückgezogen, doch ich erhalte bis heute Anrufe von ehemaligen Weggefährten und Spielern, selbst aus dem Ausland.
In der vergangenen Woche hat mich gerade Petr Taticek angerufen und mich nach Prag eingeladen. Joe Thornton hat mich zu seinem Abschiedsspiel nach San José eingeladen. Das ist eine Form der Anerkennung, die mich freut.
SLAPSHOT: Sie hatten in Davos eine Männer-Freundschaft mit Reto von Arx, die daran zerbrochen ist, dass Sie ihm nicht mehr die Rolle geben konnten und wollten, die er für sich beanspruchte. Bereuen Sie das?
Del Curto: Es ist, wie es ist. Ich denke, wir haben beide kein Problem damit. Aber natürlich denkt man zuweilen darüber nach. Doch wir können die Vergangenheit nicht ändern. Was zählt ist, wir hatten 20 hervorragende Jahre zusammen.
SLAPSHOT: Sie betreuten in Davos über die Jahre auch eigenwillige Charaktere, etwa Claudio Neff oder Todd Elik. Welche Erinnerungen haben Sie an Letzteren?
Del Curto: Todd spielte den Spengler Cup mit uns und schlug dort nach Spielschluss schon ziemlich über die Stränge. Aber wir holten ihn trotzdem, er war ein aussergewöhnlicher Spieler. Leider ein bisschen beratungsresistent. Ich brach mir seinetwegen einmal das Bein.
SLAPSHOT: Wie bitte?
Del Curto: Er hatte die Angewohnheit, die Scheibe hinter dem eigenen Tor zu holen und dann zu einem Solo über das ganze Feld anzusetzen.
Ich sagte ihm tausendmal: Todd, warte auf den Pass. Und mach dann deinen Antritt. So hast du mehr Energie. Und das Risiko ist kleiner. Aber er wollte nicht hören.

Einmal wurde ich so sauer, dass ich in einen Pfeiler trat. Ich dachte, er wäre aus Plastik, er war aber aus Stein. Und mein Bein gebrochen.
SLAPSHOT: Seit Ihrem Rücktritt im November 2018 sollen Sie nie mehr in der Arena in Davos gewesen sein. Stimmt das tatsächlich? Gaudenz F. Domenig möchte Sie seit fünf Jahren offiziell verabschieden.
Del Curto: Es stimmt, ich war nie mehr dort. Doch lassen wir das, es ist auch nicht nötig, mich noch einmal zu ehren.
Ich habe in den vergangenen Jahren ein einziges Mal eine Aussage zu einem Entscheid des HCD gemacht, als man mich gefragt hat, ob Josh Holden die richtige Trainerwahl sei.
Ich habe sie in dieser Entscheidung bekräftigt. Ich mochte Typen wie ihn, die sich für ihren Klub einsetzen.
SLAPSHOT: Wo gehen Sie heute ins Stadion, wenn Sie Eishockey schauen wollen?
Del Curto: Ich gehe in kein Eisstadion mehr. Wenn, dann allenfalls in Langenthal, wo ich wohne. Ich schaue noch NHL-Playoffs im Fernsehen und freue mich auf das Olympia-Turnier mit den besten Spielern. Ich werde die Partien aber am TV schauen.
SLAPSHOT: Trotzdem, der HCD war über zwei Jahrzehnte lang Ihr Klub, fühlen Sie sich ihm noch verbunden?
Del Curto: Ich hoffe, dass der HCD wieder Meister wird. Die Anhänger sind Weltklasse, irgendwann werde ich auch wieder ins Stadion gehen. Doch wann das ist? Ich habe keine Ahnung.
Im Moment hat es im Umfeld des Klubs immer noch Menschen, die ich nicht unbedingt wiedersehen will. Dem Klub an sich fühle ich mich allerdings immer noch verbunden.
SLAPSHOT: Comebacks sind nicht ohne Gefahr. Sie haben das bei Ihrer Rückkehr 2019 nach Zürich erlebt, als Sie als Nothelfer eingesprungen sind und danach die Playoffs verpasst haben. Würden Sie das noch mal machen?
Del Curto: Nein, doch ich hatte damals nicht den Mut, Nein zu sagen und habe nicht gewusst, dass ich schon total ausgelaugt bin. Ich hatte Angst. Ich hätte damals warten müssen.
Wenn ich das getan hätte, wäre ich vielleicht heute noch im Eishockey. Doch das will ich gar nicht. Ich habe alles gesehen, was man sehen kann.
Wo man hinschaut, es ist überall immer noch dasselbe. Selbst die Menschen, die im Umfeld der Klubs arbeiten und helfen, sind immer noch dieselben wie zu jener Zeit, als ich noch an der Bande stand.
SLAPSHOT: Sie hatten mal die Gelegenheit, zu SKA St. Petersburg in die KHL zu wechseln. Sie taten es nicht.
Del Curto: Ja, das fuchst mich heute noch. Man hat mir dort den roten Teppich ausgerollt. Man las mir jeden Wunsch von den Augen ab.
Doch dann entschied ich mich für das Bleiben in Davos, und dieser Entscheid kam in Russland nicht gut an.
SLAPSHOT: Gab es auch Angebote aus der NHL?
Del Curto: Da gab es die eine oder andere Anfrage, aber nur als Torpfosten-Abstauber. Nein, im Ernst, als Assistent.
Aber ich bin von meinem Wesen her nun mal kein Assistent. Somit war diese Frage für mich erledigt.
SLAPSHOT: Das klingt, als wären Sie tatsächlich eins mit Ihrem Leben?
Del Curto: Absolut, ich hatte den besten Job, den man sich wünschen kann, auch wenn ich heute möglicherweise mit kleineren Blessuren dafür zahlen muss.
Es war fantastisch, doch ich machte wahrscheinlich den Fehler, mich zu wenig abgegrenzt zu haben. Statt mich auf mein Team zu konzentrieren, habe ich mich zu stark um die Donatoren und Sponsoren gekümmert und war ständig unterwegs.

Das hat mich ausgelaugt und mir wahrscheinlich auch einen Teil jener Kraft geraubt, die mir am Ende gefehlt hatte.
SLAPSHOT: Zum Schluss dieses Gespräches noch eine Frage zum Spengler Cup. Was bedeutet das Turnier für die Schweiz?
Del Curto: Ich würde sagen, es ist eine hervorragende Visitenkarte. Wir alle haben von ihm und den internationalen Vergleichen an diesem profitiert. Wir als HCD und damit auch die Liga.
Übrigens, der erste Sieg am Spengler Cup im Jahr 2000 wurde gefeiert wie ein Meisertitel und bleibt auch in meiner Erinnerung sehr weit oben. Die Euphorie im Dorf war riesig. Ich werde das niemals vergessen.
SLAPSHOT: Sie sind heute in Davos fast ein wenig ein Schutzheiliger. Man würde Sie wohl in der Sänfte über den Wolfgang-Pass tragen, wenn Sie sich wieder an die Bande stellen würden. Wie wurden Sie eigentlich empfangen, als Sie den Job annahmen?
Del Curto: Sehr kühl und mit sehr viel Vorbehalten. Anfänglich haben mich die paar Eisheiligen auf der Strasse kaum gegrüsst.
Geändert hat sich das erst, als wir in der zweiten Saison für Furore sorgten. Aber das gehört wohl dazu, wenn man als Engadiner nach Davos kommt. Obwohl, auch Bibi Torriani, einer der populärsten Spieler in der Geschichte des Klubs, war ein Engadiner.
Wir waren in all den Jahren nur zwei.














