Austin Czarnik: Mit dem Beistand von ganz oben

Slapshot
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Am 03.12.2024 - 15:53

Austin Czarnik könnte der erste SCB-Ligatopskorer seit 2016/17 werden. Dabei ist der Amerikaner in Bern gelandet, weil Kalle Kossila seinen Test nicht bestand.

Austin Czarnik
Austin Czarnik signiert den SLAPSHOT Hockey-Guide - Foto: Reto Fiechter - slapshot

Als in der NHL im Juli die Free-Agency-Periode losgeht, macht Austin Czarnik sich grundsätzliche Gedanken. Ihm liegen vier, fünf Angebote von NHL-Teams vor, unter anderem würden die Detroit Red Wings ihn gerne behalten. Aber Czarnik ist inzwischen 31 Jahre alt, und er weiss: Für die NHL-Organisationen ist er nicht mehr als ein Lückenbüsser. Der in der AHL parkiert und im Bedarfsfall befördert wird, ein «Tweener», der ein Leben aus dem Koffer führt, weil er ewig zwischen den Ligen pendelt.

Darauf, sagt Czarnik, habe er nach neun Profijahren keine Lust mehr gehabt. Er sehnte sich nach Stabilität – nicht zuletzt seiner Familie wegen; er und seine Frau Rachel haben zwei Kinder. Die Tochter Colette habe jedes Mal -geweint, wenn er sich im letzten Winter wieder habe in eine andere Stadt verabschieden müssen, erzählt er. So kommt es, dass er sich intensiv mit einem Wechsel in die Schweiz auseinanderzusetzen beginnt. Er sagt: «In Europa kam für mich nur die Schweiz in Frage. Ich hatte so viel Positives über das Land und die Liga gehört.» Er tauschte sich mit ehemaligen Teamkollegen aus: Justin Abdelkader und Brett Connolly. Mehrere NL-Klubs sind interessiert, letztlich liegen ihm drei Angebote vor. Jenes des SC Bern trifft spät ein – bei den Bernern war der Finne Kalle Kossila durch den Medizintest gerasselt, worauf der Vertrag aufgelöst wurde. Kossila, 31, fand erst Mitte Oktober einen neuen Klub, er unterschrieb bei Örebro.

Nach der Abkehr von Kossila gelingt es der sportlichen Leitung um Martin Plüss und Patrik Bärtschi, Czarnik im Schnellzugtempo vom Wechsel nach Bern zu überzeugen. Und nach einem Drittel der Meisterschaft kann man gar nicht anders, als das für den SCB als Glücksfall zu klassifizieren: Mit 25 Punkten aus 18 Spielen war Czarnik bis zur Nationalmannschaftspause der produktivste Spieler der Liga. Er ist eine vielseitige, trickreiche, tempofeste Bereicherung für eine Mannschaft, der exakt diese Attribute in den letzten Jahren oft gefehlt hatten.

Austin Czarnik
Austin Czarnik - Foto: Reto Fiechter

Sonntag ist Football-Tag bei den Czarniks

Dabei war der Start eher holprig: In den ersten zwei Partien laborierte er an einer Rippenverletzung und lieferte diskrete Darbietungen ab; in der dritten Runde sass er überzählig auf der Tribüne. Seither aber rockt er die NL und hat realistische Chancen, als erster SCB-Spieler seit Mark Arcobello 2016/17 Liga-Topskorer zu werden. Czarnik sagt: «Ich mag diese Liga sehr. Sie ist sehr schnell, und ich habe hier so viele Freiheiten wie in der AHL. Es macht Spass, so zu spielen.» In der AHL erreichte Czarnik in 308 Spielen einen Punkteschnitt von 0,94 – in der NHL lag er bei 0,25.

Noch 2023/24 bestritt Czarnik 34 Partien (ein Assist) für die Red Wings. Eigentlich hatte er davon immer geträumt: Das Dress dieser stolzen Organisation zu tragen – er ist ein Kind der Stadt, aufgewachsen nur 25 Autominuten von Downtown Detroit, wo einen Steinwurf voneinander entfernt die Arenen der Red Wings (NHL), Pistons (NBA), Tigers (MLB) und Lions (NFL) stehen. Czarnik ist ein grosser American-Football-Aficionado, er sagt: «Ich liebe die Lions. Während der Football-Saison ist der Sonntag mein liebster Tag der Woche, ich schaue auch von hier aus jedes Spiel.»

Im Hockey aber begeisterte er sich als Teenager eher für die Pittsburgh Penguins – Sidney Crosby wegen. Die Red Wings, sagt er, seien ihm da nicht allzu sympathisch gewesen. «Für meinen Geschmack hatte es zu viele Europäer und Russen. Ich war damals auf dem Trip, dass ich dachte, die nehmen den Nordamerikanern die Jobs weg. Aber jetzt bin ich als Amerikaner in der Schweiz und tue ja das gleiche», sagt er. Zum Verständnis: Czarnik stammt aus einer religiösen, konservativen Familie. Sein Vater ist Priester, auch die Mutter arbeitet im kirchlichen Dienst.

Wäre das auch etwas für ihn: Ein Dasein als Geistlicher? Czarnik lacht: «Mein Dad sagt immer: Wenn du mit dem Eishockey fertig bist, wirst du Pfarrer. Aber ich weiss nicht, ob das wirklich meine Berufung ist. Religion ist mir wichtig, ich bete jeden Tag. Ich weiss nur nicht, ob ich ein guter Pfarrer wäre.»

Auch das Asthma stoppte ihn nicht

Es ist eine Frage, die sich in jungen Jahren nicht stellte, weil Czarnik im Eishockey für ordentlich Furore sorgte. Die ersten Jahre waren schwierig, weil die Trainer ihm immer mal wieder sagten: Du bist zu klein, das wird nichts. Czarnik misst 1,74 Meter, in der NHL wurden Spieler mit dieser Postur lange übergangen. Zudem leidet er an Asthma, was mutmasslich auf einen Schwarzschimmelbefall an seiner ehemaligen Schule zurückzuführen ist. Bis heute muss er Medikamente einnehmen und auf einen Inhalator zurückgreifen. «Wenn ich auf dem Eis stehe, fühlt es sich manchmal so an als würde ich keine Luft bekommen», sagt er.

Er hat den Widerständen getrotzt, auch weil sein Glaube ihm Halt gegeben habe, erzählt er. Er ist gut genug, um als Hockeyspieler ein College-Stipendium zu erhalten – an der Miami University in Ohio studiert er Kinesio-logie. Und bringt es danach als ungedrafteter Spieler für Boston, Calgary, die NY Islanders, Seattle und Detroit auf über 200 NHL-Einsätze.

Er glaubt an das Schicksal, und vielleicht ist es ja tatsächlich so, dass ihn dieses nach Bern geführt hat. Der SCB war der renommierteste Schweizer Klub, der sich um ihn bemühte. Aber auch ein Verein, bei dem schon sechs Ausländer unter Vertrag standen. Czarnik sagt: «Ich bin es mir aus meiner Karriere gewohnt, auch mal überzählig zu sein. Das war kein Grund, um mich gegen den SCB zu entscheiden.» Dann ergänzt er: «Ich habe das Mindset, dass ich so gut spielen will, dass dem Trainer keine andere Wahl bleibt, als mich aufzustellen.» Bisher hat das Unterfangen funk-tioniert: Die verletzungsbedingte Absenz von Dominik Kahun, dem besten Individualisten im SCB-Kader, hätte Czarnik kaum besser nutzen können, um Eigenwerbung zu betreiben.

Sein Vertrag beim SCB ist nur bis zum Saisonende gültig – Czarnik sagt, das sei sein Wunsch gewesen: «Ich hatte die Wahl zwischen einem Ein- und Zweijahresvertrag. Mir war eine Saison lieber. Ich wusste ja nicht, ob wir uns hier wohlfühlen. Und ob es sportlich funktioniert. Zudem war es auch eine Wette auf mich selbst.» Sie hat funktioniert – unabhängig davon, wo Czarnik unterschreibt, wird er sich nach diesem famosen Herbst auf eine kräftige Lohnerhöhung freuen dürfen.

Top Scorer
Top Scorer Austin Czarnik - Foto: PostFinance / Til Buergy

Text: Nicola Berger, Fotos: Reto Fiechter, PostFinance

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