Hungerbühler: «Ein kurzer Aussetzer kann einen Match entscheiden»
Pascal Hungerbühler (40) im SLAPSHOT-Interview. Er leitet die Rechtsabteilung eines IT-Unternehmens und ist als Headschiedsrichter in der National League tätig.

SLAPSHOT: Was bedeutet Ihnen Gerechtigkeit?
Pascal Hungerbühler: Ich bin Jurist, deshalb ist Gerechtigkeit ein wiederkehrendes Thema. Für mich heisst Gerechtigkeit, alle Parteien gleich zu behandeln, mit dem Ziel, möglichst objektiv zu sein. Gleichzeitig ist mir bewusst, dass es absolute Gerechtigkeit nicht gibt.
SLAPSHOT: Als Jurist dreht sich Ihr Leben um Recht und Gerechtigkeit…
Hungerbühler: Eher um Recht. Ich arbeite in der Privatwirtschaft in einer Rechtsabteilung und nicht am Gericht. Ich muss für meine Firma Verträge verhandeln und versuche, für sie das Beste herauszuholen.
SLAPSHOT: Hauptberuflich leiten Sie die Rechtsabteilung eines international tätigen IT-Unternehmens. Was muss ich mir darunter vorstellen?
Hungerbühler: Crayon ist eine norwegische IT-Lizenz-Firma mit Sitz in Oslo und der Schweizer Niederlassung in Altdorf/UR.
Mein Team umfasst weltweit 15 Juristinnen und Juristen. Vertragsverhandlungen sind unser Daily Business, welches aber mehrheitlich von meinem Team erledigt wird.

Ich bin global tätig, mehrheitlich im strategischen Bereich, dazu kommen globale Rechtsfälle die ich betreue.
Gleichzeitig bin ich Ansprechperson fürs Top-Management. Gute Personalführung ist mir wichtig und beansprucht entsprechend viel Zeit.
SLAPSHOT: In der Freizeit ist das Eishockey Ihre Leidenschaft.
Hungerbühler: Für mich ist Eishockey mehr als nur Freizeit, es ist ein Zweitjob. Sofern es die Zeit erlaubt, spiele ich zudem selber bei den Senioren des Grasshopper Club Zürich.
Neu, mit 40 Jahren, darf ich mich zusätzlich zu der Veteranen-Mannschaft gesellen, was mir mehr Optionen bei den Einsätzen ermöglicht. So habe ich die Gelegenheit, selber als Spieler auf dem Eis zu stehen und die Kameradschaft zu pflegen.
SLAPSHOT: Das Schiedsrichterwesen war bei Ihnen früh ein Thema…
Hungerbühler: Ich absolvierte als Spieler die Juniorenstufen bei den GCK Lions. Eines Tages wurde jemand gesucht, der am Mittwochnachmittag bei den Kleinsten mehr oder weniger den Puck in die Ecke wirft.
Ich habe mich gemeldet, es sagte mir zu, gleichzeitig war es eine Einnahmequelle für ein Sackgeld, verbunden mit dem Hockey.

Ich machte mit der Schiedsrichterei immer weiter, finanzierte so das Studium mit. Es war der attraktivere Nebenjob, als auf dem Schulhausareal Fenster zu putzen.
SLAPSHOT: Hat es Sie fasziniert oder war es ein Mittel zum Zweck?
Hungerbühler: Es hat mich definitiv fasziniert. Verantwortung zu übernehmen und das Eishockey aus einer anderen Perspektive zu sehen, reizte mich. Die Freude zum Sport zog mich immer wieder auf die Eisbahnen, um Spiele zu leiten.
SLAPSHOT: Wie ist es weitergegangen?
Hungerbühler: Nachdem ich mit 18 den Führerschein erlangte, wechselte ich vom Nachwuchs-Schiedsrichterwesen in die Aktivliga.
Ich begann in der 4. Liga und arbeitete mich Saison für Saison hoch. Es hätte schneller vorwärtsgehen können, aber ich spielte damals noch selber in der 2. Liga, war Captain beim SC Küsnacht.
Das genoss neben dem Studium damals meine Priorität. Hätte ich geahnt, was ich als Schiedsrichter erreichen kann, hätte ich wohl früher auf diese Karte gesetzt.
SLAPSHOT: 2019 gaben Sie als Head beim Spiel zwischen den Rapperswil-Jona Lakers und den SCL Tigers Ihr Debüt in der National League.
Hungerbühler: Das ist richtig – und schon ein paar Jahre her. Verrückt wie schnell die Zeit vergeht, ich erinnere mich noch gut an diesen ersten Einsatz in der höchsten Liga.
SLAPSHOT: Was waren die grössten Schwierigkeiten auf dem Weg in die National League? Das Zeitmanagement?
Hungerbühler: Eishockey ist für mich eine so grosse Leidenschaft, dass ich ihr fast alles unterordne. Wenn ich ein Spiel pfeifen kann, mache ich dies möglich.
Aber zurück zur Frage: Eine Herausforderung ist, sich durchzusetzen und behaupten zu können. Die Plätze in der National League sind begrenzt.

Ich sehe die Schwierigkeit vor allem in der Kontinuität, dass man seine Leistung auf hohem Niveau immer wieder abrufen kann, um jede Saison Fortschritte machen zu können.
SLAPSHOT: Wie viele Spiele leiten Sie pro Saison?
Hungerbühler: Aktuell sind es rund 70 Spiele, hauptsächlich National League-Spiele der Meisterschaft, dazu kommen Einsätze in der Vorbereitung, in den Playoffs sowie Länderspiele verschiedener Stufen während den Nati-Pausen.
SLAPSHOT: Arbeiten Sie auch in Schiedsrichter-Kommissionen mit?
Hungerbühler: Ich bin in der Ostschweiz als Teamleader für die Headschiedsrichter in der 1. Liga zuständig.
In meinen jungen Jahren gab es das nicht, so fühlte ich mich teilweise etwas alleine, respektive ich hätte meinen Weg wohl schneller gemacht, hätte mich jemand gezielt gefördert.
Heute werden die talentierten, jungen Referees gezielter entwickelt. Es ist mir ein Bedürfnis, die Schiedsrichter im Amateursport zu unterstützen. Sie schätzen es, wenn ab und zu ein Schiedsrichter aus dem Leistungssport ihre Spiele betreut.
SLAPSHOT: Wie viele Stunden hat Ihr Tag? 24 werden kaum reichen…
Hungerbühler: (lacht) Am Ende ist der Tag für jeden Menschen gleich lang, entscheidend ist, wie man ihn nutzt.
Ich mache Abstriche beim Schlaf, dazu verlange ich eine grosse Flexibilität im privaten und beruflichen Bereich.

Entscheidend ist der Wille. Teilweise führe ich auf dem Weg an ein Spiel noch Telefonate, checke nach den Spielen meine Mails oder reise bei wichtigen Sitzungen früher an den Spielort, um in der Umgebung zwischen 16 und 17.30 Uhr digital an einem Meeting teilzunehmen.
An den Wochenenden arbeite ich immer ein paar Stunden, und wenn ich am Dienstag einen Match habe, bleibe ich oftmals am Montagabend bis Mitternacht im Büro und hole die Arbeit vor.
SLAPSHOT: Wie viele Stunden Schlaf brauchen Sie pro Tag?
Hungerbühler: Das läuft auf durchschnittlich sechseinhalb Stunden hinaus. Wenn es drauf ankommt, kann ich meine Leistung abrufen, stehe auf und «stiere» etwas mehr oder weniger durch. Bislang ist das immer gut gegangen.
SLAPSHOT: Die Leidenschaft muss unheimlich gross sein…
Hungerbühler: Sie ist riesig, ja, sonst lohnt sich dieses Engagement nicht.
SLAPSHOT: Was geniessen Sie am meisten?
Hungerbühler: Das sehr hohe Niveau des Schweizer Eishockeys, bei dem ich mitten drin sein darf. Das ist ebenso faszinierend wie die Emotionen der Spieler und der Zuschauer.
Aber auch die Verantwortung, die man mir gibt. Und natürlich die Kameradschaft mit den Kollegen.
SLAPSHOT: Was ist die grösste Herausforderung? Der Druck, dass alle zuschauen?
Hungerbühler: Ich denke, bei mir ist das wie erwähnt die Konstanz. Dass man auch in einem Spiel von zwei Stunden keine Unachtsamkeit hat.

Wenn man in der 57. Minute eine Fehlentscheidung trifft, die den Match entscheidet, bringt die gute restliche Leistung nichts. Ein kurzer Aussetzer kann einen ganzen Match entscheiden.
SLAPSHOT: Gleichzeitig muss man akzeptieren, dass niemand perfekt ist.
Hungerbühler: Fehler gehören dazu, im beruflichen und im privaten Leben. Aus ihnen lernt man und entwickelt sich weiter.
SLAPSHOT: Was ist, neben Basics wie Schlittschuhlaufen oder Regelkenntnissen, für einen guten Schiedsrichter entscheidend?
Hungerbühler: Dass man im richtigen Moment den richtigen Entscheid fällt, aber auch Führungsqualitäten sind wichtig. Dass man sich bewusst ist, dass man das Spiel leitet, dass man diese Verantwortung übernehmen und hinstehen will.
SLAPSHOT: Sie haben am 26. März Ihren 40. Geburtstag gefeiert, sind in einer intensiven Lebensphase. Wie lange wollen Sie noch auf mehreren Hochzeiten tanzen?
Hungerbühler: (lacht) Ich habe immer gesagt: Bis 50 – und dann gehe ich in Pension. Man weiss nie, was passiert, aber wenn es die Situation erlaubt, möchte ich noch zehn Jahre pfeifen und arbeiten.

SLAPSHOT: Gibt es Ziele oder Träume, die Sie verfolgen?
Hungerbühler: Ein Einsatz an den Olympischen Spiele oder A-Weltmeisterschaften sind Träume. Meine Ziele sind, einen Playoff-Final zu pfeifen, den Spengler Cup und ein internationales Turnier.
SLAPSHOT: Was war Ihr bisheriges Highlight?
Hungerbühler: Dass ich mich über die Jahre in der National League etablieren konnte. Und klar, Playoff-Hockey ist nicht nur für die Spieler und Zuschauer ein Highlight, sondern auch für die Referees.