Stefanie Marty: «Das ist definitiv eine spezielle Erfahrung»
Im Interview spricht Stefanie Marty, Captain und Leistungsträgerin der SC Bern Frauen, über ihre Karriere und die Entwicklung des Schweizer Fraueneishockeys.
Slapshot: Sie haben als Achtjährige mit Eishockey begonnen. Im Vergleich zu anderen Spielerinnen aus dem Team ist das eher spät, weshalb nicht früher?
Stefanie Marty: Heutzutage trifft das sicher zu, aber zu jener Zeit war das nicht unbedingt spät, sondern eher normal. Bevor ich und meine Schwester mit dem Eishockey angefangen haben, haben wir eine halbe Saison lang Eiskunstlauf gemacht.
Unser älterer Bruder spielte damals bereits Eishockey, und dann wollten wir immer seine Ausrüstung anziehen. So sind wir via Hockeyschule auch zu dieser Sportart gekommen.
Slapshot: Dafür haben Sie bereits mit 15 Jahren im Nationalteam debütiert. Können Sie sich an Ihr erstes Länderspiel erinnern?
Marty: Ich weiss, dass das Debüt im Herbst 2003 war. Ein halbes Jahr später habe ich bereits an meiner ersten Weltmeisterschaft teilgenommen.
Die Reise führte uns damals nach Nordamerika, genauer gesagt nach Halifax. Das war ein grosses Erlebnis, auch wenn es sportlich nicht super lief.
Slapshot: Im Fraueneishockey ist es nicht unüblich, dass die Karriere vor dem Erreichen des 30. Altersjahr zu Ende geht.
Sie sind mittlerweile 35 Jahre alt und 2015 aus dem Nationalteam zurückgetreten. Was motiviert Sie, weiterhin auf Klubebene zu spielen?
Marty: Ganz klar: die Begeisterung fürs Eishockey. Solange ich Spass am Spielen habe, werde ich das auch noch tun. Ganz allgemein treibe ich gerne Sport, und der Teamsport begeistert mich.
Nach jeder Saison frage ich mich selbst auch wieder, was ich an den Wochenenden im Winter am liebsten mache. Dann ist die Antwort immer noch: Eishockey spielen. Solange das so ist, werde ich noch weiter spielen.
Slapshot: Sie sind mehr als doppelt so alt wie die jüngste Spielerin im Team – fühlt sich das speziell an?
Marty: Ich fühle mich weder speziell jung noch speziell alt. Fakt ist: Ich habe eine ganz andere Rolle im Team als noch vor einigen Jahren, und diese nehme ich gerne ein.
Gleichzeitig wird mir durch die jungen Spielerinnen und die Teamdynamik viel mehr aufgezeigt, dass sich die Zeiten geändert haben.
Früher waren Teamaktivitäten das Grösste, heute haben solche Aktivitäten abgenommen, was ich schade finde. Für mich ist es manchmal schwierig nachvollziehbar, dass man sich lieber mit dem Handy beschäftigt als mit seinen Teamkolleginnen.
Da bin ich schon froh, kann ich auch gut ohne TikTok und andere soziale Medien auskommen, von denen ich teilweise schon gar nicht weiss, wie sie heissen oder wozu sie da sind.
Slapshot: Von Ihren Erfahrungen können die jungen Spielerinnen profitieren. Was gibt es umgekehrt, was Sie von den Jüngsten lernen können?
Marty: Es erinnert mich an die Zeit, als ich noch etwas unbeschwerter an die Sachen herangegangen bin. In diesem Alter fiel es mir leichter, mich nur auf mein Spiel zu konzentrieren und weniger die Dinge, welche rundherum geschehen zu sehen und diese beeinflussen zu wollen.
Heute ist es mir wichtig, dass das Team funktioniert und alle involviert sind. Dabei will ich ein gutes Vorbild sein und den jüngeren Spielerinnen mitgeben, was es alles für den persönlichen Erfolg wie auch für jenen des Teams braucht.
Freude, an dem was man macht, ist sicherlich das Wichtigste, aber auch eine gewisse Disziplin braucht es, um erfolgreich zu sein. Gleichzeitig will ich den jungen Spielerinnen nicht zu viel reinreden und sie einfach spielen lassen.
Ich versuche, die gute Stimmung von den Jungen aufzunehmen, aber ich muss mich nicht mehr so jung fühlen, wie sie sind. Die aktuelle Generationen-Mischung in unserem Team finde ich super.
Slapshot: Auf die Saison 2021/22 hin sind Sie zu BOMO gewechselt. Was war damals der ausschlaggebende Punkt für diesen Wechsel in die Region Bern?
Marty: Ich wohnte damals wie heute immer noch in Bern. Aus diesem Grund kam für mich nur ein Verein aus der Region in Frage, denn ich mochte für die Trainings nicht mehr lange Wege in Kauf nehmen.
Sonst wäre der Spass verloren gegangen. Und nun haben wir ein sehr gutes Team mit einem super Coach aufgebaut, deshalb bin ich immer noch Teil davon.
Slapshot: Aus den Berner Oberland Modis wurden diesen Sommer die SC Bern Frauen. Noch vor wenigen Jahren hätten Sie es wohl kaum für möglich gehalten, eines Tages mit dem Bären auf der Brust auflaufen zu können
Marty: Nein, das hätte ich wirklich nicht gedacht, auch noch nicht, als das Gerücht das erste Mal die Runde machte. Ich dachte, bis es dann so weit ist, dauert es noch ein paar Jahre, und ich werde dies nicht mehr als aktive Spielerin erleben.
Das Projekt ging innerhalb von ein, zwei Saisons sehr schnell voran. Im Eishockey habe ich schon viel erlebt, aber das ist definitiv noch einmal eine spezielle Erfahrung, die ich hier beim SCB als Spielerin machen darf.
Slapshot: Wie lautet Ihr Fazit nach einigen Monaten SC Bern Frauen?
Marty: Das ist sehr positiv! Wir wussten alle Anfangs Saison, dass wir ein sehr gutes Team haben. Wahrscheinlich hat noch keine Spielerin aus unseren Reihen je zuvor in einem so ausgeglichenen Team gespielt – ausser vielleicht die Spielerinnen aus dem Ausland.
Wir haben drei Linien, von denen alle richtig Gas geben. Dieser Aspekt führt dazu, dass die Trainings sehr gut laufen, denn durch diesen Umstand ist man dort immer gefordert.
Und natürlich freut es mich, dass wir in dieser Saison bis anhin häufig als Siegerinnen vom Feld gegangen sind und in der Tabelle vorne mitmischen.
Ich bin aber auch froh, gibt es Teams, die mit uns auf Augenhöhe mitspielen können, denn solch enge Spiele, die wir dann gewinnen können, machen viel mehr Spass, als wenn es deutliche Siege sind.
Slapshot: Sie und die neue finnische Stürmerin Jenna Suokko haben sich ziemlich schnell gefunden, bereits in den Vorbereitungsspielen waren viele gute Kombinationen zu sehen. Haben Sie eine Erklärung dafür?
Marty: Wir sind beides Spielerinnen, die gerne nach System spielen und eine gute Spielübersicht haben. Das hilft uns dabei, gemeinsam gute Kombinationen zu spielen. Was wir sicher auch gemeinsam haben, ist unser Ehrgeiz.
Auch Jenna weiss aus ihrer Zeit in Amerika, was es benötigt, um sich durchzusetzen. Wir verstehen uns auch neben dem Eis sehr gut, das hilft sicher.
Slapshot: Auch Sie haben eine Vergangenheit im Ausland und vor allem auch im Nationalteam: drei Olympia-Teilnahmen, zehn Weltmeisterschaften. Verbinden Sie damit Ihre Karriere-Highlights?
Marty: Der Gewinn von Olympia-Bronze 2014 in Sotschi ist sicherlich mein Karriere-Highlight! Damals hatte das Frauen-Eishockey alle vier Jahre ein Fenster, in dem es eine grössere Aufmerksamkeit erhielt als in der restlichen Zeit.
Was heute noch immer der Fall ist. Die beiden Meistertitel, die ich während meiner Zeit in Schweden mit dem Linköping HC gewinnen konnte, sind nach der Olympia-Bronze zuoberst einzustufen. Auch die beiden Schweizer Meistertitel mit dem EV Zug als noch nicht einmal 18-Jährige zähle ich zu den Highlights.
Slapshot: Apropos Zug: Sie haben vier Jahre für den EVZ gespielt, danach wurde das Team aufgelöst. Nun stellt Zug wieder ein hoch ambitioniertes Team, welches nicht in der obersten Liga einsteigen durfte und nun die zweithöchste Liga mit zweistelligen Tordifferenzen dominiert. Was sagen Sie dazu?
Marty: Für die höchste Liga finde ich es schade, denn aktuell haben wir zu wenig Spielerinnen, die auf einem sehr guten Niveau spielen können. Das führt dazu, dass die acht Teams in der PostFinance Women’s League in eine «Zweiklassengesellschaft» aufgeteilt sind.
Auf der anderen Seite war es aus sportlicher Sicht vertretbar, dass man als neu gegründetes Team nicht direkt in der obersten Liga einsteigen kann. Grundsätzlich ist diese Situation für das Niveau im Fraueneishockey nicht gut.
Slapshot: Auf diese Saison hin wurden in der PostFinance Women’s League – analog zu den Männern – TopScorer-Shirts und -Helme eingeführt. Sie als Captain durften zum Saisonstart mit dem TopScorer-Brand einlaufen. Hat es sich so «fresh» angefühlt, wie Sie in einem Video der PostFinance erklärt haben?
Marty: Sobald du als Spielerin die Ausrüstung angezogen hast, merkst du gar nicht mehr, dass da Flammen auf deinem Shirt und Helm sind.
Ich finde es aber super, dass dies nun bei den Frauen auch eingeführt wurde. Es zeigt eine gewisse Wertschätzung und ist ein weiterer Schritt in die Richtung, wo sich das Männereishockey schon länger befindet.
Slapshot: Wie bei den Männern hat sich das Eishockey in den letzten 20 Jahren auch bei den Frauen stark verändert. Wie haben Sie die Entwicklung des Materials erlebt?
Marty: Als ich mit Eishockey angefangen habe, hat es tatsächlich schon Carbon-Stöcke gegeben, ganz so alt bin ich dann doch noch nicht! (schmunzelt)
Mit den neuen Ausrüstungsgegenständen ist es so eine Sache, das hat man in der Regel nicht so gerne. Mein «Ächseler» (Brustpanzer) ist bestimmt 15-jährig.
Slapshot: Das Fraueneishockey erhält seit einiger Zeit spürbar mehr Präsenz in den Medien. Geniessen Sie die gestiegene Aufmerksamkeit?
Marty: Ich suche diese Aufmerksamkeit nicht, aber wenn sie den Sport weiterbringt, dann mache ich es gerne. Ich habe aber auch nichts dagegen, wenn auch mal eine andere Spielerin ein Interview übernimmt. Ich als Aargauerin schicke beim SCB auch gerne eine Bernerin voran.
Aber wie erwähnt, finde ich es grundsätzlich sehr positiv, bekommen wir als Spielerinnen nicht nur noch an den Olympischen Spielen Aufmerksamkeit von den Medien.
Slapshot: Fraueneishockey erhält in der Öffentlichkeit deutlich weniger Aufmerksamkeit als Frauenfussball. Wo liegen die Gründe?
Marty: Das ist schwierig zu sagen, aber es ist offensichtlich, dass wir in vielen Punkten fünf bis zehn Jahre hinterherhinken.
Uns fehlt vor allem nach wie vor die Breite. Es braucht mehr junge Spielerinnen, die nachkommen und im Gegenzug weniger, die bereits 25-jährig aufhören! Diese Entwicklung geschieht nicht von heute auf morgen, da braucht es Zeit und Geduld.
Slapshot: In welchen Bereichen sehen Sie Verbesserungspotenzial, damit das Fraueneishockey in der Schweiz populärer wird?
Marty: In Sachen Infrastruktur können und müssen die Vereine im Fraueneishockey noch viel machen, das ist einer der wichtigsten Punkte. Die eigene Garderobe und einen Kraftraum, wie wir es nun hier in Bern haben, sind schon sehr nützlich, aber leider ist das noch lange nicht überall der Fall.
Der Verband hat in den letzten Jahren sehr viel ins Fraueneishockey investiert. Das sieht man beispielsweise am Spitzensport-Zentrum OYM, aber auch die Durchführung der Camps ist viel professioneller geworden.
Slapshot: In Nordamerika wurde kürzlich die «Professional Women’s Hockey League» (PWHL) gegründet. Denken Sie, diese erste Profi-Eishockey-Liga für Frauen hat längerfristig einen positiven Effekt auf die Sportart in Europa?
Marty: Zurzeit weiss man allgemein noch sehr wenig über die Liga. Aber ja, ich denke schon. Es hilft sicher, dass wir mit Alina Müller eine Schweizer Spielerin in dieser Liga haben, die für viele ein Vorbild ist.
Aber es ist eine Illusion, dass es bei uns in naher Zukunft ähnlich sein wird wie in Amerika, denn der Sport hat dort einen ganz anderen Stellenwert.
Slapshot: Wo sehen Sie das Schweizer Fraueneishockey in zehn Jahren?
Marty: Profis werden die Eishockey-Spielerinnen auch dannzumal noch nicht sein, aber meine Hoffnung ist, dass die Frauen Halbprofis sein können, nebenbei nicht mehr Vollzeit arbeiten müssen und im Eishockey 40 Prozent Lohn bekommen werden.
So könnte zum Beispiel auch an einem Nachmittag trainiert werden und nicht erst am Abend um 20 Uhr. Mein Anspruch ist nicht, dass wir das Gleiche verdienen wie die Männer, mir geht es vielmehr um die Anerkennung.
Über die Eishockeyspielerin Stefanie Marty
Geboren: 16. April 1988. Beruf: Fachexpertin Planung in der Beschaffung und Modernisierung von Zügen im Personenverkehr der SBB. Vertrag SC Bern Frauen: Saison 2023/24
Stationen: EHC Wettingen-Baden/Argovia Stars (Nachwuchs), DHC Langenthal, EV Zug Damen, Univ. of New Hampshire (USA), Syracuse Univ. (USA), SC Reinach Damen, Linköping HC (SWE), Neuchâtel Hockey Academy, EV Bomo Thun, SC Bern Frauen.
Grösste Erfolge: 2012 WMBronze (in den USA), 2014 Olympia-Bronze (in Sotschi), zwei Schwedische Meistertitel mit Linköping HC (2014 und 2015), zwei Schweizer Meistertitel mit dem EV Zug (2004 und 2005).