Dario Wüthrich: Zwischen Todesdrama und WM-Traum
Dario Wüthrich, Verteidiger des HC Ambrì-Piotta, verlor seine Lebenspartnerin durch ein Lawinenunglück. Vier Monate später schaffte er es fast in den WM-Kader.

Es war eine Meldung, welche die Schweizer Sportwelt kurz vor Weihnachten erschütterte. Am 23. Dezember verstarb die Snowboarderin Sophie Hediger bei einem Lawinenunglück in Arosa. Schock und Trauer waren gross. Am grössten natürlich bei Hedigers Familie und ihrem Lebenspartner, dem Eishockey-Profi Dario Wüthrich, der beim HC Ambrì-Piotta engagiert ist.
Wüthrich spielte trotz des fürchterlichen Dramas weiter, wurde von der Eishockey-Familie in Ambrì sowie in der ganzen Schweiz aufgefangen. Im ersten Heimspiel nach dem Unglück gab es emotionale Bilder in der Gottardo-Arena zu sehen. Sophie Hediger wurde mit einer Trauerminute gedacht, nach der Partie wurde Wüthrich zum besten Spieler gewählt. Beim Aargauer flossen die Tränen.
Den letzten Kaderschnitten zum Opfer gefallen
Seit der unfassbaren Tragödie in den Bündner Bergen sind nun über vier Monate vergangen. Die Wunden des Verlusts sind natürlich längst nicht verheilt – das werden sie wohl nie vollumfänglich. Und trotzdem hat Dario Wüthrich mittlerweile auch wieder Grund zum Lachen.
Vor allem deshalb, weil er eine Woche vor dem Auftakt zur Eishockey-WM in Dänemark (9. bis 22. Mai) immer noch zum Kader der Schweizer Nationalmannschaft gehörte. Erst am Freitag, vor den beiden letzten Testspielen in Tschechien, fiel der Aargauer einem der letzten Kaderschnitte zum Opfer.

Dass Dario Wüthrich bis fast ganz zum Schluss immer noch zu den WM-Kandidaten gehörte, damit hat wohl niemand gerechnet – auch nicht er selber. Schon alleine die Tatsache, dass er nach dem Saisonende mit Ambrì-Piotta einen Anruf von Nationaltrainer Patrick Fischer erhielt, kam für ihn völlig unerwartet.
Pläne für den Frühling hatte er noch nicht. Umso glücklicher war Wüthrich, dass seine Saison im Rahmen der Nationalmannschaft weiterging.
Der Aufstieg des 25-Jährigen ist eine der erstaunlichsten Geschichten des Eishockey-Jahrs. Aus einem Spieler, der vor nicht allzu langer Zeit nicht einmal beim HC Ambrì-Piotta über die Rolle des fünften oder sechsten Verteidigers hinauskam und von dem man eher ausging, dass er immer wieder um einen Vertrag in der National League kämpfen muss, ist nun ein Spieler geworden, der sich und seine Rolle gefunden hat.
Er jagt nicht mehr einem Phantom hinterher
Was ist passiert? «Ich habe in dieser Saison meinen Stil als Verteidiger gefunden. Und auch akzeptiert, auf diese Art und Weise zu spielen», umschreibt Dario Wüthrich den Prozess.
Anders ausgedrückt: Aus einem Spieler, der gefangen war in seiner Suche nach dem erwünschten Profil, wurde einer, der genau weiss, was er will – und vor allem kann. Er jagte nicht mehr einem Phantom hinterher, welches er sowieso nie einfangen würde.
«Ich habe oft zu kompliziert gespielt. Irgendwann kam der Punkt, wo ich das beseitigen konnte und einfach zu spielen begann.» Der Mann aus Würenlos wird emotional, wenn er an den Weg denkt, den er in den letzten Monaten seit dem tödlichen Unglück seiner Lebenspartnerin gegangen ist.
«Was ich aus Sophies Tod mitnehmen kann, ist, dass ich versuche, im Leben mehr das Positive zu sehen als das Negative. Mehr im Moment zu leben, zu geniessen, was man hat. Gar nicht gross in die Zukunft schauen.»

Auch wenn es mit dem WM-Aufgebot letztlich nicht geklappt hat, so hat Dario Wüthrich sein Mantra gefunden.
Er unterstreicht: «Was auch immer passiert: Das Leben geht weiter. Diese Einstellung habe ich seit Sophies Tod. Früher war ich eher der verkrampfte Typ, der sich zu viele Gedanken über unnötige Dinge machte. So ein Einschnitt macht einem deutlich, dass das Leben schön ist. Und man es viel mehr geniessen sollte.»
Schaut man sich das grosse Bild an, dann ist die Geschichte des Dario Wüthrich eigentlich kaum greifbar. Eine Reise zwischen Albtraum und WM-Traum: «Es ist kaum zu fassen, was in den letzten Wochen passiert ist.
Ist es wegen Sophies Tod? Ich kann es nicht erklären. Irgendwie kann ich aber auch nicht glauben, dass das alles Zufall ist, dass ich so lange bei der Nationalmannschaft dabei sein durfte. Momentan ist mein Leben völlig verrückt», erzählt er sichtlich bewegt.
Dankbar nach einer ungemein aufwühlenden Zeit
Klar ist: Auf dem langen Weg des Heilungsprozesses sind diese Tage und Wochen nicht nur für Dario Wüthrich ungemein wertvoll, sondern auch für sein familiäres Umfeld, welches durch den furchtbaren Verlust ihrer Liebsten ebenso komplett aus der Bahn geworfen wurde: «Die Familie von Sophie hat unglaublich Freude. Wir haben immer noch sehr, sehr engen Kontakt. Es tut mir und ihnen so gut, dass wir das hier erleben durften.»

Und auch wenn aus dem Familientrip zur WM ins dänische Herning als krönendem Abschluss einer unglaublich aufwühlenden und hochemotionalen Zeit nichts wird, ist Wüthrich dankbar: «Es kommt so, wie es kommen muss.»