Holt die Schweiz eine WM-Medaille?
In dieser Ausgabe von «Pro und Contra» geben Nicola Berger und Michael Krein Antwort auf die Frage, ob der HC Davos den Spengler-Cup gewinnt.
Ja
Von Michael Krein, SLAPSHOT-Autor, Blogger und MySports-Kommentator
...oder eher «Ja, aber» muss es heissen. Dieses «Ja» ist nur umsetzbar mit zwei Grundvoraussetzungen.
Ohne unsere Übersee-Söldner ist eine Medaille nicht möglich, diese Voraussetzung muss gegeben sein. Die zweite Voraussetzung ist, dass die Schweiz auf dem Weg zur Medaille nicht auf Deutschland trifft. Sind diese zwei Grundsätze erfüllt, ist für die Schweiz an jedem Turnier eine Medaille möglich.
Der erste Grundsatz ist durch Patrick Fischers Engagement bereits im Vorfeld der Weltmeisterschaft in Prag und Ostrava teilweise gegeben.
Bei Redaktionsschluss dieser Nummer stehen mit Akira Schmid, Jonas Siegenthaler, Nico Hischier und Philipp Kurashev, vier von elf möglichen Nordamerika-Söldnern zur Verfügung, J.J. Moser und Timo Meier sind leider nicht dabei und in die Kategorie «unglücklich» gehört die «Causa Liam Bichsel».
Nino Niederreiter dürfte nach dem Playoff-Ausscheiden mit Winnipeg ebenfalls dazustossen, Kevin Fiala und Roman Josi, der wichtigste von allen, stehen in den Playoffs ebenfalls kurz vor dem aus. Wenn diese drei den Weg nach Prag finden, dann ist die dritte Medaille innert elf Jahren griffbereit.
Trotz aller Herrlichkeit darf man dabei nicht vergessen, dass die Schweiz auch mit allen NHL-Söldnern, auch ohne Russland, nicht zu den Top-Vier-Nationen gehört und eine Medaille darf nicht erwartet werden. Wer aber in den letzten drei Jahren die Vorrunde derart dominiert hat wie die Schweiz, für den zählt nur eine Medaille.
Die Klasse der Mannschaft steht, auch ohne einen Josi, ausser Frage. Dennoch ist Josi der entscheidende Faktor für Edelmetall. Josi hat seine letzte Weltmeisterschaft 2019 in Bratislava bestritten, seither hat die Schweiz, ohne Josi, als Favorit dreimal im Viertelfinal versagt.
Für einen Exploit in den Halbfinal ist der James-Norris-Trophy- Gewinner von 2020 das wichtigste Puzzle-Teil. In der aktuellen Spielzeit hat kein NHL-Verteidiger in der Regular-Season mehr Tore erzielt als der Berner.
Zudem ist Josi, einer der besten Verteidiger der Welt, neben Nino Niedereiter und Reto Berra der einzige Schweizer, welcher bei den letzten zwei Medaillengewinnen (2013 und 2018) dabei gewesen ist. Allein schon Josis Aura und Anwesenheit lässt die gesamte Kabine in Hochform auflaufen.
Nun, ist da noch die Sache mit den Deutschen. Trotz aller Herrlichkeit unserer NHL-Grössen gilt es, den Weg der Deutschen, der WM-Finalisten des Vorjahres, nicht zu kreuzen.
Gepaart mit dem ersten Grundsatz, Josi inklusive, steht Fischers Mannschaft am letzten WM-Wochenende in Prag noch im Einsatz. Der Zeitpunkt dafür könnte nicht besser sein, im Fünfjahres-Takt hätte man dann eine Medaille geholt, 2013, 2018 und durch den Ausfall der WM 2020, 2024.
Nein
Sechs Jahre sind vergangen, seit die Schweiz letztmals einen WM- oder Olympia- Viertelfinal gewann. 2018 in Kopenhagen war das, als das unwiderstehliche Schweizer Kollektiv erst im Penaltyschiessen von Schweden gestoppt wurde. Seither versagte das Team unter dem Trainer Patrick Fischer in entscheidenden Spielen immer.
Auch die oft mitreissenden Auftritte in Gruppenspielen vermögen die miserable Bilanz nicht aufzuhellen – 2023 holte sogar Lettland eine Medaille; eine Nation, welche nicht einmal über eine eigene Profiliga verfügt. Zwei Mal unterlag die Schweiz in Viertelfinals Deutschland, je einmal Finnland, den USA und Kanada.
Selbstverständlich ist es möglich, dass in Prag alles anders wird, vielleicht eilt ja noch unser Herr und Erlöser Roman Josi herbei und schiesst diese Mannschaft zum ersten Weltmeistertitel der Historie. Doch nach den desillusionierenden Auftritten der letzten Jahre fällt der Glaube an die Wende schwer. Zumal die Schweiz zuletzt mehrere goldene Chancen ausgelassen hat.
Seit dem Beginn des Angriffskriegs auf die Ukraine von 2022 ist mit der Weltnummer 3 Russland einer der grossen Mitfavoriten den WM-Turnieren ausgeschlossen.
Und die Schweiz hätte auch vom schleichenden internationalen Bedeutungsverlust der WM profitieren müssen: Das Turnier 2023 in Lettland war auffallend schwach besetzt, mehrere Top-Nationen traten mit C-Auswahlen an. Die meisten WM-Kader standen bei Redaktionsschluss noch nicht fest, aber die Indizien mehrten sich, dass das 2024 anders sein wird.
Der Grund ist die Rückkehr der NHL-Spieler für die Olympischen Spiele von 2026 in Italien sowie 2030. Für die Nationalverbände dient dieser Entscheid als Druckmittel, um an den Weltmeisterschaften kompetitivere Kader stellen zu können.
Natürlich müssen Lichtgestalten wie Connor McDavid nicht ernsthaft um ihre Teilnahme bangen, aber der Konkurrenzkampf in den Linien 2 bis 4 wird bei Ländern wie Kanada (434 NHL-Spieler), den USA (288), Schweden (101), Tschechien (32) und Finnland (48) enorm sein. Wer seine Olympia-Chancen verbessern will, dürfte gut beraten sein, bis dann zumindest eine WM zu bestreiten.
Den Schweizer Medaillenaussichten wird das kaum zuträglich sein. Aber die Zeit der Ausreden ist ohnehin vorbei. Gelingt in Prag nicht der grosse Befreiungsschlag, wird es im Umkreis des Nationalteams Zeit für ein reinigendes Gewitter, welches im Hinblick auf die Heim-WM 2026 den Weg für neue Hoffnungsträger freimacht.
Von Nicola Berger, SLAPSHOT-Autor und NZZ-Redaktor