Ehepaar Signorell: «Das Dogma muss raus aus den Köpfen»
Dayana und Riccardo Signorell sind daran, mit den Produkten ihrer Firma «Green Hockey» das Eishockey zu revolutionieren.
SLAPSHOT: Wie seid ihr auf eure Geschäftsideen gekommen?
Dayana Signorell: Seit ich Riccardo kenne, habe ich bei ihm eine latente Unzufriedenheit was das Material angeht ausgemacht. Irgendwann habe ich gesagt: Warum machst du es nicht einfach selbst?
Riccardo Signorell: Ich kam mit sieben Jahren zum Eishockey. Und ja, wirklich zufrieden war ich nie. Nicht mit den Stöcken, zum Beispiel.
Ich schnappte diese unglaubliche Zahl auf: Dass weltweit pro Jahr mehrere Millionen kaputte Carbon-Stöcke weggeworfen werden. Während Corona begann ich damit, in dieser Hinsicht zu tüfteln.
Alpo Suhonen brachte uns einen finnischen Stock namens «Pama» vorbei und meinte, wir sollen doch beim Marketing helfen. Der Stock hatte viel Gutes, konnte aber noch verfeinert werden. So sind die Geister zum Produkt Eishockey wieder aufgewacht. Und haben uns bis heute nicht mehr losgelassen.
SLAPSHOT: Wieso?
Riccardo: Wir realisierten, dass es im Eishockey grausam viele Baustellen gibt. Zum Beispiel, wie viel Wasser für die Eisaufbereitung benötigt wird und welche Stromkosten das alles verursacht.
Es gibt Schweizer Gemeinden, die im September bei 30 Grad Aussentemperatur ein Ausseneisfeld betreiben. Es ist Wahnsinn.
Wir sind dann über eine Carbon/StahlBlade-Entwicklung mit normalen Stahlblades beim synthetischen Eis gelandet und waren von der Perfomance, dem Gleiten und Bremsen mit diesen Kufen, extrem enttäuscht.
Daraus entstand die Idee, eine neue, austauschbare Kufe zu entwickeln. In Zusammenarbeit mit der Fachhochschule OST/IWK und Partner aus der Schweizer Metallindustrie, ist dann unser klickbares Sharkblade entstanden. Aber die Performance mit den bestehenden Produkten war nicht optimal.
So haben wir uns kurz danach auch noch auf die Kunststoffmischungen gestürzt, um eine optimale Symbiose zwischen Blade und Unterlage zu kreieren, die uns heute extrem nahe ans authentische Eisfeeling bringt.
Wir hatten keine Ahnung und haben vieles einfach mal ausprobiert. Rückblickend war diese Unbefangenheit ein Segen für uns. Unser Unwissen hat uns viel kreative Freiheit ermöglicht, so könnte man es ausdrücken.
SLAPSHOT: Ihr habt zuvor vor allem Filme realisiert. Ein völlig anderes Metier.
Dayana: Ja, und wir tun das immer noch. Filme sind mein Background, ich habe einst die Lee-Strasberg-Schauspielschule in New York absolviert.
Aber es ist keine einfache Branche. Die Budgets sind kleiner geworden, und in der Schweiz Spielfilme zu realisieren, ist meist ziemlich brotlose Kunst.
Wir haben schon länger eine neue Herausforderung gesucht. Wobei ich sagen muss: Wenn wir vorher gewusst hätten, wie komplex und anspruchsvoll das alles wird, hätten wir den Schritt wahrscheinlich nicht gewagt. Wir waren immer wieder ziemlich am Anschlag.
Es gab Abende, da wollte ich schreien, wenn noch einmal jemand das Wort Eishockey sagt. Oder darüber diskutiert, ob es jetzt 9 oder 10 Röllchen an einem Sharkblade sein müssen. Aber hey, es hat sich gelohnt. Ich bin sehr stolz darauf, was wir erarbeitet haben.
«Für mich war das positive Feedback der Spieler sehr erfüllend. Wenn ein Nico Hischier sagt: Näher ans Eis kommen wir wahrscheinlich nicht mehr heran, dann ist das ein schönes Kompliment.» Riccardo Signorell
SLAPSHOT: Plastik hat nicht das beste Image. Versucht ihr deshalb, eure Produktpalette auf Nachhaltigkeit zu trimmen?
Dayana: Mit unserer Kommunikationsfirma haben wir immer wieder Filme für Unternehmen zum Thema Nachhaltigkeit produziert. Das hat uns in dieser Hinsicht zusätzlich sensibilisiert.
Riccardo: Für uns war klar, dass wenn wir schon Plastik in der Welt verteilen, dieser mindestens rezykliert werden muss.
Irgendwo müssen wir auch im Sport damit beginnen, dass es nicht immer ausschliesslich um Performance, sondern eben auch um Nachhaltigkeit geht.
Wir kaufen deshalb in Südostasien am Strand und in Flüssen aus dem Meer zurückgespültes, rezykliertes Plastik ein und produzieren daraus «Oceanice». Wir bieten mit dieser Kombination die Lösung zur Demokratisierung des Eishockeys.
Weil wir Platzprobleme lösen, sich so alle Bevölkerungsschichten die Sportart wieder leisten können und man das ganze Jahr spielen kann. Wir beobachten einen immer stärkeren Trend dazu, dass es in Richtung der Formel 1 geht. Wo es sich nur noch Superreiche leisten können, die Sportart zu betreiben.
Gerade waren wir in an der US-Ostküste, dort berichteten uns Trainer, dass eine Stunde Eismiete in New York bis zu 1200 US-Dollar kostet. Wer kann sich so etwas leisten? Das ist nicht die Idee, Eishockey ist Volkssport.
Aber die Realität ist, dass Eishockey heute selbst in der Schweiz ein Sport ist, der für die überwältigende Mehrheit der aktiven Spieler während fast einem halben Jahr nicht trainiert werden kann. Und auch im Winter fehlt es überall an verfügbarem Eis.
SLAPSHOT: Welche Akzeptanz findet ihr bei den Spielern und auf dem Markt?
Dayana: Unser Online-Shop ist erst seit März online. Wir haben schon Sharkblades nach Japan, Südkorea, Südafrika, Kanada, Finnland, in die USA und nach Ungarn verkauft.
Das nächste und spannendste Projekt hier in der Schweiz ist aber bestimmt Langnau, wo wir im neuen Trainingszentrum der SCL Tigers im August 200 Quadratmeter verlegen werden.
Aber ich stelle schon fest, dass die Branche im Ausland uns gegenüber offener ist. Wahrscheinlich werden wir in einer langen Liste von Erfindern stehen, die erst in der Ferne Erfolge feiern, bevor es in der Schweiz dann richtig losgeht.
Es gibt schon Momente, in denen man sich fragt: Warum geht es nicht schneller und warum sieht man die Chancen nicht?
Riccardo: Für mich war das positive Feedback der Spieler sehr erfüllend. Wenn ein Nico Hischier sagt: Näher ans Eis kommen wir wahrscheinlich nicht mehr heran, dann ist das ein schönes Kompliment.
Wir trafen kürzlich den «Head of Sustainability» der NHL. Auch da gibt es Interesse.
Ich kann nur jedem empfehlen, sich mit unserer Lösung ernsthaft auseinanderzusetzen. Denn es macht heute einfach keinen Sinn mehr, für mehr als zehn Millionen Franken eine nicht optimierte Eisbahn zu bauen.
Das sind, wenn man es nicht richtig macht, überteuerte Kühlschränke und Energiefresser. Konventionelle Eisbahnen und Eishallen in der Schweiz kosten jährlich zwischen 350'000 und 900'000 Franken allein an Strom und Wasser.
Das ist schlecht für die Gemeinden und schlecht für die Umwelt. Es stimmt, was Dayana punkto Ausland sagt: Wir haben deshalb in mehreren Ländern Ableger gegründet. In Tschechien, den USA. Und auch in Kanada.
Dort baut Claude Vilgrain, der ehemalige Stürmer des EHC Biel, zusammen mit Peter Martin, dem früheren Goalie von Chur und Ambrì-Piotta, Green Hockey Canada auf.
SLAPSHOT: Ihr sprecht von einer «Demokratisierung», aber genügend Quadratmeter Fläche plus Zubehör, um zu Hause trainieren zu können, kosten heute um die 5000 Franken. Das können sich die wenigsten Familien leisten.
Riccardo: Was wir feststellen: Es gibt Eltern, die sich zusammenschliessen. Das kann eine Lösung sein. Ich bin in Chur neben einer Eisbahn aufgewachsen und habe im Winter täglich jede freie Minute auf dem Eis verbracht.
Hätte ich als Kind im Keller oder der Garage diesen Untergrund für Skills & Repetition gehabt, ich wäre im siebten Himmel gewesen. Solche Flächen schaffen auf kleinstem Raum ein immenses Trainingspotenzial.
Heute hat kaum jemand diese Möglichkeiten. Dazu kommt die Belastung für die Eltern, wenn sie ihre Kinder x-mal pro Woche ins Training fahren müssen. Die Investition ist oft schon nach einem Jahr amortisiert.
In Kanada und den USA ist ein «Homerink» oder das «Skill Center» normal geworden. Die neuen Stars wie Connor Bedard oder Auston Matthews sind Spieler, die mit viel Wiederholung und Extrastunden zum Erfolg gekommen sind. Da haben wir bei uns noch extrem viel Aufholbedarf.
SLAPSHOT: Eis bleibt Eis und Plastik bleibt Plastik. Glaubt ihr, dass irgendwann offizielle Spiele auf eurer Unterlage ausgetragen werden?
Riccardo: Das Tennis kennt auch mehrere Beläge. Im Fussball wird auf Kunstrasen gespielt. Wieso soll es im Eishockey nicht auch eine zweite Unterlage geben?
Wir haben keine andere Wahl, wenn wir nicht zu einem Sport werden wollen, den nur die Elite ausüben kann.
Das Dogma muss raus aus den Köpfen. Und ich sehe überhaupt keine Probleme dabei, wenn im Nachwuchs, den unteren Ligen, den warmen Ländern aber auch im Plausch-Hockey auf synthetischem Eis gespielt wird. Das wird zum neuen «Normal» werden.
Wir befinden uns diesbezüglich in Gesprächen mit dem Weltverband IIHF, aber auch mit Swiss Ice Hockey. Es ist auch denkbar, dass als erster Schritt bald eine Sommer-Hockey-Liga startet. Und quasi das Inline-Hockey ablöst.
SLAPSHOT: Ihr lasst eure Produkte in der Schweiz und im benachbarten Europa fertigen. Ist das ein bewusster Entscheid?
Dayana: Absolut. Die Stöcke kommen heute praktisch alle aus Asien. Man kann sich fragen, welchen Sinn das macht, rein umwelttechnisch.
Wir haben in der Schweiz eine so starke Industrie, für uns war es klar, dass die Produktion hier stattfinden muss.
Dafür nehmen wir gerne in Kauf, dass es ein paar Franken mehr kostet und unsere Marge kleiner ist. Es ist sowieso nicht unser Ziel, möglichst viel Geld zu scheffeln. Wir wollen einen Beitrag dafür leisten, dass das Eishockey nachhaltiger wird. Dass mehr Kinder diesen wunderbaren Sport ausüben können.
Und für uns ist klar, dass wir Teile des Gewinns zurückgeben. Wenn wir irgendwo helfen können, versuchen wir das zu tun.
Es gibt gerade Beispiele aus dem Kanton Uri und Tschechien, wo die Leute nicht weiterwissen, weil ihnen das Eis und das Geld fehlt. Wir versuchen zu helfen, Lösungen zu finden.
Riccardo: Es haben uns hier so viele Menschen geholfen, ehemalige Sauber-Ingenieure aus Hinwil beispielsweise. Und wir sind bei den Produzenten auf viel Enthusiasmus gestossen.
Es hat nie einer gesagt: Wer seid ihr, was wollt ihr überhaupt und wie wird das bezahlt? Da war es für uns klar, dass wir das hiesige Knowhow der sehr lebendigen Schweizer KMU-Landschaft nutzen wollen.
«Es ist sowieso nicht unser Ziel, möglichst viel Geld zu scheffeln. Wir wollen einen Beitrag dafür leisten, dass das Eishockey nachhaltiger wird. Dass mehr Kinder diesen wunderbaren Sport ausüben können.» Dayana Signorell
SLAPSHOT: Für Nino Niederreiter und Ryan O’Reilly habt ihr eine spezielle Carbon-Stahlkufe für die Schlittschuhe entwickelt. Was kommt als nächstes?
Dayana: Wir haben so viele Ideen, dass wir uns selbst bremsen müssen. Momentan arbeiten wir an einem Puck, dem «Greenly», welcher das Tempo auf der neuen Unterlage mitmachen kann.
Aber auch unsere Tage haben nur 24 Stunden. Unser Fokus liegt im Moment auf der Skalierbarkeit, so dass wir auf die globale Nachfrage reagieren können.
Das Potenzial ist riesengross. Wir haben noch nie etwas Vergleichbares gemacht. Niemand kann sagen, wie das genau funktionieren wird. Aber es ist ein Abenteuer, das verdammt viel Spass macht. Die WM in Prag wird für uns ein sehr wichtiger Termin.
Wir treffen dort tschechische Klubs, sind an einem Public Viewing vertreten und treffen Vertreter aus 40 bis 50 Ländern.
Darunter werden sich viele «emerging countries» aus Afrika, Asien und Ozeanien befinden, für die unser Produkt die einzige Möglichkeit darstellt, überhaupt Eishockey spielen zu können.
Riccardo: Wir wollen mit unserer «Mission 26» so viele neue Spieler hinzugewinnen, wie es nur geht. Das Eishockey muss zurück in die Öffentlichkeit.
Auf die Strasse, den Hinterhof, den Schulplatz. Überall dorthin, wo man spielen will, obwohl es keinen ewigen Winter gibt.
Wir wollen neue Nationen sehen, wir wollen inklusiv und nachhaltig sein. Das Eishockey muss sich verändern, die jungen Eltern wollen nicht, dass dieser Sport in einer verstaubten Ecke bleibt. Die wollen Träume ermöglichen und ihren Kindern Raum für diesen wunderbaren Sport schaffen. Nur ist das mit der limitierten Anzahl Eisflächen nicht möglich.
Wir gehen momentan von mehr als 100 Eisflächen im Winter runter auf rund ein Dutzend offene Anlagen im Sommer. Wir verlieren jedes Jahr Spieler und Sponsoren.
Dieses Spiel kann sich nur entfalten, wenn wir mit einer zweiten offiziellen Unterlage die Grundlage stabilisieren, sonst wird in fünf bis zehn Jahren alles andere gespielt ausser Eishockey.
Über Riccardo Signorell
Riccardo Signorell, 54, wurde im EHC Chur gross und spielte in der Nationalliga auch für den ZSC, Basel, Davos und Servette.
Nach dem Rücktritt von 2004 erfand er sich als Filmemacher neu, unter anderem führte er 2013 beim Spielfilm «Champions – es ist nie zu spät» mit Marco Rima und Andrea Zogg Regie.
Signorell und seine Ehefrau Dayana leben in Zürich und haben zwei Töchter.