Pat Schafhauser: Man muss sein Leben leben
Vor 28 Jahren verunfallte Pat Schafhauser in Davos schwer. Im grossen SLAPSHOT-Interview spricht er über Depressionen, Vergebung, Eishockey und das Leben.

Es ist der 5. Dezember 1995 als das Leben von Pat Schafhauser eine dramatische Wendung nimmt: Der Verteidiger bestreitet mit dem HC Lugano ein Auswärtsspiel in Davos.
2:5 liegt Lugano zurück als er nach einem Zweikampf in der 49. Spielminute kopfvoran in die Bande prallt.
Schafhauser, damals 24, bleibt liegen – der schweizerisch-amerikanische Doppelbürger erleidet Rückenmarkverletzungen und bleibt nach dem Unfall querschnittgelähmt.
Sein Schicksal bewegt das ganze Land, die Anteilnahme ist gross. Heute, fast 28 Jahre später, erzählt Schafhauser im Gespräch mit SLAPSHOT, wie es ihm heute ergeht. Und verrät, wieso er seine Trainerkarriere in diesem Frühjahr beendet hat.
SLAPSHOT: Sie waren zuletzt 25 Jahre lang Assistenzcoach beim Universitätsteam von Hill-Murray. Wie wichtig war dieser Job für Sie?
Pat Schafhauser: Sehr wichtig. Eishockey war mein Leben, meine Karriere. Und dann war das von einer Sekunde auf die andere weg. Es war schwierig, Halt zu finden im Leben.
Eine Bestimmung, etwas, um durch den Tag zu kommen. Das Coaching hat mir das gegeben. Es brauchte eine gewisse Angewöhnungszeit.

Zunächst dachte ich, dass es geht, wenn ich mich einfach hinter der Bande platziere und Anweisungen gebe. Aber es stellte sich schnell heraus, dass ich aufs Eis muss. Das war im Rollstuhl zunächst gar nicht so einfach, doch ich habe schnell gelernt.
SLAPSHOT: Nun sind Sie zurückgetreten. Wieso?
Schafhauser: Das Wetter in Minneapolis ist ein bisschen… viel. Die Winter sind hart, der Schnee ist nicht optimal für einen Rollstuhlfahrer.
Ausserdem sind meine Schultern langsam müde (lacht). Wir ziehen in diesem Sommer nach Florida um.
SLAPSHOT: Was bleibt aus der Zeit als Coach?
Schafhauser: Vor allem Dankbarkeit. Ich fand es sehr erfüllend, mit diesen jungen Spielern zusammenzuarbeiten. Ein paar haben es sogar in die NHL geschafft.

Jake Guentzel in Pittsburgh, Mikey Anderson bei den Los Angeles Kings, Joey Anderson in Chicago.
SLAPSHOT: In ihren jungen Jahren waren auch Sie ein hoffnungsvoller Spieler. Die Pittsburgh Penguins sicherten sich 1989 in der siebten Draftrunde sogar die NHL-Rechte an ihnen.
Schafhauser: Also es war so: Ich spielte am College in den USA und erhielt dann 1991 ein Angebot aus Zug, wo schon mein Bruder Bill spielte.
Ich dachte: Das ist ja wunderbar, da will mir jemand Geld für etwas zahlen, was ich auch gratis machen würde: Eishockey zu spielen. Ich musste nicht lange überlegen. Es war eine wundervolle Zeit.
SLAPSHOT: Wieso zogen Sie 1994 nach Lugano weiter?
Schafhauser: Wenn dich John Slettvoll anruft, dann hörst du zu. Lugano wollte mich unbedingt, ich bin dann da hingefahren und habe im Büro von Fabio Gaggini meinen Vertrag unterschrieben.
Ich dachte: Es ist gut, wenn ich mal ein bisschen meinen eigenen Weg gehe. Es hatte damals fast niemand einen Agenten. Das war schon ein bisschen furchteinflössend: Mit Slettvoll zu verhandeln. Aber Lugano war sehr gut zu mir. Und es war eine wirklich coole Zeit.

Die Resega befand sich gerade im Bau, wir haben in der kleinen Halle direkt daneben gespielt. Die Spiele waren ausverkauft, die Zuschauer waren sehr nahe dran. Es hatte etwas Magisches.
SLAPSHOT: Sie spielten mit Lugano in Davos als am 5. Dezember 1995 dieser Unfall geschah, seit welchem Sie querschnittgelähmt sind.
Schafhauser: Ich flog kopfvoran in die Bande. Es war ein Zweikampf, wie er in jedem Spiel dutzendfach vorkommt. Ich hatte einfach Pech.
SLAPSHOT: Hegten Sie nie Groll gegenüber Oliver Roth, dem HCD-Stürmer, mit welchem Sie sich den Zweikampf lieferten?
Schafhauser: Überhaupt nicht. Oli trifft keine Schuld. Klar war ich sauer. Aber nicht auf Oli, sondern auf die Verletzung. Auch ich habe hart gespielt und Leute gecheckt.

Nie hatte ich die Absicht, jemanden zu verletzen. Das war bei Oli auch so. Es war auch für ihn brutal, auch er musste mit diesem Unfall leben, mit den Folgen. In meinen Jahren als Coach habe ich Szenen wie die bei meinem Unfall x-tausendfach gesehen.
Manchmal musste ich die Augen schliessen, weil ich es nicht schaffte, hinzuschauen. Aber es passiert glücklicherweise praktisch nie etwas.
SLAPSHOT: Überrascht Sie das?
Schafhauser: In gewisser Weise schon. Wir haben viel dafür unternommen, die Risiken und Gefahren zu minimieren.
Aber unser Sport ist heute so schnell wie nie zuvor, da ist es schon erstaunlich, dass nicht mehr passiert. Ich hoffe, das bleibt so.
Vielleicht hat meine Verletzung bei der Sensibilisierung geholfen. Das würde mich freuen: Wenn sich doch noch etwas Positives daraus entwickelt hätte.
SLAPSHOT: Schauen Sie Eishockey heute anders als vor dem Unfall?
Schafhauser: Schon. Aber das liegt in erster Linie an meiner Coaching-Tätigkeit. Ich schaue eher auf die Systeme als auf individuelle Spieler.
SLAPSHOT: Wie lange dauerte es, bis Sie mit den Geschehnissen von damals abschliessen konnten?
Schafhauser: Hm. Ich bin mir nicht sicher, ob ich das geschafft habe.
SLAPSHOT: Sie wirken heute sehr gefestigt.
Schafhauser: Das war nicht immer so, es war schon ein Prozess. Ich fiel in eine Depression, und es dauerte, bis ich es schaffte, diese zu überwinden.
Zum Glück hatte ich sehr gute Unterstützung. Man sollte nie zu stolz sein, um Hilfe anzunehmen. Aber als ich im Paraplegiker-Zentrum in Nottwil gepflegt wurde, hatte ich Tage, an denen ich alles in Frage stellte.
Ich hatte keine Lust mehr, in diesem verdammten Bett zu liegen und wollte auch die Therapie nicht mehr weiterführen. Da hat mich mein Betreuer in ein Rollstuhl-Rugbyspiel gesteckt.

Ein Gegenspieler hat mich bei jeder Gelegenheit gerammt. Irgendwann war ich ziemlich angepisst und habe in einer Pause zu meinem Pfleger gesagt: Wenn der Typ mich noch einmal checkt, haue ich ihn aus seinem verfluchten Rollstuhl.
Da hat er mich angelächelt und gesagt: ‹Ich wusste doch, dass das Feuer in dir noch immer brennt.› Das war ein Schlüsselmoment, von da an habe ich mich in der Therapie richtig reingekniet. Und auch ein Ratschlag meines Bruders half mir sehr.
SLAPSHOT: Wie fiel der aus?
Schafhauser: Er sagte: Vorher konntest du 1000 Dinge tun. Jetzt sind es vielleicht noch 800. Worauf willst du dich fokussieren? Auf die 200, die Du nicht mehr machen kannst? Oder die anderen 800? Dessen musste ich mir bewusst werden. Es ist alles eine Frage der Perspektive.
SLAPSHOT: Inwiefern hat sich diese bei Ihnen mit dem Unfall verändert?
Schafhauser: Da hat sich schon viel getan. Ich habe begriffen, dass die kleinen Dinge keine Rolle spielen. Dass man jede Sekunde geniessen sollte, weil das Leben eine delikate Sache ist und alles mit einem Wimpernschlag ändern kann.
Dass die Familie das Wichtigste überhaupt ist. Dass man sich über Lappalien nicht ärgern sollte. Auch ich muss mich dessen manchmal wieder aufs Neue vergewissern, aber das ist ziemlich einfach: Ich muss nur in den Spiegel schauen, dort guckt der Rollstuhl zurück.
SLAPSHOT: Mit was haben Sie stärker gehadert: Damit, dass Sie ihre Karriere nicht fortführen konnten, oder mit den Handicaps im täglichen Leben?
Schafhauser: Erst natürlich das Hockey, das war ja praktisch mein ganzer Lebensinhalt. Aber dann musste ich realisieren, dass ich einen Weg finden muss, wie ich im Alltag zurechtkomme.

Das hat mir ziemlich Angst gemacht und hat lange gedauert. Es ist eine radikale Umstellung, wenn du Profisportler bist und dir physisch alles sehr leichtfällt und du dann plötzlich fast alles neu lernen musst. Ich bin kein sonderlich geduldiger Mensch, das war eine schwierige Zeit.
SLAPSHOT: Sind die Leute Ihnen anders begegnet nachdem Sie im Rollstuhl sassen?
Schafhauser: Teilweise. Ich habe festgestellt, dass der Rollstuhl den Effekt haben kann, dass manche Leute sich unwohl fühlen. Weil sie nicht wissen, wie sie sich verhalten sollen.
Aber ich bin ein ganz normaler Mensch, so wie jeder andere auch. Ich versuche dann meistens, das Eis mit einem Witz zu brechen. Kinder sind in dieser Hinsicht übrigens wirklich wundervoll. Sie fassen den Rollstuhl an und stellen Fragen. Das schätze ich.
SLAPSHOT: Bei der Eishockey-Ausrüstung hat sich seit ihrem Unfall viel getan. Ist das bei den Rollstühlen ähnlich?
Schafhauser: Oh ja, klar. Sie sind leichter, besser, robuster geworden. Wobei mein Lieferant immer den Kopf schüttelt, wenn ich einen neuen Rollstuhl hole und den alten retourniere.
Die sind immer ziemlich am Ende. Aber hey, das muss doch so sein. Sie sind ja für den Gebrauch gemacht. Man muss sein Leben leben.
SLAPSHOT: Half es, die Schweiz zu verlassen und in die USA zurückzukehren?
Schafhauser: Ich liebe die Schweiz. Ohne den Unfall würde ich wahrscheinlich noch immer bei euch leben, ich habe ja den Schweizer Pass. Aber was die Frage angeht: Wahrscheinlich schon.
Ich brauchte Distanz und Zeit für mich, um herauszufinden, was ich mit meinem Leben anfangen soll. Es war ja nicht so, dass ich mich irgendwie darauf hätte vorbereiten können.
SLAPSHOT: Sie sind seit dem Unglück immer wieder in die Schweiz zurückgekehrt. Aber nie nach Davos.
Schafhauser: Ja. Irgendwann will ich das nachholen. Der Gedanke daran macht mich ein bisschen nervös. Aber ich glaube, dass mir das helfen würde, mit dem Unfall abzuschliessen.
Und Davos ist so wunderbar… Es wäre schade, wenn meine letzte Erinnerung an diesen Ort so schrecklich konnotiert bleibt.
SLAPSHOT: Sie waren eine Art Schirmherr der All-Star-Games in der Schweiz, ehe diese 2006 eingestellt wurden.
Schafhauser: Das waren wirklich schöne Wochenenden, ich habe die allerbesten Erinnerungen daran. Es gab in diesen Teams so viel Talent, darunter gute Freunde von mir.

Die Veranstaltungen waren eine wichtige Einnahmequelle für die Pat-Schafhauser-Stiftung. Aber ich verstehe, dass sich die Zeiten ändern, das ist kein Problem.
SLAPSHOT: Sie sprechen Freunde im Eishockey an: Haben Sie in der Schweiz Freundschaften fürs Leben knüpfen können?
Schafhauser: Auf jeden Fall. Mit JJ Aeschlimann und Sandro Bertaggia zum Beispiel tausche ich mich bis heute aus. Manchmal hören wir uns ein halbes Jahr nicht, aber wenn es so weit ist, fühlt es sich so an als wären wir noch immer 20 und in Lugano. Solche Freundschaften sind sehr viel wert. Sie haben mir auch nach dem Unfall sehr geholfen.
SLAPSHOT: Wie intensiv verfolgen Sie das Schweizer Eishockey heute noch?
Schafhauser: Ich schaue schon, dass ich auf dem neuesten Stand bleibe. Ich folge dem Twitter-Account des HC Lugano und weiss immer, wie der Klub gerade gespielt hat.
SLAPSHOT: Stimmt es, dass Sie bis heute nie einen Traum hatten, bei dem Sie im Rollstuhl sitzen?
Schafhauser: Ja. In meinen Träumen spiele ich immer noch Eishockey und bewege mich wie vor dem Unfall. Offenbar ist das so, wie ich mich unterbewusst bis heute wahrnehme.
Es ist schon faszinierend, wie das menschliche Hirn funktioniert. Als sich der Unfall zum 25. Mal jährte, war das ein schwieriger Moment für mich. Weil es bedeutete, dass ich in meinem Leben mehr Zeit mit als ohne Rollstuhl verbracht habe.

Aber ich habe die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dass sich das irgendwann noch ändert.
SLAPSHOT: Weil die Medizin fleissig Fortschritte erzielt?
Schafhauser: Ja, genau. Ich verfolge das natürlich aufmerksam. Es kann so vielen Menschen geholfen werden. Und wer weiss, vielleicht kann auch ich eines Tages noch davon profitieren. Ich hoffe es.
Seit 2006 kein All-Star-Game mehr in der Schweiz
1996 wurde in der Resega das erste All-Star-Game im Schweizer Eishockey ausgetragen. Der Gewinn floss in die Pat-Schafhauser-Stiftung, die sich für verunfallte Eishockeyprofis und Unfallprävention einsetzt.
Das Format boomte rund um die Jahrtausendwende förmlich, fast 14'000 Zuschauer strömten 2001 nach Bern und sahen, wie die von Kent Ruhnke gecoachten «World Stars» die von Ralph Krueger betreuten «Swiss Stars» mit 10:6 bezwangen.
Der Ehrengast Schafhauser war für den symbolischen Puck-Einwurf besorgt, im Rahmenprogramm trat der italienische Musiker Zucchero auf, dessen Mercedes während des Auftritts in der Innenstadt von Gegnern des World Economic Forum (WEF) demoliert wurde.
Nach sinkenden Zuschauerzahlen wurde das All-Star-Game in der Olympiasaison 2006 zunächst sistiert – und dann still beerdigt.
Der Liga-Chef Denis Vaucher sagt, es gebe aktuell keine Pläne, das Format zu wiederbeleben – der Terminkalender ist schon so engmaschig, und das All-Star-Format kämpft sportartenübergreifend praktisch überall mit Bedeutungsverlusten und um Akzeptanz.