Giovanni Conte: Einer der besten Schweizer Stürmer seiner Zeit

Nicola Berger
Nicola Berger

Im grossen SLAPSHOT-Interview spricht Giovanni Conte über den strengen Trainer John Slettvoll und über Nationalmannschaftsspiele vor leeren Rängen.

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Giovanni Conte war einer der besten Schweizer Stürmer seiner Zeit. Der Ostschweizer wurde drei Mal Schweizer Meister, war fixer Bestandteil der Nationalmannschaft und 1978 Liga-Topskorer. - Pius Koller

An einem Dienstag im April führt Giovanni Conte durch den Hauptsitz seiner Firma Tuned for Sports (TFS) / Conte Hockey in einem Wiler Industriequartier.

Conte, 68, war einst einer der besten Stürmer der Nationalliga, später coachte er den SC Herisau. Nach seinem Rücktritt baute er seine Firma auf, die heute neben Interhockey und Ochsner Hockey der wichtigste Ausrüster im Schweizer Eishockey ist.

Seine drei Kinder arbeiten im Familienbetrieb, Conte hat sich aus dem Tagesgeschäft grösstenteils zurückgezogen.

SLAPSHOT: Sie wurden 1978 beim SCB als 23-Jähriger Liga-Topskorer. War das lukrativ?

Giovanni Conte: Wo denken Sie hin? Ich verdiente in Bern 12'700 Franken. Prämien für Skorerpunkte gab es nicht, die hätte ich in einer Mannschaftssportart auch seltsam gefunden.

Wenn du plötzlich überlegen musst, ob du das Tor nicht lieber selber machst, statt den besser postierten Mitspieler anzuspielen, nur weil dir das ein paar Franken mehr einbringt, dann stimmt doch etwas nicht.

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«Wenn wir mal ein Derby verloren, gingen wir eine Woche nicht mehr auf die Strasse», sagt Giovanni Conte. - Pius Koller

Jedenfalls: Nach der Saison bin ich nach Hause gefahren und musste die Mutter anpumpen, um irgendwie durch den Sommer zu kommen.

SLAPSHOT: Wie fanden Sie zum Eishockey?

Conte: 1966 wurde in Wil eine Eisbahn eröffnet. In der Lokalzeitung stand, es brauche noch Jugendliche, die Hockey spielen.

Ich war damals 11 und dachte: Gut, dann probiere ich das mal. Jürg Ochsner ist damals als Sportlehrer nach Wil gezogen.

Unter ihm war ich dann vier, fünf Jahre lang Junior. Vorher hatte ich null Bezug zu diesem Sport. Mein Vater hatte für den FC St. Gallen gespielt, ehe er bei einem Autounfall tödlich verunglückte.

SLAPSHOT: Sie scheinen ein Naturtalent gewesen zu sein: Mit 17 spielten Sie schon für Uzwil in der Nationalliga B.

Conte: Ja, und dann kam das Angebot aus Bern. Ich war sehr beeindruckt von der Kulisse dort. Ich dachte: Einmal vor dieser Stehrampe ein Tor schiessen, das wärs. Zum Glück sind mir dann doch ein paar Treffer gelungen.

SLAPSHOT: In den alten Zeitungsberichten steht, Sie seien der allerschnellste gewesen. Legendenbildung oder Wahrheit?

Conte: Es gab sicher schnellere Spieler als mich. Es sah nicht sonderlich elegant aus, wie ich mich bewegte. Aber andererseits stand ich doch recht oft alleine vor dem Tor, so langsam kann ich also nicht gewesen sein.

Wissen Sie, ich habe es früh nach Gretzky gehalten: Man muss nicht dort sein, wo der Puck herkommt. Sondern dort, wo er sein wird. Ich hatte das Glück, das Spiel gut und schnell lesen zu können.

SLAPSHOT: Dann wechselten Sie nach Biel.

Conte: Willy Gassmann war für mich fast ein Gott. Er hatte eine besondere Aura und trug immer diesen extravaganten Pelzmantel. Als wir 1981 Meister wurden, lud er die ganze Mannschaft auf eine Reise durch die USA ein.

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Giovanni Conte stand als Spieler für Lugano, Biel, Bern, Uzwil und Wil auf dem Eis. - Pius Koller

New York, Las Vegas, Hawaii. Es war der Wahnsinn, als kleiner Schweizer machte einem das stark Eindruck. Langstreckenflüge waren damals etwas Luxuriöses. In Las Vegas hat Gassmann jedem von uns am Morgen jeweils 50 Dollar in die Hand gedrückt und gesagt: So, geht mal spielen.

Er hat wirklich gut zu uns geschaut. Wir hatten in Biel damals ein Stocklager, ich glaube das hätte für eine zweite Saison gereicht, so voll war es. Es hat uns an nichts gefehlt.

SLAPSHOT: Trotzdem zogen Sie 1982 weiter nach Lugano.

Conte: Im letzten Jahr in Biel hat nicht mehr alles gepasst. Ich hatte mehrere Angebote. Unter anderem von Ambri.

Aber meine Frau hat gesagt: Ambri, das kommt überhaupt nicht in Frage, wo soll man denn da wohnen? Also ist es Lugano geworden. Den Vertrag unterschrieb ich im Büro von Geo Mantegazza, man musste durch so massive Sicherheitstüren hindurch. Das war ziemlich beeindruckend. Aber es war zu Beginn trotzdem nicht einfach.

SLAPSHOT: Wieso?

Conte: Ich konnte trotz meines Namens kein Wort Italienisch. Da musste ich mich erst akklimatisieren.

SLAPSHOT: Ihr Trainer hiess John Slettvoll.

Conte: Ja, unter ihm gab es diesen Wandel vom Amateur- zum Profisport. Es war hart, unter ihm zu spielen. Aber seine Massnahmen haben funktioniert. Wir haben grosse Fortschritte erzielt.

Er hat auch einen meiner absoluten Lieblingssätze gesagt: Der Trick ist, den Leuten das Gefühl zu geben, sie seien in die Entscheide eingebunden. Obwohl sie das natürlich nicht sind und nur ich entscheide. Aber er hatte recht, das hat funktioniert.

SLAPSHOT: In den letzten zwei Jahren in Lugano wurden Sie Meister. Welche Erinnerungen haben Sie an das «Grande Lugano»?

Conte: Ich habe in meiner Karriere nie ein Playoff-Spiel verloren (lacht). Sie wurden erst 1985/86 eingeführt und umfassten nur die Halbfinals und Finals. Wir haben mit Lugano jeden Match gewonnen.

Mats Waltin kannte die Playoffs schon aus Schweden. Er hat in der Garderobe das Wort ergriffen und gesagt: Jungs, jetzt kommt es drauf an. Lasst es uns mal ein bisschen ruhiger angehen mit dem Alkohol.

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Giovanni Conte hat in seiner Karriere nie ein Playoff-Spiel verloren. - Pius Koller

Daran haben wir uns gehalten. Und wir hatten Erfolg. Es war generell eine spannende Zeit. Mit Waltin und Kent Johansson haben wir sehr viel über Taktik gesprochen. Darüber, wie wir Powerplay spielen wollen. Das war lehrreich.

SLAPSHOT: Sie waren auch 1987 beim legendären Derby gegen Ambri dabei, bei dem 219 Strafminuten ausgesprochen wurden.

Conte: Ja, wir hatten damals ein paar wirklich harte Hunde dabei. Die Rivalität war ziemlich erbittert. Wenn wir mal ein Derby verloren, gingen wir eine Woche lang nur noch zum Training aus dem Haus und sonst gar nicht mehr auf die Strasse.

Aber nach den Siegen waren wir die Grössten. Da brauchte man den Grappa in den Restaurants nicht mehr zu bezahlen. Und es wurde uns auch nachgesehen, wenn wir danach ein paar Spiele hintereinander verloren.

SLAPSHOT: Ein paar Monate nach jenem legendären Derby traten Sie zurück.

Conte: Nach dem zweiten Titel war ich 32 und wir konnten in der Ostschweiz ein Stück Land kaufen. Da kam ich zum Schluss, dass die Zeit für den Rücktritt gekommen war. Ich wurde ja auch nicht mehr besser, so ehrlich musste ich sein.

Bei den Löhnen von heute würde man sich wahrscheinlich anders entscheiden und noch zwei Jahre durchbeissen. Aber ich bereue den Entscheid nicht.

SLAPSHOT: Sie arbeiteten danach als Coach, unter anderem während zwei Jahren für den SC Herisau in der Nationalliga B.

Conte: Ja, ich war in Herisau, bevor Arno Del Curto kam. Aber irgendwie war ich nicht für diesen Job geschaffen. Ich haderte damit, wenn einer das leere Tor nicht traf und dann trotzdem ich als Trainer Schuld war.

Und ich wollte auch nicht von Klub zu Klub tingeln. Die Kanadier haben damit kein Problem. Die können heute in Ravensburg sein und morgen in Thurgau. Ich war schon dreifacher Vater. Ich wollte nicht weg.

SLAPSHOT: Sie waren auch kurz Assistenztrainer von Simon Schenk bei der Nationalmannschaft.

Conte: Ja, aber nur kurz. Das war nicht meine Welt: Zu zählen, ob im Bus alle da sind.

SLAPSHOT: Was ist Ihnen von den Auftritten als Spieler mit dem Nationalteam geblieben?

Conte: Wir waren ja immer in der B-Gruppe. Als wir an der B-WM mal Platz 2 erreichten, wurden wir am Flughafen in Kloten empfangen wie Weltmeister. Wir waren völlig baff und fragten uns: Was machen diese Leute hier?

Es war eine völlig andere Zeit. Nicht wirklich professionell. Lange war es ja so, dass es finanziell interessanter war, zu Hause zu arbeiten als Länderspiele zu bestreiten. Mit der Bieler Fraktion sind wir damals mal in einen Streik getreten.

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Giovanni Conte konnte nach der aktiven Karriere eine Firma für Hockeyausrüstung aufbauen. - Pius Koller

Danach gab es immerhin eine kleine Tagespauschale. Ich kann mich noch erinnern, dass wir irgendwo im Osten, vielleicht war es Belgrad, um 10 Uhr morgens gegen China gespielt haben. Die einzigen Menschen, die zuschauten, war die Putzequipe des Vorabends.

SLAPSHOT: Wie kamen Sie darauf, danach eine Firma für Hockeyausrüstung aufzubauen?

Conte: Wissen Sie, diese Frage habe ich mir auch immer wieder gestellt. Wir haben in der Schweiz zu wenig Spieler, zu wenig Eisbahnen. Der Markt ist begrenzt. Vielleicht hätte ich besser eine Bäckerei eröffnen sollen. Die braucht jeder.

Aber ernsthaft: Ich habe für Jürg Ochsner gearbeitet, für mich war das einer der cleversten Geschäftsmänner, die es je gegeben hat. Irgendwann habe ich mich dann selbständig gemacht.

Heute rüsten wir Biel, Zug und Lugano aus. Sowie in der Swiss League Basel, Thurgau und Olten. Wir betreiben verschiedene Hockey-Shops. Und verkaufen längst auch viele andere Produkte, vom Pizza-Ofen bis zu Bassins für den Garten.

SLAPSHOT: Die Entwicklung bei den Materialien wirkt enorm.

Conte: Björn Borg hat mit seinem Holzschläger fünf Mal Wimbledon gewonnen. Aus heutiger Sicht ist das völlig undenkbar. Aber so war das. Und wir haben auch nichts anderes als unsere Holzstöcke gekannt.

Die haben 39 Franken gekostet. Heute sind es 200 bis 300 Franken. Und man braucht als Profispieler pro Saison durchschnittlich zwischen 12 und 24 Stöcke. In der Weiterentwicklung ist viel passiert, die Stöcke wiegen heute auch viel, viel weniger als früher.

Wir können praktisch jeden Wunsch erfüllen, die Spieler haben stark individualisierte Bedürfnisse. Wobei ich manchmal schon staune.

SLAPSHOT: Inwiefern?

Conte: Was würden Sie sagen, wie viel die Top-Spieler in der Liga verdienen?

SLAPSHOT: Zwischen 700'000 und 900'000 Franken.

Conte: Eben. Und dann gibt es manchmal Diskussionen über den Preis eines Stocks… Dabei hilft qualitativ hochstehendes Arbeitsmaterial den Spielern doch dabei, ihren Marktwert zu erhöhen.

SLAPSHOT: Werden Sie heute noch erkannt?

Conte: Kaum. Vielleicht mal, wenn einer den Namen liest. Dann kann es vorkommen, dass ich gefragt werde: «Aber Sie hatten doch einen Bart?». Und dann entgegne ich: «Ja, ja, ist ja auch 40 Jahre her.»

Wenn du in Amerika einmal jemand warst, hast du diesen Status das ganze Leben lang. Diese Kultur haben wir in der Schweiz nicht. Auch nicht, dass jeder in den Klubfarben ins Stadion geht.

Als wir uns mal ein Spiel in Montreal angesehen haben, waren wir die einzigen ohne Trikot. Wo sieht man denn das bei uns? Wann sieht man in der Stadt Zürich jemand in einem ZSC-Trikot? Das ist eine andere Welt.

SLAPSHOT: Haben Sie im Eishockey Freunde gefunden?

Conte: Das auf jeden Fall, es gibt viele Leute, die ich nicht missen möchte. Wir gehen noch immer, mit Martin Lötscher war ich gerade in den Golf-Ferien.

HC Lugano
Mannschaftsbild mit Giovanni Conte (2. Reihe, 3. v. l.) vom HC Lugano aus der Saison 1986/87. - zVg

Bruno Rogger besuche ich in Lugano in seinem Restaurant. Wir hatten zusammen eine wunderbare Zeit und sind dankbar dafür, was wir im Hockey erleben konnten. Heute geht es vor allem ums Business. Wir hatten noch Spass.

SLAPSHOT: Schauen Sie heute noch regelmässig Eishockey?

Conte: Schon. Ich liebe den Sport noch immer. Ich muss jetzt nicht mehr jeden Abend Hockey schauen, aber ein gutes Spiel live im Stadion, ich glaube nicht, dass das je seinen Reiz verlieren wird.

Über Giovanni Conte

Geboren: 12. März 1955. Stationen als Spieler: Lugano, Biel, Bern, Uzwil, Wil. Stationen als Trainer: Herisau, Uzwil (Sportchef), Wil. Grösste Erfolge: Liga-Topskorer 1978. Schweizer Meister 1977 mit Bern, 1981 mit Biel, sowie 1986 und 1987 mit Lugano.

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