Hockey-Philosophie: Lance Nethery

Nicola Berger
Nicola Berger

Im grossen SLAPSHOT-Interview verrät Lance Nethery, dass er den Trainerjob in Bern nie hätte annehmen sollen.

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Lance Nethery prägte den HC Davos über Jahre. - zVg

SLAPSHOT: 1981 spielten Sie für Edmonton und die New York Rangers in der NHL. Ein Jahr spä­ter landeten Sie in Duisburg in der zweiten Bundesliga. Wie kam das?

Lance Nethery: Ich wollte eigentlich zurücktreten. Edmonton tradete mich zwar, hatte aber keine wirkliche Verwendung und wollte mich nach Moncton ins Farmteam stecken. Darauf hatte ich wenig Lust.

Ich hatte in Cornell Wirtschaft studiert und eine lukrative Offerte von der Wall Street. Das fand ich attraktiver. Aber dann hat mich ein Agent kontaktiert und mir von Europa vorgeschwärmt.

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Lance Nethery war lange für den HC Davos aktiv. - KEYSTONE/Str

Man muss dazu wissen, wie die finanziellen Realitäten damals waren: In der NHL verdiente ich 75'000 Dollar und in der AHL 25. In Duisburg kriegte ich 80'000 D-Mark netto. Ich wusste nichts über den Ort und die Liga. Aber ich dachte: Hey, ein Abenteuer, warum nicht?

SLAPSHOT: War das nicht eine grosse Sache: Gedraftet zu werden und es in die NHL zu schaffen?

Nethery: Doch, schon. Aber es war eine andere Zeit. Vom Draft erfuhr ich nur durch Zufall. Mein Sommerjob war es, Swimmingpools zu bauen, zwölf Stunden pro Tag. Und da sagte plötzlich einer der Kunden: «Hey, gratuliere!» Ich verstand gar nichts, bis er mich aufklärte.

Von den New York Rangers hat mich erst viel später jemand angerufen. Die NHL war damals nicht so durchprofessionalisiert. Es ist schon bemerkenswert, wie die Gehälter und Umsätze später explodiert sind in den grossen nordamerikanischen Sportligen

SLAPSHOT: In Duisburg blieben Sie nur eine Saison.

Nethery: Duisburg schickte mir acht dieser Eurocheques. Und bevor ich den ersten einlösen wollte, kam eine Klubmitarbeiterin und sagte: Schmeiss die weg, die sind nicht gedeckt. Ich wurde oft bar bezahlt, meistens nach gut besuchten Heimspielen an einem Sonntagnachmittag. Es war… spannend. Ich hatte den gleichen Agenten wie Kelly Kisio.

«Oh ja. Ich würde sagen, dass ich dort die schönsten Jahre meiner Karriere erlebte – nicht nur als Spieler. Es ist ein magischer kleiner Ort. Die Chemie im Team war überragend», sagt Lance Nethery über seine Zeit in Davos.

Und der informierte Davos, dass er nicht bleiben würde. Ich wurde als Nachfolger vorgeschlagen. Der HCD-Vorstand kam nach Duisburg, wir einigten uns.

Ich hatte auch ein Angebot aus Köln, und als ich den Verantwortlichen dort sagte, dass ich nach Davos gehen würde, lautete die Antwort: «Nein, gehst Du nicht. Wie viel Geld willst du?». Aber mein Entscheid stand längst fest.

SLAPSHOT: Fühlten Sie sich in Davos sofort wohl?

Nethery: Oh ja. Ich würde sagen, dass ich dort die schönsten Jahre meiner Karriere erlebte – nicht nur als Spieler. Es ist ein magischer kleiner Ort. Die Chemie im Team war überragend.

Auf dem Eis, wo ich mich mit Daniele Paganini und Jacques Soguel fast blind verstand. Jacky war ein überragender Schlittschuhläufer, Paga hat mit seiner Grinta Freiräume aufgerissen. Tolle Hockeyspieler, obwohl die beiden daneben gearbeitet haben: Jacky als Treuhänder und Paga auf der Bank. Und jenseits der Eishalle verstanden wir uns auch ausgezeichnet.

Lance Nethery
Lance Nethery im Trikot des HC Davos. - zVg

Wir spielten uns ständig Streiche. Auf einer Weihnachstfeier bockten wir den Citroën von Ron Wilson auf und klauten die Pneus. Es war eine wundervolle Zeit. Wir wurden zwei Mal Meister, und ich fand dort viele Freunde.

Eigentlich bereue ich nur, dass wir uns in Davos keine Ferienwohnung gekauft haben. Ich bin nicht sicher, ob meine Schweizer Rente heute schon nur für eine Hotelübernachtung ausreicht (lacht).

SLAPSHOT: Stimmt die Geschichte, dass der «Sport» einmal schrieb, die Fanghand des Goalies Richard Bucher sei schneller als das Licht. Und dass Sie mit dem Artikel in der Hand in die Garderobe kamen und Bucher herausforderten, das zu überprüfen.

Nethery: Ja, das war so. Sie war nicht schneller als das Licht, das haben wir ein für alle Mal bewiesen. Aber schon sehr schnell, das muss ich zugeben. Richis Tod vor ein paar Jahren hat mich sehr getroffen. Ich habe ihn sehr geschätzt.

SLAPSHOT: Welche Erinnerungen haben Sie an die Derbies mit Arosa?

Nethery: Dan Hober war ein sehr guter, erfolgreicher Coach. Wir hatten mit ihm, glaube ich, 12 von 14 Spielen gewonnen. Dann kassierten wir in Arosa mit viel Pech eine Kanterniederlage und Hober sagte einfach nur: «Gute Nacht, liebe Eishockeyfreunde» und trat zurück.

Eine unglaubliche Geschichte. Sie zeigt, wie intensiv diese Rivalität war und welche Bedeutung sie hatte. Wir fuhren nach den Spielen jeweils mit den Fans im Extrazug zurück nach Chur.

Lance Nethery
Neben Stationen in Nordamerika und der Schweiz war Lance Nethery auch für deutsche Eishockeyteams verantwortlich. - Imago images/Dahmen

Die Anreise mit dem Zug war Standard, weil das Risiko zu gross war, dass einem Spieler in den verschlungenen Kurven auf der Anfahrt nach Arosa rauf übel wird.

SLAPSHOT: 1988 zogen Sie nach Herisau weiter, wo Sie auf den Trainer Arno Del Curto trafen.

Nethery: Er war seiner Zeit voraus und baute viele Elemente der russischen Schule ein. Ich glaube, wir waren als Team nicht gut genug, um seine Ideen umzusetzen. Aber interessant war es schon. Tempo, Tempo, Tempo, das hat er ständig gefordert. Doch ich zum Beispiel kämpfte schon mit Hüftproblemen. 1990 war Schluss.

SLAPSHOT: Sie kehrten als Coach nach Davos zurück.

Nethery: Ich hätte den Job nie annehmen sollen. Ich war schlicht noch nicht bereit dafür. Der SCB war mit Bill Gilligan gerade Meister geworden, da hat man es als Nachfolger nicht einfach.

«Wir gewannen mit Köln zwar als Vertreter Deutschlands, aber wir hatten so viele Nordamerikaner im Team, dass wir eigentlich ein zweites Team Canada waren», sagt Lance Nethery.

Unsere Saison war okay, wir wurden Dritter. Ich wurde während den Playoffs entlassen, aber der SCB verlor die Serie gegen Ambrì auch mit meinem Nachfolger Jim Koleff. Pauli Jaks war damals in sensationeller Verfassung, was will man machen?

SLAPSHOT: Das war 1993. Wieso sind Sie als Trainer danach nie mehr in die Schweiz zurückgekehrt?

Nethery: Ich habe nie wieder ein Angebot erhalten (lacht). Ich glaube, ich hatte nach Bern keinen guten Ruf mehr. Und das ist halt so geblieben. Aber ich habe es auch nicht gesucht, Deutschland hat mir gefallen und ich hatte das Glück, dort erfolgreich zu arbeiten.

SLAPSHOT: In Mannheim bauten Sie quasi eine Dynastie auf – und profitierten vom Bosman-Urteil von 1995. Wie kam das?

Nethery: Das Bosman-Urteil veränderte alles. Man konnte in Deutschland unbegrenzt EU-Ausländer einsetzen. Wir hatten erst wenige Spieler unter Vertrag, das war ein Vorteil. Und so haben wir in halb Europa Kandidaten abgeklappert.

An spielfreien Tagen sind der General Manager und ich nach Italien, nach England oder in die Niederlande gereist. Wir holten unter anderem einen Belgier und einen Iren.

Es war anstrengend und spannend, zumal lange vor Google Maps. Aber es hat sich gelohnt: Von 1997 bis 1999 wurden wir drei Mal in Folge Meister.

SLAPSHOT: Wie beurteilt man einen Spieler aus einer kaum konkurrenzfähigen Liga?

Nethery: Wir hatten die Regel, dass wir die Spiele separat schauen und nur Jungs holen, von denen wir beide überzeugt waren. Wenn einer Zweifel hatte, haben wir den Transfer nicht weiterverfolgt. Da habe ich auch eine Story dazu…

SLAPSHOT: Bitte.

Nethery: Wir waren in Val Gardena, in Italien. Es hatte dort einen Tschechen, den wir spannend fanden. Also bin ich da hingefahren, 600 Kilometer. Und dann trug der weisse Handschuhe.

Heute völlig irrelevant und albern, aber damals dachte ich: Ich kann unmöglich einen Spieler holen, der weisse Handschuhe trägt, das ist ein absolutes No-Go. War ein Fehler, der hat in Deutschland dann eine schöne Karriere hingelegt. Aber so ist das im Leben: Man irrt sich oft.

SLAPSHOT: Reifte auf diesen Scoutingreisen der Wunsch, selbst einmal Sportchef zu werden?

Nethery: Auf jeden Fall. Ich fand das sehr erfüllend: Ein Team aufzubauen. In Köln habe ich dann beide Jobs im Doppelmandat ausgeübt.

SLAPSHOT: Und unter anderem 1999 den Spengler Cup gewonnen.

Nethery: Richtig. Ich liebe dieses Turnier, es war Liebe auf den ersten Blick, schon als Spieler. Ich war ab 1983 sieben Mal in Folge dabei, auch als ich eigentlich für Herisau spielte.

Das war ja die Zeit vor dem Zusammenbruch der Sowjetunion. Es kamen immer tschechische oder russische Teams an den Spengler Cup.

«In Deutschland ist das Eishockey vom Fussball abgehängt worden. Vor 20 Jahren war die Differenz viel kleiner. In der Schweiz ist die Bedeutung grösser, würde ich sagen», sagt Lance Nethery.

Mit den Spielern haben wir in der Garderobe einen schwungvollen Tauschhandel betrieben. Von den Russen gab es Kaviar, von den Tschechen Kristallgläser und von uns harte Franken.

Und ja, 1999 haben wir mit Köln gewonnen. Das hätten uns nicht viele zugetraut, es war eine ungewöhnliche Austragung.

SLAPSHOT: Inwiefern?

Nethery: Die Atmosphäre war ziemlich, na ja, gehässig. Unserem Stürmer Corey Millen (ex Ambrì, Lugano und Visp, die Redaktion) wurde mit einem üblen zweihändigen Stockschlag die Hand gebrochen. Danach gab es ein Revanchefoul – ein Cross-Check an den Kopf des verantwortlichen Spielers.

Ich weiss noch, wie Fredi Pargätzi in der Drittelspause in die Kabine kam und brüllte, dass wir verdammt noch mal Eishockey spielen sollen. Er hatte recht, aber die Emotionen liessen sich nicht so einfach glätten. Ich schätze Fredi sehr, er hat in all den Jahren einen überragenden Job gemacht.

Lance Nethery
Nach seiner Spielerkarriere wurde Lance Nethery Trainer. - Stephan Eickershoff/FUNKE Foto Services

Dank ihm hat der Spengler Cup bis heute diese enorme Strahlkraft. Wir gewannen mit Köln zwar als Vertreter Deutschlands, aber wir hatten so viele Nordamerikaner im Team, dass wir eigentlich ein zweites Team Canada waren. Speziell war, dass wir sehr viele Shorthander erzielten, bestimmt sechs oder sieben.

SLAPSHOT: 2012 tauchten Sie doch noch einmal in der Schweiz auf: Sie wurden für die WM in Helsinki Assistenztrainer von Sean Simpson bei der Nationalmannschaft.

Nethery: Sean und ich kennen und schätzen uns seit Jahrzehnten. Er fragte mich an, ich hatte Zeit. Leider war schon nach der Vorrunde Schluss.

SLAPSHOT: Die Schweiz und Deutschland sind auch im Eishockey beste Feinde. Wie beurteilen Sie die Entwicklung der beiden Länder?

Nethery: In Deutschland ist das Eishockey vom Fussball abgehängt worden. Vor 20 Jahren war die Differenz viel kleiner. In der Schweiz ist die Bedeutung grösser, würde ich sagen. Und in der Schweiz ist die Ausbildung besser, weil es im Nachwuchs mehr und fähigere Trainer gibt.

SLAPSHOT: Sie selbst sind gerade wieder in Deutschland aktiv: Als Berater des Oberliga-Kultklubs Hannover Indians.

Nethery: Ach, eigentlich befinde ich mich seit meinem Abgang aus Duisburg von 2019 im Ruhestand. Ich bin ein alter Mann, niemand will meine Ratschläge hören. Ich staune schon, dass Sie sich für mich interessieren (lacht).

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Lance Nethery spielte auch in der NHL für die Rangers. Hier mit seiner Enkeltochter im Bild. - zVg

Raphaël Joly, der Coach in Hannover, ist ein alter Freund von mir. Und übrigens der Bruder von Michael Joly, dem Stürmer von Lugano. Er hat mich gefragt, ob ich ihn ein paar Wochen unterstützen könne.

Ich helfe gerne. Aber es ist kein offizieller Job, ich verdiene hier auch kein Geld. Diese Zeiten sind vorbei. Ich geniesse mein neues Leben. Es ist deutlich weniger stressig. So soll es als Rentner ja auch sein.

Über Lance Nethery

Geboren: 28. Juni 1957. Nationalität: Kanada. Stationen als Spieler: SC Herisau, HC Davos, Hershey Bears, Wichita Wind, Duisburger SC, Springfield Indians, Edmonton Oilers, New York Rangers, New Haven Nighthawks, Cornell University, Burlington Mohawks.

Grösste Erfolge als Spieler: 2x Meister mit Davos (1984, 1985). NL-Torschützenkönig 1986 (46 Tore). NL-Playoff-Topskorer und Torschützenkönig 1987. Bester NLB-Assistgeber 1989.

Stationen als Trainer/Sportchef: North Bay Trappers Midget, Füchse Duisburg, Kölner Haie, DEG Metro Stars Düsseldorf, Frankfurt Lions, Adler Mannheim, EV Landshut, SC Bern, HC Davos.

Grösste Erfolge als Trainer/Sportchef: 4x Deutscher Meister (1997, 1998, 1999, 2004). Spengler-Cup-Sieger 1999. Aufstieg mit Davos in die NLB 1991.

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