Leah Marino denkt bereits mit 23 Jahren an ihren Rücktritt
Die Amerikanerin Leah Marino von den HC Davos Ladies spielte in Nordamerika auf höchstem Universitäts-Level und in der Profi-Liga PHF.
Als Leah Marino letzten August in der Schweiz ankam, war für sie vieles neu, es war für die 23-jährige Amerikanerin schliesslich die erste Reise ihres Lebens nach Europa. Die Stürmerin hatte letzte Saison in der US-Profiliga PHF in New Jersey gespielt, die Schweizerin Sarah Forster war eine ihrer Teamkolleginnen gewesen.
Es war sie, die Marino die PostFinance Women’s League schmackhaft machte. Der Entscheid war gefasst, Marino wollte in die Schweiz, mit Forsters Hilfe wurden Kontakte hergestellt – mit dem HC Davos wurde sie sich einig.
Und hier gibt es wenigstens eine kleine Gemeinsamkeit zu Marinos Jugendzeit in Kalifornien, wo sie mit dem Eishockeyspiel begann, weil sie ihrem Bruder nacheifern wollte.
Kalifornien, das ist auf Postkarten zwar häufig gleichbedeutend mit Sonne und Meer, doch Marino stammt aus South Lake Tahoe – sie kennt also das Leben in der Höhe. Und doch bescherte ihr die Fahrt vom Flughafen Zürich hinauf ins Landwassertal beeindruckende Momente mit offenem Mund.
Es war vergleichbar, als Rick Nash und Joe Thornton 2004 erstmals nach Davos kamen und kaum glauben konnten, an welch landschaftlich besonderem Ort sie spielen würden.
Joe Thornton und Patrick Marleau als Idole
Apropos Thornton: Als Marino aufwuchs, war der damals bei den San Jose Sharks spielende «Jumbo Joe» einer ihrer Idole. Noch mehr beeindruckte sie dessen Teamkollege Patrick Marleau, wegen ihm trug sie künftig häufig die 12 auf dem Rücken. Marino sorgte in ihrem Heimatklub für Furore, sie war lange das einzige Mädchen im Team.
Erst im letzten Jahr, bevor sie für eine Saison nach San Jose zog, erhielt sie mit Katie Sonntag eine Teamkollegin – die beiden spielen nun gemeinsam in Davos, was natürlich kein Zufall ist: «Auch wenn wir danach in verschiedenen Teams spielten, blieben wir in Kontakt und wurden beste Freundinnen.»
Die beiden wollten ihr Europa-Abenteuer gemeinsam bestreiten, es gab sie also nur im Duo.
«Ich bin schon lange davon überzeugt, dass das Eishockey der Frauen profitieren würde, wenn man Bodychecks erlaubt.»
Nach ihrem Jahr in San Jose kam Marino umher in Nordamerikas Eishockey: Sie wechselte für ein Jahr nach Seattle, es folgte Junioren-Hockey im Bundesstaat Vermont, wo sie sich für ihre Zieldestination aufdrängen konnte: Universitätssport auf höchster Stufe.
Nach drei Jahren in Pittsburgh folgten in der PHF je eine Saison in Toronto und New Jersey. Über Davos wusste sie zuvor kaum etwas, zumindest der Spengler Cup war ihr nicht zuletzt dank Thornton ein Begriff.
Professionelle Bedingungen und keine Arbeit nebenbei
Und doch ist ihr nun vieles vertraut in Davos: «Die Bedingungen als Athletin sind professionell. Ich kann vier- bis fünfmal pro Woche trainieren, wir dürfen die ganze Infrastruktur des Männerteams benutzen.»
Erstmals kann sie Eishockey spielen, ohne nebenbei arbeiten zu müssen, selbst in der PHF sei dies nicht der Fall gewesen.
Und das Leben im kleinen Bündner Bergstädtchen erinnert sie an die Zeit als Studentin: «Es ist wie auf einem Campus, alles ist nahe, du siehst jeden Tag deine Kolleginnen.»
Doch bei aller Liebe zum Aufenthalt in Davos: Wenn Marino über die am 1. Januar 2024 gestartete PWHL spricht, der aus der PHF entstandenen Profiliga mit den wirklich weltbesten Athletinnen, zeigen sich schnell die Tücken im Eishockeyleben einer Frau.
Auch sie ist begeistert von der PWHL, welch gute Bedingungen diese den Spielerinnen bietet und auf welch grosse Resonanz die Partien stossen: Es ist nur zwei Tage nach diesem Gespräch, als beim Duell Toronto – Montreal 19285 in die Halle strömen und für einen neuen Rekord im Eishockey der Frauen sorgen.
«Ich erlebte das Spiel mit Bodychecks – und ich liebte es»
Und auch die neue PWHL-Hybridregel beim Bodycheck, der beim Zweikampf um den Puck Körperchargen entlang der Bande erlaubt, gefällt der 1,75 Meter grossen Stürmerin. «Als ich mit Jungs spielte, erlebte ich das Spiel mit Bodychecks – und ich liebte es!»
Es ist eine jahrelange Debatte im Fraueneishockey, wo bis letzte Saison das Checken grundsätzlich verboten war. Ähnlich wie in der PWHL wird heuer auch in Schweden eine diesbezügliche Regeländerung getestet. «Ich bin schon lange davon überzeugt, dass das Eishockey der Frauen profitieren würde, wenn man Bodychecks erlaubt», sagt Marino.
«Und es würde mehr Fans anziehen, auch solche aus den Kreisen der Traditionalisten, die die Finesse des Sports vielleicht nicht wirklich beachten und lieber das physische Element mögen.»
Doch selbst, wenn sich eine Chance ergeben würde, einst in der PWHL mittun zu können, ist sich Marino unsicher, ob sie zusagen würde. Wenn die Liga ihren Anfangsschwung mitnehmen kann und erfolgreich wird, dürften schon bald mehr als nur sechs Teams mittun wie heuer in der Gründungssaison.
«Natürlich würde es mir schwerfallen, zu dieser Liga nein zu sagen», beteuert sie. «Aber gleichzeitig denkt ein Teil von mir bereits an die Zeit nach dem Eishockey.» Mit 23 auf dieser Stufe spielen und ohne Verletzungssorgen bereits ans Karriereende denken?
Undenkbar bei den Männern. Sie habe aus gutem Grund studiert und Abschlüsse in Business und Marketing abgeschlossen, sagt Marino. Sie möchte sich eine Karriere danach aufbauen, das sei als Eishockeyspielerin nicht einfach.
Den Vertrag verlängert – und Reisen in Europa geplant
Vorerst wird sie eine weitere Saison in Davos anhängen, die Topskorerin des HCD hat gerade ihren Einjahresvertrag verlängert. 2024/25 könnte aber bereits den Abschluss ihrer Karriere bedeuten – mit knapp 25 Jahren.
Sie möchte die Zeit in Europa auch für Reisen nutzen, sie erzählt von Trips nach St. Moritz und den Reisen in alle umliegenden Länder. «Und nach der aktuellen Saison werden Katie und ich noch einen Monat durch Europa reisen, bevor wir in die USA zurückkehren.»
Ihren Kolleginnen in der Heimat sind ihre Erlebnisse nicht verborgen geblieben, sagt Marino. So wie sie sich in den beiden Jahren in der PHF von Mitspielerinnen inspirieren liess, die bereits in Europa oder sogar China gespielt hatten, so sehr wirkt sie nun als Motivatorin für andere, es auch bei einem Team in der Schweiz zu versuchen.
«Die Nachfrage ist gross, ich muss immer wieder von meinem Leben hier erzählen», sagt Marino. Und dann fügt sie jenen Satz an, der im Männerhockey so von einem 23-Jährigen unvorstellbar wäre: «Ich wollte unbedingt meine Auslandserfahrung machen, bevor ich zu alt bin.»
Über die Eishockeyspielerin Leah Marino
Geboren: 16. Juli 2000. Grösse: 175 cm. Vertrag: bis 2025.
Stationen: 2016 bis 2018: NAHA White (JWHL). 2018 bis 2021: Robert Morris Univ. (NCAA). 2021/22: Toronto Six (PHF). 2022/23: Metropolitan Riveters (PHF). Seit 2023: HC Davos Ladies.
Drafted: 2021 Runde 3 #16 overall von den Toronto Six