Nicolas Müller: «Ich wurde ins kalte Wasser geworfen»
Im SLAPSHOT-Interview spricht Nicolas Müller, Stürmer des EHC Biel, über eine Schiesserei, das Studentenleben und seinen Traum vom Schweizer Nationalteam.
SLAPSHOT: Wie war es, mit 25 sein erstes Spiel als Profi zu absolvieren?
Nicolas Müller: Lustig! Denn mit 25 bin ich ein ziemlicher alter Rookie (lacht). Es gab deswegen viele Sprüche in meine Richtung, aber im Ernst: Weil ich so lange darauf gewartet habe, war die Freude beim Debüt umso grösser.
SLAPSHOT: Sie haben zuletzt fünf Jahre am College verbracht und bis zum Wechsel nach Biel noch keinen Rappen mit Eishockey verdient. Stresste Sie das?
Müller: Gestresst war ich nicht, aber natürlich machte ich mir meine Gedanken. Glücklicherweise wurde ich immer von den Eltern unterstützt, und das Stipendium deckte in den USA die meisten Kosten. Für Wohnung, Essen und Training brauchte ich nichts zu zahlen, an die meisten Auswärtspartien reisten wir gar per Flugzeug.
Aber klar, mit dem Kontostand war das so eine Sache, als College-Spieler darf man ja nicht arbeiten. Ich bin froh, verdiene ich nun endlich Geld mit dem Sport.
SLAPSHOT: Weshalb entschieden Sie sich für den eher unkonventionellen Weg einer College-Laufbahn?
Müller: Ich hatte Optionen in der Schweiz. Aber mein Traum vom NHL-Vertrag war allgegenwärtig – und die NCAA ist eine Liga, aus der sehr viele NHL-Spieler hervorgehen. Mit dem Wechsel an die Michigan State University sah ich meine grösste Chance.
Es waren keine verlorenen Jahre – im Gegenteil. Ich bin ein kompletter Spieler geworden, habe dazu ein Sportstudium abgeschlossen. Und das Studentenleben war erste Sahne, man kennt das ja aus den Kinofilmen (lacht).
SLAPSHOT: Sie spielten zuletzt mit dem Weissrussen Artyom Levshunov, der beim NHL-Draft an zweiter Position gezogen wurde. Wie hoch ist das Niveau im College-Hockey?
Müller: Es sind über 60 Teams, das Niveau ist unterschiedlich. An der Spitze ist es sehr hoch, bei uns kamen im Schnitt 6500 Zuschauer. Aber klar: Es ist eine U25-Liga, viele Junioren sind dabei.
Die Partien sind hektischer und weniger laufintensiv als in der National League. Daher hat es schon einige Testspiele gebraucht, bis ich mich ans Schweizer Eishockey gewöhnt habe.
SLAPSHOT: Im Februar 2023 gab es an der Universität einen Amoklauf, ein 43-jähriger schoss um sich und tötete drei Menschen. Was machte das mit Ihnen?
Müller: Es war sehr schlimm, eine krasse Zeit. Ich war mit meiner Freundin zu Hause, keine fünf Gehminuten vom Tatort entfernt. Wir hörten die Sirenen der Polizei, die den Täter jagte.
Die Tragödie hat etwas mit den Menschen dort gemacht, viele der über 55'000 Studenten brauchten sehr lange, um alles zu verarbeiten. Ich konnte vergleichsweise gut damit umgehen, hatte aber noch eine
SLAPSHOT: War der Verbleib in Nordamerika eine Option?
Müller: Ich wollte einen NHL-Vertrag, das war über Jahre hinweg mein Antrieb gewesen. Aber das Angebot kam leider nicht. Kontakte mit AHL-Teams hat es gegeben, da hätte ich meine Chance bekommen. Aber ich dachte, dass es besser sei, jetzt heimzukehren.
In Biel kann ich zeigen, was in mir steckt. Das Team befindet sich in einer Umbauphase und soll verjüngt werden – da passe ich perfekt hinein. Und der Vertrag bis 2027 gibt etwas Sicherheit.
SLAPSHOT: Vor dem Wechsel in die USA spielten Sie vier Jahre in Schweden...
Müller: ...ich war neun Jahre weg, darum bin ich bisher im Schweizer Eishockey etwas unter dem Radar geflogen. An und für sich hatte ich in eine kanadische Juniorenliga wechseln wollen, aber bei Modo in der kleinen Stadt Örnsköldsvik passte alles.
Wir gewannen zwei Titel, zudem konnte ich das Gymnasium absolvieren und habe dort meine Freundin kennengelernt.
SLAPSHOT: Wie war es, die Heimat mit 16 zu verlassen?
Müller: Man hat mich ins eiskalte Wasser geworfen. Ich besuchte eine schwedische Schule, musste die Sprache sofort beherrschen.
Ich wohnte in einem Studio, musste selber waschen, kochen und so weiter – da wird man schnell erwachsen. Das Verlassen der Komfortzone hat mich geprägt und mich zu einem besseren Spieler gemacht.
SLAPSHOT: Hatten Sie nie Heimweh?
Müller: Doch, schon. Es gab in Schweden und in den USA auch Phasen, in denen ich überlegte, alles hinzuschmeissen und zurück zu den Eltern nach Basel zu ziehen. Aber das waren nur flüchtige Gedanken – ich hätte den Bettel nie hinschmeissen können.
SLAPSHOT: In der Saison 2018/19 bestritten Sie zwei Länderspiele. Ist ein Aufgebot fürs Nationalteam Ihr Ziel?
Müller: Ein sehr grosses sogar. Im Sommer durfte ich im Prospect Camp mitmachen, früher nahm ich an mehreren Junioren-Weltmeisterschaften teil.
Als ich in den USA lebte, ist der Kontakt zum Verband ein wenig abgerissen, zu Beginn waren meine Leistungen auch nicht gut genug. Aber jetzt will ich mich aufdrängen. Und als Patriot wäre es ein Traum, das Schweizer Kreuz auf der Brust zu tragen.
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Nicolas Müller
Geboren: 21. Juni 1999. Grösse: 184 cm. Gewicht: 87 kg. Vertrag: bis 2027.
Stationen: Bis 2015: Basel, ZSC Lions (Nachwuchs). 2015 bis 2019: MODO Hockey (Nachwuchs). 2019 bis 2024: Michigan State University (NCAA). Seit 2024: EHC Biel-Bienne.
Erfolge: Schwedischer U18- und U20 Meister, NCAA-Champion und Sportsmanship Award 2024.