Sinja Leemann: Siegen mit den Lions – arbeiten bei den Lakers
Sinja Leemann ist Captain bei den ZSC Lions und schon drei Meistertitel und einen Cup-Sieg gefeiert hat. Arbeiten tut sie bei den Rapperswil-Jona Lakers.
Rookie? Die ersten richtigen Erfahrungen im Erwachsenenhockey sammeln? Das ist bei Stürmerin Sinja Leemann schon weit weg. In ihrem Palmarès sind die ersten Erfolge längst eingetragen. Es ist der Lohn für den immensen Einsatz, den sie leistet, den folgende Episode treffend beschreibt.
Mitte April kehrte Leemann mit der Schweizer Nati am Dienstagnachmittag von der Frauen WM in den USA in die Schweiz zurück. Am folgenden Tag war sie bereits wieder an ihrem Arbeitsort – wie auch zwei Tage später, als sie ihren 22. Geburtstag feierte.
«Wir haben aber abgemacht, dass ich etwas früher gehe, damit ich doch noch etwas feiern kann», sagt sie lachend. Und: «Wenn ich total am Limit gewesen wäre, hätte ich das sicher mit meinem Arbeitgeber anschauen und eine Pause machen können. Aber ich habe mich gut gefühlt, hatte keinen Jetlag – und weil bei uns das Geschäftsjahr Ende April endet, gibt es sowieso viel zu tun. Da ist es gut, konnte ich so früh beginnen.»
Der Arbeitgeber, von dem die ZSC-Stürmerin schwärmt, das sind die Rapperswil-Jona Lakers. Und zwar schon seit Jahren. Sinja Leemann hat auf der Geschäftsstelle der Lakers ihre KV-Lehre absolviert, während der anschliessenden Berufsmaturität sporadisch weitergearbeitet, und seit September 2022 ist sie zu 100 Prozent im Bereich Finanzen des National League-Klubs tätig.
Ist es nicht speziell, beim ZSC zu spielen und bei den Lakers das Geld zu verdienen? Sie werde oft danach gefragt, sagt Sinja Leemann, «doch wir haben einen guten Austausch und bei allfälligen Terminkollisionen haben wir bis jetzt immer eine passende Lösung gefunden».
Probleme gebe es keine, aber ab und zu würden schon Sprüche gemacht. «Zudem kann ich den Sport und den Beruf sehr gut trennen und musste ich nach meiner Zeit im Nachwuchshockey der Jungs einen neuen Klub suchen, weil die Lakers kein Frauenteam in der PostFinance Women’s League haben.
Die beste Option waren da die ZSC Lions, da die Distanz nicht gross ist und ich wusste, dass ich weiterhin gerne bei den Lakers arbeiten möchte.»
«Sinja ist ein Herzensmensch»
Das Pendeln zwischen den Lions und den Lakers war sportlich definitiv der richtige Entscheid. In ihren drei Jahren in Zürich gewann Leemann die bereits erwähnten vier Titel.
Zudem war sie in der vergangenen Regular Season mit 25 Toren und 27 Assists die Topskorerin der Lions und die produktivste Schweizerin der Liga; in den Playoffs kamen dann weitere vier Punkte dazu (drei Tore, ein Assist). Und die erst 22-Jährige ist bereits seit zwei Jahren Captain der Zürcherinnen.
«Für mich ist wichtig, dass das Captain-Team sich um das Wohl aller Spielerinnen kümmert. Und Sinja ist ein Herzensmensch, sie will, dass es den Spielerinnen gut geht.
Sie ist nicht Captain, weil sie die beste Spielerin auf dem Eis ist, sondern auch von der Person her», sagt ZSC-Trainerin Angela Frautschi.
«Es war sehr knapp und hätte auf beide Seiten fallen können. Umso schöner ist es, dass uns am Ende die Titelverteidigung gelungen ist.»
Leemann weiss, dass sie jung ist, um so viel Verantwortung zu übernehmen, sagt aber gleichzeitig, dass im Team viele andere Spielerinnen stehen, die noch jünger sind als sie. Und: «Betreffend Spielerfahrung gehöre ich fast schon zu den älteren.
Es ist eine riesige Verantwortung, die mich auch stolz macht, aber am Ende schaffen wir das gemeinsam mit unserem Captain-Team und lastet nicht alles auf mir.
Das hilft.» Den von Trainerin Frautschi erwähnten Charaktereigenschaften stimmt sie übrigens zu und sagt: «Ja, ich will, dass es allen gut geht. Und schlussendlich ist das auch der Schlüssel zum Erfolg. Dass man als Team gemeinsam etwas bewegt und jedes Mitglied weiss, woran es ist.»
Diese Erfolge kommen regelmässig. Zuletzt in der Finalserie gegen die SC Bern Frauen, in der die Zürcherin das entscheidende Spiel 5 auswärts mit 3:0 gewannen.
«Es war sehr intensiv, die fünf Spiele haben innert nur neun Tagen stattgefunden und bis auf das letzte Duell gab es immer nur ein Tor Unterschied. Es war sehr knapp und hätte auf beide Seiten fallen können. Umso schöner ist es, dass uns am Ende die Titelverteidigung gelungen ist», erklärt Leemann.
«Es ist ein mega schönes Gefühl, mit dem Team unterwegs zu sein, es sind Emotionen, die man im Alltag so sonst nicht erlebt. Ich bin sehr stolz auf uns alle, dass wir diese Erfolge feiern konnten. Dennoch gibt es Dinge, die wir in Zukunft besser machen können, um weiter zu wachsen – doch das braucht alles etwas Zeit.»
«Betreffend Spielerfahrung gehöre ich fast schon zu den älteren. Es ist eine riesige Verantwortung, die mich auch stolz macht, aber am Ende schaffen wir das gemeinsam mit unserem Captain-Team und lastet nicht alles auf mir. Das hilft.» Sinja Leemann über ihre Captain-Rolle.
Und wo sieht sie das Erfolgsgeheimnis ihres Teams? «In meinen Augen macht unser Team aus, dass wir sehr viel Spass haben.
Wir lachen im Training und auch während den Spielen extrem viel – und so lange wir diesen Spass leben können, ist es uns auch möglich, solche Erfolge zu erreichen.
Wir stehen zusammen, was in der vergangenen Saison auch der Fall war, als es uns nicht wunschgemäss lief und wir im Cup ausschieden. Wir wussten danach genau, woran wir arbeiten wollen und haben so den Turnaround geschafft.»
Die Vorfreude auf den EVZ
Nach dem Titel-Hattrick werden die Löwinnen auch nächste Saison bissig sein und Meistertitel Nummer 4 anvisieren. Doch die Konkurrenz schläft nicht.
Die Bernerinnen schnupperten die letzten zwei Jahre am Titel und sind heiss, dazu kommt in der neuen Saison der finanziell potente und ambitionierte EV Zug, der sofort an der Spitze mitmischen wird. Freude oder Furcht, Sinja Leemann?
«Es besteht eine totale Freude», kommt die Antwort wie aus der Pistole geschossen. «Ich freue mich für sie und höre von dort spielenden Kolleginnen viel Gutes. Es ist eine riesige Chance für uns alle. Wir vom Zett können profitieren, indem wir zusätzliche gute Spiele vor hoffentlich vielen Zuschauern haben.
Ich hoffe, dass sich dies nun alles steigert und sich andere Klubs ein Beispiel nehmen und das Frauen-Eishockey ebenfalls pushen.»
Klar ist, dass sich die 22-jährige Stürmerin auch in Zukunft weiter steigern und verbessern will, obwohl sie bereits eine der besten Spielerinnen auf Schweizer Eis ist. «Sinja ist extrem talentiert und hat das Zeugs zur Topspielerin.
Schlittschuhläuferisch ist sie top, was ihr ohne Körperkontakt sehr viele Möglichkeiten eröffnet, denn da sind solche Skills extrem wichtig», sagt ihre Trainerin Angela Frautschi. «Sie hat zudem eine sehr gute Ausbildung genossen. Es ist einfach schön, Sinja beim Eishockey zuzuschauen.
Ich bin stolz auf sie, wie sie diese Saison gemeistert hat, denn sie hat im Vergleich zum Vorjahr nochmals einen grossen Schritt vorwärts gemacht und verfügt über mehr Selbstvertrauen. Sie macht ihren Job extrem gut – als Spielerin und als Captain.»
Eine grosse Leidenschaft
Und dies, obwohl ein Profistatus in der Schweiz weit weg ist. Der Job bei den Lakers nötig ist, obwohl darunter natürlich die Freizeit leidet. Umso dankbarer ist sie, dass sie von den St. Gallern immense Unterstützung bekommt, beispielsweise auch, wenn es um Einsätze mit dem Nationalteam geht.
Natürlich könne es ab und zu etwas frustrierend sein zu sehen, dass wohl alles anders wäre, wenn man ein Mann wäre, dass sich die sportliche Qualität auch finanziell ausbezahlen würde, «aber am Ende ist das Eishockey eine grosse Leidenschaft – egal, ob als Beruf oder als Hobby».
Auch die Ziele und Träume fehlen nicht: weitere Titel mit den ZSC Lions «und an einer WM oder Olympischen Spielen mit der Schweiz eine Medaille gewinnen».
Und wer weiss, vielleicht wagt sie ja auch einmal den Sprung nach Nordamerika oder Schweden, um temporär voll aufs Eishockey zu setzen. «Im Hinterkopf habe ich das Ausland schon, aber ich bin sehr glücklich mit meinem Arbeitgeber, so viele Freiheiten bekommt man selten», sagt sie.
«Doch wenn sich mal eine gute Chance ergibt oder ich unbedingt etwas Neues erleben und eine Veränderung möchte, ist es sicher nicht ausgeschlossen. Ich nehme es, wie es kommt.»
Trainerin Angela Frautschi, die einst selber in Kanada spielte, versteht ihre Stürmerin und sagt: «Es gibt Spielerinnen, die gerne diese Challenge annehmen, andere haben mehr Mühe, das gewohnte Umfeld zu verlassen.
Und wenn man sich im Ausland nicht wohl fühlt, kommt man als Sportlerin auch nicht weit. Für mich war es ein super Erlebnis, ich möchte es nicht missen. Wenn Sinja mal im Ausland spielen möchte, würde ich sie da auch unterstützen.»