«Blueliner Berger»: Farewell, Johnny Hockey

Slapshot
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Am 30.09.2024 - 15:02

Am 29. August sind der NHL-Star Johnny Gaudreau und dessen Bruder Matthew bei einem Verkehrsunfall in New Jersey verstorben. Was diese Tragödie uns lehren kann.

NHL
Johnny Gaudreau ist tot. Der Hockey-Profi spielte zuletzt in der NHL für die Columbus Blue Jackets. - dpa

Johnny Gaudreau hat das Eishockey verändert.

Er zeigte, dass man auch mit der Körpergrösse von 1,72 Metern ein NHL-Super- star werden kann: 9,75 Millionen Dollar bezahlten ihm die Columbus Blue Jackets pro Saison. Weil er einer der spektakulärsten Skorer der Welt war, ein trickreicher, teuflisch schneller Wirbelwind, der die Beine der gegnerischen Verteidiger verknotete. Und immer anspielbar blieb, weil es gegen seine Wendigkeit und Dynamik kein Rezept gab.

In elf Jahren totalisierte er 763 Spiele und 743 Skorerpunkte, sieben Mal nahm er am All-Star-Game teil. Er widerlegte alle Vorurteile, die ihn auch dann noch stigmatisierten, als er im College Rekorde brach: zu klein, zu zerbrechlich, schrieben die Scouts. Die Calgary Flames wählte ihn 2011 erst in der vierten Draftrunde aus. Exakt einen Pick nach Grégory Hofmann.

Gaudreau übertraf alle Erwartungen, seine Karriere glich einem nie enden wollenden Highlight-Clip auf YouTube. Bald kannten ihn alle nur noch unter seinem Spitznamen aus Teenager-Zeiten: «Johnny Hockey».

Er bewies, dass Tempo, Talent und Drive wichtiger sein können als Zentimeter. Und wurde zur Inspiration für eine ganze Generation an Spielern, denen ihr Leben lang von rückwärtsgewandten Trainern gesagt worden war: Du bist zu klein für dieses Spiel, aus dir wird nie etwas. Für Lino Martschini etwa, den 1,69 Meter grossen Stürmer des EV Zug, war Gaudreau das grosse Vorbild.

Gaudreau stand für Lebensfreude, er spielte so, als wolle er immer wieder aufs Neue den Beweis antreten, dass Hockey auch dann noch ein Spiel ist, wenn es um irrwitzige Summen geht.

Brian Burke, der ehemalige Manager der Flames, sagte: «Es hat in der Geschichte des Eishockeys nicht viele Jungs gegeben, die diesen Sport mit so viel Passion betrieben und ihn so sehr geliebt haben wie Johnny. Er war auch darum so gut, weil es ihm aufrichtig Spass machte, Hockey spielen zu dürfen.»

Am 29. August kurvte Gaudreau, 31, mit seinem zwei Jahre jüngeren Bruder Matthew auf dem Fahrrad durch die Strassen von Oldmans Township, einer winzigen Gemeinde in New Jersey mit weniger als 2000 Einwohnern.

Die beiden waren zehn Autominuten entfernt aufgewachsen, in Carney’s Point, wo sie sich als Knirpse einst ins Hockey verliebten. Nach Philadelphia waren es nur 50 Kilometer, sie verehrten die Flyers. Die geplante Hochzeit ihrer Schwester Katie hatte die Brüder nach Hause zurückgeführt, sie sollten am 30. August Trauzeugen sein.

Doch so weit kam es nicht: Wenige Stunden vor der Hochzeit wurden die beiden von einem Auto erfasst; der Zusammenprall war so heftig, dass sie keine Überlebenschance hatten. Der Lenker, ein 43-jähriger Amerikaner, sagte gegenüber der Polizei, dass er «vier oder fünf Bier» getrunken habe.

Gaudreau hinterlässt nicht nur ein eindrückliches Hockey-Vermächtnis. Sondern vor allem auch eine Familie. Seine zweieinhalb Jahre alte Tochter hätte als Blumenmädchen zum Altar schreiten sollen. Der erst sechs Monate alte Sohn Jonny sollte den Ring übergeben. Es ist eine kaum fassbare Tragödie, dass Gaudreau das nicht mehr erleben konnte.

Was bleibt, sind zwei Erkenntnisse, so banal und hohl sie auch klingen mögen in der Stunde der Trauer.

a) Es gibt keine Entschuldigung dafür, sich unter Alkohol- oder Drogeneinfluss hinters Steuer zu setzen, nichts kann wichtig genug sein, Leben zu gefährden.

Und b) die Dinge nicht aufzuschieben, für die man wirklich brennt, schon gar nicht zu Gunsten eines eigentlich relativ egalen Jobs: Der schon lange geplante, aber nie realisierte NHL-Trip, die Pilgerreise nach Arosa oder Villars, was auch immer.

Gaudreaus tragischer, früher, sinnloser Tod ist ein Reminder dafür, dass wir nie wissen, wann alles zu Ende ist.

Der Autor:

Nicola Berger schreibt seit mehr als 15 Jahren über das Schweizer Eishockey – er tat das lange für die «Luzerner Zeitung». Und auch für Produkte, die es betrüblicherweise längst nicht mehr gibt: «The Hockey-week», «Eishockey-Stars», «Top Hockey». Seit 2013 ist er Reporter bei der NZZ und hat eine ausgeprägte Schwäche für Aussenseiter sowie aus der Zeit gefallene Stadien und Persönlichkeiten. Ein Königreich für ein Comeback von Claudio Neff.

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