Das Schweizer Eishockey muss lernen, seine Vorväter zu ehren
In der Kolumne «Blueliner Berger» schreibt Nicola Berger für Slapshot. Diesmal geht um die brachliegende Erinnerungskultur im Schweizer Eishockey.
Es gibt wenig, was die Schweiz aus dem Kosmos des nordamerikanischen Sports übernehmen sollte. Eine der Ausnahmen ist die Erinnerungskultur. Wieso schaffen es die wenigsten Schweizer Vereine, jene Personen anständig zu behandeln, die einst den Weg ebneten?
Die Hockey Hall of Fame in Toronto zieht jährlich hunderttausende Besucher an. Sie ist so etwas wie eine heilige Kathedrale des globalen Eishockeys und beherbergt Tausende an faszinierenden Artefakten – neben der originalen Stanley Cup-Trophäe gibt es original getragene Ausrüstungsgegenstände aller Lichtgestalten in der Geschichte dieses Sports zu bestaunen – von Wayne Gretzky über Dominik Hasek bis zu Wladislaw Tretjak.
Auch ein paar Schweizer Memorabilien aus dem Schweizer Eishockey sind ausgestellt: Etwa die Handschuhe, mit denen Fabrice Herzog im Playoff-Final von 2022 den «Reverse Sweep» perfekt machte und dem EV Zug gegen den ZSC den Titel sicherte.
Die Erinnerungskultur ist im nordamerikanischen Sport tief verankert. Wenn ein Banner unters Hallendach gezogen wird, entschädigt das für den grottigsten Auftritt in der eigentlichen Partie. Kaum ein Spiel, bei dem nicht eine alte Grande seine Standing Ovation abholen kann und eine ehemalige Meistermannschaft geehrt wird.
Praktisch alle Klubs unterhalten «Alumni»-Programme; wer etwas für die Organisation geleistet hat, gehört zur Familie, wird bewirtet und geschätzt. So müsste das überall sein, doch in der Schweiz fehlen dafür die Sensibilität und das Bewusstsein. Auch im Fussball, wo aber immerhin YB und der FC Zürich ein eigenes Museum unterhalten.
Im Eishockey schafft es ausser den ZSC Lions kaum jemand, seine alten Helden anständig zu behandeln. Im Frühjahr war der Kult-Goalie Ari Sulander in der Belle gegen Lausanne der Glücksbringer. Die Kultur der Wertschätzung wird nicht zuletzt von Präsident und Patron Walter Frey geprägt, der viel Wert auf Loyalität legt.
Vielerorts aber liegt die Pflege der eigenen Hinterlassenschaft brach. Weil sich niemand dafür zuständig fühlt oder die Mittel fehlen. Das fängt schon bei Swiss Ice Hockey an – der Dachverband ist ein gutes Beispiel dafür, wie man es nicht machen sollte.
2018 berichtete «CH Media», dass die SIHF rechtzeitig zur (dann pandemiebedingt abgesagten...) Heim-WM 2020 eine eigene Hall of Fame einrichten wolle. Kurz darauf ruderten die Macher zurück: Es werde nur eine Online-Ruhmeshalle geben.
Die gibt es zwar inzwischen, gepflegt wird das Konstrukt offenkundig nur rudimentär. Zu den Mitgliedern sind zumeist knapp drei Sätze zu lesen; die Seite ist seit 2022 und der Aufnahme von Julia Marty und Bob Mongrain nicht mehr aktualisiert worden.
Die Klubs sollten den Anspruch haben, es besser zu machen. Zumal es nur Gewinner hervorbringt, wenn Vergangenheit und Gegenwart verschmelzen: Es stärkt die Identifikation der Zuschauer und freut die alten Kämpen, welche den Helden von heute etwas von ihrer Lebenserfahrung mitgeben können.
Es gibt sehr viele nordamerikanische Dinge, die wir in unserem Sport nicht brauchen: Die Abschaffung der Stehplätze, die ungezügelte Kommerzialisierung, die Bürokratie, das Eventpublikum, die überrissenen Eintrittspreise.
Aber wenn es darum geht, wie man als Klub sein Erbe bewahrt, hegt und pflegt, sollten die hiesigen Verantwortlichen dringend einen Crash-Kurs in der NHL besuchen.
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Der Autor
Nicola Berger schreibt seit mehr als 15 Jahren über das Schweizer Eishockey – er tat das lange für die «Luzerner Zeitung». Und auch für Produkte, die es betrüblicherweise längst nicht mehr gibt: «The Hockeyweek», «Eishockey-Stars», «Top Hockey».
Seit 2013 ist er Reporter bei der NZZ und hat eine ausgeprägte Schwäche für Aussenseiter sowie aus der Zeit gefallene Stadien und Persönlichkeiten. Ein Königreich für ein Comeback von Claudio Neff.