Hollenstein: Wahrheiten einer Hockey-Lichtgestalt
Felix Hollenstein prägte das Schweizer Eishockey während Jahrzehnten. Im grossen SLAPSHOT-Interview erzählt er aus seinem Leben.
Im SLAPSHOT-Interview erzählt Felix Hollenstein vom Kampf gegen den Krebs, von seinem neuen Leben, der Rivalität mit dem ZSC – und er gewährt faszinierende Einblicke in die wilden 1980er Jahre.
Es ist ein Montag im Oktober als Felix Hollenstein SLAPSHOT zum grossen Interview empfängt.
Auf seinem Grundstück hoch über Bülach ist die Luft angenehm frisch, der Ausblick herrlich. In einer Scheune hängen Devotionalien einer grossen Karriere an der Wand – unter anderem ein getragenes Originaltrikot von Sergei Makarov, dem ehemaligen russischen Weltstar.
Hin und wieder bellt einer von Hollensteins Schäferhunden – «Fige» und seine Frau Barbara begeistern sich seit Jahren Rasse und sind international anerkannte Züchter. Seit Hollensteins Rücktritt als Spieler sind 22 Jahre vergangen, aber sein Vermächtnis hat die zwei Jahrzehnte bei weitem überdauert.
Zeit für Familie und Hunde
Die 1990er Jahre waren die Hochphase des EHC Kloten, und Hollenstein war als Captain und Lichtgestalt das Aushängeschild dieses erstaunlichen Klubs.
Selbstverständlich hängt sein Trikot im Schluefweg unter dem Hallendach. In jenem Stadion, welchem er immer die Treue hielt – als Spieler wie als Trainer und Funktionär.
Vermutlich würde er noch heute im EHC Kloten wirken, in welcher Tätigkeit auch immer, doch eine Knochenmarkkrebs-Diagnose warf ihn Ende 2019 aus der Bahn.
Seither lebt Felix Hollenstein quasi als Pensionär – und sagt, er geniesse es, genug Zeit für die Familie und die Hunde zu haben.
SLAPSHOT: Wie geht es Ihnen nach der überstandenen Knochenmarkkrebs-Erkrankung gesundheitlich?
Felix Hollenstein: Wieder gut, danke. Mir machten die Ärzte sofort Mut, als es nach der Stammzellenkur endlich aufwärts ging. Ich muss immer noch alle drei Monate zur Kontrolle, aber ich bin zufrieden. Hat die Krankheit Ihre Perspektiven aufs Leben verändert?
SLAPSHOT: Hat die Krankheit Ihre Perspektiven aufs Leben verändert?
Hollenstein: In gewisser Weise auf jeden Fall. Plötzlich ist nur noch wichtig, gesund zu werden, alles andere rückt in den Hintergrund.
SLAPSHOT: Also auch das Eishockey?
Hollenstein: Bestimmt. Aber ich werde diesen Sport immer lieben. Er hat mir in meinem Leben so, so viel gegeben. Leider lässt es mein Körper heute nicht mehr zu, dass ich spiele. Ich bin auch zu alt dafür.
SLAPSHOT: Wann waren Sie das letzte Mal auf dem Eis?
Hollenstein: Das war direkt nach meiner letzten Chemotherapie im Schluefweg. Ich kenne den Eismeister dort seit Jahrzehnten. Ich fragte ihn, ob ich kurz aufs Eis dürfe. Da habe ich ein paar Runden gedreht und aufs Tor geschossen. Es war grossartig.
«Sonst hat es immer mal wieder Angebote gegeben, zum Beispiel aus Lugano. Aber ich hatte keinen Grund, Kloten zu verlassen. Hier hatte ich all meine Freunde. Und immer eine Mannschaft, mit der ich das Gefühl hatte, Meister werden zu können.»
SLAPSHOT: Sie verwenden das Wort Abschluss. Bedeutet das, dass wir Felix Hollenstein auch als Trainer nie mehr sehen werden?
Hollenstein: Nein, diese Zeiten sind vorbei. Und das ist auch gut so. Ich bin sehr glücklich mit meinem heutigen Leben. Ich geniesse es, Zeit für meine Familie, die Enkelkinder und meine Hunde zu haben.
Meine ganze Familie war gerade während meiner Krankheit ein enormer Rückhalt, dafür bin ich wahnsinnig dankbar.
SLAPSHOT: Vermissen Sie das Hockey?
Hollenstein: Ja und nein. Ich habe eine gewisse Distanz gewonnen. Das heisst: Ich kenne in der National League nicht mehr von jedem Spieler alle Stärken und Schwächen. Das wäre früher undenkbar gewesen.
Aber ich schaue nach wie vor gerne und viel Eishockey. Und ich pflege meine Kontakte. Es gibt auch Manager von Klubs, die mich anrufen und nach meiner Meinung fragen.
Ich bin also schon immer ein wenig noch involviert. Einfach ohne die ganze Verantwortung, was ganz angenehm ist (lacht).
SLAPSHOT: Sie sprachen die Hunde an: Sie sind seit vielen Jahren ein Hundeliebhaber, Züchter und präsidierten den schweizerischen Schäferhundeklub. Sind Sie eigentlich nie gebissen worden?
Hollenstein: Doch, natürlich. Nicht, weil ein Hund das vorsätzlich getan hätte, aber Unfälle passieren. Ich habe sogar mal zwei Länderspiele verpasst, weil ich ein Loch in der Hand hatte.
SLAPSHOT: Wie bitte?
Hollenstein: Ja, ich musste den damaligen Nationalcoach Simon Schenk anrufen und ihm das mitteilen. Der hat die Welt nicht mehr verstanden.
Ich bat ihn eindringlich, bitte dem «Blick» nichts davon zu erzählen. Das hat er zum Glück tatsächlich nicht gemacht (lacht).
SLAPSHOT: Sie wechselten 1985 aus Bülach nach Kloten. Und haben danach nie für einen anderen Klub gespielt oder gearbeitet. So viel Klubtreue ist selten.
Hollenstein: Ich habe mich in Kloten verliebt und kam von diesem Verein nie mehr los. Ich bin auch seit mehr als 35 Jahren mit meiner Frau verheiratet.
Jeder Mensch ist anders, manche brauchen nach zehn Jahren etwas Neues, Abwechslung. Aber ich hatte nie das Gefühl, etwas verändern zu müssen – ich hatte ja immer alles. Ich habe bis heute nie das Gefühl gehabt, etwas zu verpassen.
SLAPSHOT: Waren Sie jemals nahe an einem Wechsel dran?
Hollenstein: Preussen Berlin wollte mich und Anders Eldebrink als Spieler unbedingt holen. Aber Elda wollte nicht, da habe ich es auch gelassen. Sonst hat es immer mal wieder Angebote gegeben, zum Beispiel aus Lugano.
Aber ich hatte keinen Grund, Kloten zu verlassen. Hier hatte ich all meine Freunde. Und immer eine Mannschaft, mit der ich das Gefühl hatte, Meister werden zu können.
Wir waren wirklich, wirklich gut. Ich kann mich noch an einen Moment in der Finalserie gegen den SCB von 1996 erinnern:
Wir führten in Bern in der dritten und letzten Partie 5:1 und «Gates» Orlando sagte zu mir: «Ich wünschte, das wäre endlich zu Ende. Gegen euch macht es keinen Spass mehr.»
SLAPSHOT: Auch der ZSC versuchte Sie einst anzuwerben. Wieso wurden Sie nie weich?
Hollenstein: Es gab beim ZSC einen Manager, der wirklich alles unternommen hat, damit ich unterschreibe. Es gab damals ja noch keine Agenten, mein Vater hat mir bei meinen Verträgen geholfen.
Der Mann vom ZSC rief jeden Tag bei uns zu Hause an. Dummerweise tat er das stets um 12.30 Uhr. Und da wollte mein Vater seinen Mittagsschlaf halten… Entsprechend kam das nicht so gut an.
«Ich geniesse es, Zeit für meine Familie, die Enkelkinder und meine Hunde zu haben. Meine ganze Familie war gerade während meiner Krankheit ein enormer Rückhalt, dafür bin ich wahnsinnig dankbar.»
SLAPSHOT: Wann begann der Rummel um Sie?
Hollenstein: Ich spielte mit 17 bei Bülach in der 1. Liga. Als ich eines Tages nach Hause kam, lag ein Schreiben des Schweizerischen Eishockeyverbands im Briefkasten.
Darin stand, dass ich für die Nationalmannschaft aufgeboten bin. Ich fiel aus allen Wolken und dachte: Das kann nur ein Missverständnis sein. Also habe ich da angerufen und gesagt: Ich glaube, Ihnen ist da ein Fehler unterlaufen.
Aber es war wirklich so. Der damalige Nationaltrainer Bengt Olsson hat in Embrach gewohnt und sich viele Spiele von Bülach angesehen.
Nach meinem ersten Training mit der Nati stand das Telefon fast nicht mehr still. Meinem Vater wurde der Rummel auch zu gross. Nach dem ersten Tag bei der Nati sagte er: «Du kommst jetzt nach Hause.»
Also bin ich abgereist. Er wollte, dass ich meine Ausbildung abschliesse und mir das alles nicht in den Kopf steigt. Dafür war ich später sehr dankbar.
SLAPSHOT: Wieso haben Sie sich damals für Kloten entschieden?
Hollenstein: Für mich war das die klar beste Option. Kloten war ja quasi neben der Haustüre. Ich konnte meine Ausbildung beenden. Und danach in den ersten Jahren als Profi auch weiterhin nebenbei als Feinmechaniker arbeiten.
SLAPSHOT: War die NHL mal ein Thema?
Hollenstein: Wo denken Sie hin? Ich hatte noch den «Sport» abonniert und las dort immer die NHL-News. Aber das waren Nachrichten wie von einem anderen Planeten.
Es gab ein, zwei Mal lose Kontakte, aber für mich war das zu weit weg. Ich war in meinem Leben sowieso nur ein einziges Mal in den USA: In Alaska, um mich einer Operation zu unterziehen.
SLAPSHOT: Wie viele Leute gibt es eigentlich, zu denen Sie bis heute Kontakt halten? Haben Sie im Eishockey Freundschaften fürs Leben gefunden?
Hollenstein: Auf jeden Fall. Roman Wäger zum Beispiel sehe ich bis heute regelmässig, er ist mein bester Freund. Mit Reto von Arx tausche ich mich nach wie vor oft aus.
André Rötheli, Jürg Ochsner, Reto Pavoni, Klotens Teamarzt Dr. Ulrich Brunner. Es gibt viele Leute, die ich schätze.
SLAPSHOT: Sie erwähnen Roman Wäger, ihren kongenialen Sturmpartner. Stimmt es, dass Sie zusammen mal gegen Wayne Gretzky gespielt haben?
Hollenstein: Ja, das war während des Lockouts 1994 in Freiburg im Breisgau. Der Präsident rief mich an und fragte, ob ich Lust habe, gegen die «Gretzky All-Stars» zu spielen.
Natürlich hatte ich das. Also haben Roman und ich uns an einem Freitag nach dem Training in Kloten ins Auto gesetzt und sind nach Freiburg gefahren. Das war ein cooles Erlebnis, die Halle war berstend voll.
SLAPSHOT: Wer war Ihr bester Coach?
Hollenstein: Ich habe Alpo Suhonen sehr geschätzt. Wir sind mit ihm Meister geworden und als dann klar war, dass er trotzdem gehen muss, hätten wir beinahe die Meisterfeier boykottiert, wir waren so sauer.
Und versuchten, Jürg Ochsner dazu zu bewegen, seinen Entscheid zu überdenken. Schliesslich sind wir den Fans zuliebe trotzdem hingegangen. Aber der beste Coach überhaupt war Conny Evensson.
Er war eine authentische, starke Persönlichkeit mit einer besonderen Aura. Er ist in der Kabine kein einziges Mal laut geworden. Einfach, weil schon nur sein Blick reichte, damit wir wussten, was Sache war.
Für diesen Mann wären wir alle durchs Feuer gegangen. Wir sind mit ihm zwei Mal Meister geworden, dann ging er leider zurück nach Schweden. Ein feiner Mensch.
SLAPSHOT: Sie haben mit Kloten die beste Phase der Klubgeschichte erlebt. Wie sehr haben Sie in den letzten Jahren die Turbulenzen, der Abstieg und die finanziellen Schwierigkeiten, beschäftigt?
Hollenstein: Ich habe immer versucht, eine gewisse Distanz zu wahren. Weil ich es ja nicht beeinflussen konnte. Aber es hat geschmerzt, klar. Teilweise habe ich mich schon gefragt, was da eigentlich abgeht.
SLAPSHOT: Ihr Sohn Denis wechselte nach dem Abstieg von 2018 von Kloten zum ZSC, was ihm bis heute nicht alle verziehen haben. Wie standen Sie dem Transfer gegenüber?
Hollenstein: Ich habe ihn unterstützt. Mir ist wichtig, dass er glücklich ist. Unabhängig davon, ob das nun in Kloten, beim ZSC oder in Lugano ist.
Ich besuche seine Spiele regelmässig. Und ich finde schon, dass Denis dem EHC Kloten alles gegeben hat, was er konnte. Es ist doch legitim, dass er sich sagte:
Ich will jetzt auch mal noch Meister werden. Wir wissen alle, dass die Gegebenheiten in Kloten dafür nicht mehr gegeben waren.
SLAPSHOT: Wie hat sich eigentlich die Rivalität zwischen Ihnen und dem Anhang des ZSC gebildet?
Hollenstein: Ich bin im alten Hallenstadion immer beschimpft und mit Bier beworfen worden. Und habe, heute kann ich das ja sagen, auch immer wieder mal mit dem ausgestreckten Mittelfinger geantwortet (lacht).
Es war eine spezielle Beziehung. Rückblickend glaube ich, dass es beide Seiten genossen haben: Die Fans auf der Stehrampe. Und der Hollenstein auch.
SLAPSHOT: Kam es vor, dass Sie bedroht wurden?
Hollenstein: Nein. Einmal fanden ein paar Leute die Telefonnummer meiner damaligen Freundin heraus und riefen dort an. Aber das hat wieder aufgehört.
SLAPSHOT: Sie spielten in den wilden 1980er-Jahren. Was war das extremste Erlebnis in dieser Zeit?
Hollenstein: Im Winter 1985/86 spielten wir in Lugano. Nach dem Spiel flogen Steine auf unseren Mannschaftscar. Da sind wir ausgestiegen, haben unsere Stöcke ausgepackt und sind auf die Angreifer los.
Ich weiss noch, wie Bob Mongrain ein paar dieser Jungs gepackt hat. Ich glaube nicht, dass die nachher nochmal etwas Vergleichbares getan haben... Ja, die 80er waren eine andere Zeit.
SLAPSHOT: Sie waren in Zürich auch deshalb so eine Reizfigur, weil Sie so gut gespielt haben. Wie gelang es Ihnen, dieses Niveau zu erreichen?
Hollenstein: Ich habe trainiert wie ein Irrer. Auch im Sommer, als das noch nicht gang und gäbe war.
Einmal war ich mit der Familie auf Mallorca in den Ferien und musste diese vorzeitig abbrechen, weil ich das Gefühl hatte, trainieren zu müssen. Wir haben dann den Flug vorverschoben. Zum Glück ist meine Frau sehr verständnisvoll…
SLAPSHOT: Sie haben auch 131 Länderspiele und sieben Weltmeisterschaften bestritten. Welche Erlebnisse bleiben aus den Jahren mit dem Nationalteam?
Hollenstein: Die zwei Aufstiege aus der B-Gruppe waren absolute Höhepunkte für mich. Es war immer eine gute Zeit, egal ob wir in Piestany oder oder an der A-WM gespielt haben.
So wie 1992 in Prag, als wir Vierter wurden. Ein Testspiel in Italien ist mir auch in Erinnerung geblieben. Vor den Toren hatte es plötzlich kein Eis mehr, so warm war es.
SLAPSHOT: Nach der Entlassung von Glen Hanlon im Oktober 2015 waren sie kurz Nationaltrainer.
Hollenstein: Ja. Aber dann ist mein Vater gestorben. Mein Vater war mein Held. Und mein bester Freund. Sein Tod hat mir den Boden unter den Füssen weggezogen. Ich habe deshalb darum gebeten, dass Patrick Fischer das Team im November am Deutschland-Cup betreut.
Er ist dann Cheftrainer geblieben, auch für die WM, ich half als Assistent. Vielleicht hätte ich offensiver sein sollen, aber auch da: Es ist in Ordnung so, wie es ist.
SLAPSHOT: Sie waren in Kloten Cheftrainer, Assistenzcoach, Nachwuchstrainer und Sportchef. Hatten Sie auch in diesen Funktionen nie das Bedürfnis, für einen anderen Klub zu arbeiten?
Hollenstein: Nein. Es gab auch nie ein Angebot. Vielleicht, weil ich nie einen Agenten hatte. Aber es hätte mich wirklich auch nicht gereizt. Ich wollte Kloten helfen, das war mir wichtig. 2007 war ich noch Coach der U18-Nationalmannschaft.
Das habe ich genossen. Wir hatten sehr gute Spieler. Unter anderem Roman Josi. Ich fand es wunderbar, zu verfolgen, wie sich die Jungs entwickeln. Und welchen Weg sie gehen
Über Felix Hollenstein
Geboren: 7. April 1965 I Klubs als Spieler: EHC Kloten, EHC Bülach I Funktionen als Trainer/ Sportchef: EHC Kloten (Cheftrainer, Sportchef, Assistenztrainer, Juniorencoach, Scout, Berater), U18-Nationalmannschaft (Cheftrainer), A-Nationalmannschaft (Assistent).
Grösste Erfolge als Spieler: 4 Mal Meister mit Kloten (1993, 1994, 1995, 1996), Playoff-Topskorer 1996, 131 Länderspiele (3 A-Weltmeisterschaften, 4 B-Weltmeisterschaften, 1x Olympische Spiele).
Grösste Erfolge als Trainer: 3 Mal Playoff-Final (2009 und 2011 als Assistent von Anders Eldebrink, 2014 als Cheftrainer)