Lieber Ittigen als Florida
Tampa Bay hätte Waltteri Merelä gerne behalten. Doch der finnische Angreifer zog den Wechsel nach Bern einem Verbleib in Nordamerika vor.
Als Heranwachsender in Tampere liest Waltteri Merelä das Magazin «Jääkiekkolehti», Finnlands während der Pandemie 2021 bedauerlicherweise eingestellte Antwort auf das SLAPSHOT-Magazin. Er reisst sich die Poster in der Heftmitte heraus und hängt sie sich übers Bett. 2008 zeigt eines Steven Stamkos, den in jenem Sommer von den Tampa Bay Lightning an erster Stelle gedrafteten Starstürmer. Stamkos wird zu einem von Mereläs Idolen.
15 Jahre später erwischt Merelä sich dabei, wie er sich kneifen muss. Weil Stamkos in der Kabine plötzlich neben ihm sitzt. Merelä hatte so grossen Anteil an den Meistertiteln von Tappara Tampere in den Jahren 2022 und 2023, dass Tampa Bay ihn im Sommer 2023 verpflichtet.
«Das war schon ein bisschen surreal, dass er plötzlich mein Captain war», sagt Merelä. Stamkos ist es, der ihn vor seinem ersten NHL-Einsatz am 10. Oktober gegen Nashville darauf aufmerksam macht, dass er beim Warm-Up vor allen anderen aufs Eis gehen darf.
«Rookie Lap» heisst die Tradition, sie ist einer der vielen Bräuche in der NHL und ermöglicht Debütanten, die Stadionatmosphäre 15 bis 20 Sekunden alleine zu geniessen. «Ich wusste davon, vergass es vor lauter Aufregung aber. Zum Glück hat mich Stamkos daran erinnert», sagt Merelä.
19 Spiele absolviert der heute 26-jährige Flügelstürmer für Tampa und steht dabei durchschnittlich knapp weniger als zehn Minuten auf dem Eis. Bei einem 7:3-Sieg gegen Minnesota gelingt ihm sein einziger Treffer. Den Puck hat ihm die NHL in einem schönen Display nach Tampere geschickt.
Ein Mangel an Perspektiven
Den Rest der Saison bestreitet Merelä im AHL-Farmteam Syracuse Crunch, wo der langjährige National-League-Star Stacy Roest (in neun Jahren 419 Spiele für Rapperswil-Jona) als General Manager wirkt. Mit 34 Punkten aus 55 Partien ist Merelä der drittbeste Skorer des Teams. Es erstaunt entsprechend nicht, dass Tampa ihn gerne in der Organisation behalten hätte.
Doch Merelä entscheidet sich gegen einen Verbleib. Er sagt: «Die Offerte war für mich nicht attraktiv genug. Ich fand es schwierig, zwischen den Teams zu pendeln. Ich bin ein Typ, der sich kümmert und versucht, involviert zu sein.
Das ist schwierig, wenn du in keiner Mannschaft so richtig dazugehörst.» Dann fügt er an: «In der NHL ist der Spielplan so gedrängt, dass man kaum Zeit für richtige Trainings hast.
Wenn du gleichzeitig nur acht, neun Minuten spielst, ist es sehr schwierig, sich als Spieler weiterzuentwickeln. Ich bin jung und will mich verbessern, die Karriere ist kurz und ich will das Maximum herausholen. Aber dafür fehlte mir die Perspektive.»
Tampas Management zeigte sich überrascht von Mereläs Wunsch weiterzuziehen. Er sagt: «Sie haben mich sehr gut behandelt und sich um mich bemüht. Aber ich habe den Eindruck, dass in der NHL das Bewusstsein für die europäische Hockeykultur ein bisschen fehlt.
Es gibt viele Leute, die denken: Wenn man nach Europa geht, ist die Karriere praktisch vorbei. Dabei ist das Niveau hier sehr hoch. Man kann viel erleben und Fortschritte erzielen.»
«Wenn du gleichzeitig nur acht, neun Minuten spielst, ist es sehr schwierig, sich als Spieler weiterzuentwickeln. Ich bin jung und will mich verbessern, die Karriere ist kurz und ich will das Maximum herausholen. Aber dafür fehlte mir die Perspektive», sagt Waltteri Merelä.
Was auch nicht für ein weiteres Pendlerjahr zwischen Tampa und Syracuse (zwischen den Städten liegen mehr als 2000 Kilometer) sprach: Merelä konnte seine dreijährige Hündin Frida nicht mit in die USA nehmen.
Sie blieb bei den Eltern seiner Partnerin in Finnland; die regelmässigen Face-Time-Anrufe waren ein ungenügender Trost. Merelä sagt: «Ich habe sie wirklich vermisst. Ein Hund hilft dir, die Perspektiven im Leben zu wahren.
Du kannst nicht gut gespielt oder sonst einen schlechten Tag gehabt haben. Und dann ist trotzdem jemand zu Hause, für den es das absolut Grösste ist, dich zu sehen. Für die Psychohygiene ist das Gold wert.»
Die Wertschätzung Tapolas
Da kommt der sommerliche Anruf eines alten Vertrauten gerade recht: Jussi Tapola meldet sich und versucht, Merelä nach Bern zu holen. Tapola war schon bei Tappara Mereläs Coach gewesen, die beiden wurden zwei Mal finnischer Champion und gewannen 2023 die Champions Hockey League.
Merelä gehörte zu den Teamstützen dieser Meisterteams, die beiden Männer entwickelten eine gegenseitige Wertschätzung. Merelä sagt: «Ich mag, wie er mit den Spielern umgeht. Er hat sehr hohe Ansprüche und hält jeden an den gleichen Standard.»
Die Parteien einigten sich schnell, was auch daran lag, dass die Schweiz ohnehin Mereläs präferierte Destination war. Er sagt: «Für mich ist es die beste Liga in Europa. Die Erhöhung des Ausländerkontingents hat das Niveau noch einmal angehoben. Darum war die NL die klare Nummer-1-Option für mich.»
Die NHL bleibt zwar ein Fernziel, aber Merelä sagt, er hoffe stark darauf, längerfristig in Bern bleiben zu können: «Ich fühle mich hier extrem wohl. Die Stehrampe ist etwas Einzigartiges, unser Stadion ist eines der coolsten in ganz Europa. Ich will hier etwas erreichen und einen Titel holen.»
Kein Jubel bei Toren gegen Tappara
Davon war der SCB in den letzten Jahren weit entfernt; seit dem 16. und bisher letzten Meistertitel von 2019 hat der Klub keine Playoff-Serie mehr gewonnen. Merelä sagt: «Ichweiss, dass der Verein zuletzt ein paar schwierige Jahre hatte. Und natürlich kann man nicht einfach mit dem Finger schnippen und über Nacht alles verändern.
Aber ich bin der tiefen Überzeugung, dass wir eine echte Chance haben, etwas Grosses zu erreichen. Wir haben das Talent und den Charakter dazu. Für mich fühlt es sich ähnlich an wie bei Tappara: Die Spieler ziehen mit viel Elan mit, die Einstellung stimmt.»
Die Erfolge mit Tappara haben Merelä viel bedeutet – als Teenager begeisterte er sich nicht nur für Stamkos, sondern auch für den finnischen Rekordmeister. Er besuchte die Heimspiele und kannte alle Fan-Gesänge auswendig.
Als er zu Beginn seiner Profikarriere ein paar Jahre zu den Pelicans Lahti ausweichen musste, um zu reifen, jubelte er demonstrativ nicht, wenn ihm gegen Tappara ein Tor gelang. 2021 holte ihn sein Ausbildungsklub zurück, es folgten die bisher besten Jahre von Mereläs Karriere.
Beim SCB hoffen sie, mit ihm den idealen modernen Power-Flügel verpflichtet zu haben. Merelä ist 1,90 Meter gross und wiegt 97 Kilo. Bei Tappara erzielte er 2021/22 total 21 Treffer.
Findet er dieses Rendement in Bern, dürfte die erhoffte Vertragsverlängerung Formsache sein. Bestimmt hilft es auch, dass der Vertrag seines Förderers Tapola bereits vor der Saison bis 2025 verlängert wurde.
Der SCB hat Merelä in Ittigen einquartiert, die Waldgrenze ist nah. Frida gefalle das, berichtet er. Und in der PostFinance Arena gebe es eine exquisite Sauna. Eigentlich ist alles dafür angerichtet, dass Merelä in Bern durchstartet.
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Waltteri Merelä
Geboren: 6. Juli 1998. Grösse: 190 cm. Gewicht: 97 kg. Vertrag: bis 2025.
Stationen: Bis 2020: Tappara, Pelicans, Peliitat (Nachwuchs, Mestis, Liiga). 2020/21: Pelicans (Liiga). 2021 bis 2023: Tappara (Liiga). 2023/24: Tampa Bay Lightning (NHL), Syracuse Crunch (AHL). Seit 2024: SC Bern.
Erfolge: Finnischer Meister 2022 und 2023. Champions Hockey League-Sieger 2023.