McSorley: «…dann wird sich für Sierre über Nacht alles verändern»
Chris McSorley prägt das Schweizer Eishockey seit Jahrzehnten. In Sierre versucht er sein kühnstes Projekt: Der HC Sierre soll in die National League zurück.
An einem Dienstag im November lädt Chris McSorley im sonnengeküssten Sierre ins «Château de Villa», das legendäre lokale Raclette-Restaurant, in dem der «Maître Racleur» Milan Köstlichkeiten aus dem ganzen Kanton reicht.
McSorley erzählt hier von seinen Visionen; wie er dem heute noch in der rustikalen, aus der Zeit gefallenen Trutzburg Graben beheimateten HC Sierre eine 75 Millionen Franken und 7000 Zuschauer fassende Arena zuführen will. Und auch von der Vergangenheit.
SLAPSHOT: Chris McSorley, wie sind Sie eigentlich im beschaulichen Unterwallis gelandet?
Chris McSorley: Der Startschuss war der Meistertitel der Elitejunioren von Servette 2017. Wir hatten so viele gute Kids, aber keinen Platz in der Swiss League. Also entschieden wir uns, Sierre dabei zu helfen, ins Profigeschäft zurückzukehren.
Denn wissen Sie: Es bringt den jungen Spielern nichts, wenn sie in der NL drei, vier Minuten Eiszeit erhalten. Spieler sind wie Bananen: Wenn sie zu lange rumliegen, dann werden sie faul. Jedenfalls: Der Kontakt nach Sierre ist danach nie abgerissen.
SLAPSHOT: Ein Swiss League-Team finanziell zu unterfüttern, ist eine Sache. Für 75 Millionen Franken ein Stadionprojekt zu realisieren und danach mit Sierre in die National League zu drängen, eine andere.
McSorley: Sehen Sie sich diesen Kanton an: Er hat die Grösse des Tessins. Es gibt einen Platz für ein National League-Team. Ich spüre, dass es hier viel Begeisterung für das Eishockey gibt. Das war in Genf anders, als ich 2001 bei Servette angefangen habe. Da hatten wir mehr Sicherheitsmitarbeiter als Zuschauer in der Halle.
«Es gibt hier eine ausgeprägte Hockey-Kultur. Und wir bieten ein aufregendes Projekt. Die neue Halle stünde wenige Meter vom Bahnhof und in unmittelbarer Nähe einer Autobahnausfahrt.»
SLAPSHOT: Wäre Visp nicht der sinnvollere Standort? Dort steht bereits eine Halle die NL-tauglich ist.
McSorley: Ich würde mich freuen, wenn Visp aufsteigt. Konkurrenz belebt das Geschäft. Was wäre der Sport ohne Rivalitäten, ohne Derbies? Aber wir sind in Sierre am richtigen Ort. Es gibt hier eine ausgeprägte Hockey-Kultur.
Und wir bieten ein aufregendes Projekt. Die neue Halle stünde wenige Meter vom Bahnhof und in unmittelbarer Nähe einer Autobahnausfahrt. Die drei heiligen Gesetze der Immobilienbranche sind also berücksichtigt: Location, Location, Location.
SLAPSHOT: Wie sieht Ihr Zeitplan aus?
McSorley: Voraussichtlich im ersten Quartal 2024 wird der Grossrat über das Projekt abstimmen. Wenn wir grünes Licht erhalten, ist es realistisch, dass die Arena 2028 steht. Das wäre dann unser Zeithorizont um aufzusteigen.
SLAPSHOT: Mit dem Aufstieg haben Sie in der Schweiz Erfahrung: Der gelang Ihnen schon mit Servette und Lausanne, wo Sie als Mitbesitzer firmierten.
McSorley: Ja, und wir werden die bei Lausanne und Servette verwendete Methode kopieren. Sobald das Stadion in Bau geht, wird sich für den HC Sierre über Nacht alles verändern. Wir haben die Mittel, um dieses Team in die NL zu bringen.
SLAPSHOT: Wie soll das Team auf Dauer finanziert werden? Das Wallis ist ein strukturschwacher Kanton.
McSorley: Geld ist das Blut der Bestie, das stimmt. Das Vorbild ist der SC Bern mit seinem weit verzweigten Gastronomiemodell.
SLAPSHOT: Bei Servette und in Lausanne holten Sie diverse arrivierte Spieler in die damalige NLB. Können wir davon ausgehen, dass Sie alles versuchen werden, um im Herbst der Karriere den Siderser Arnaud Jacquemet nach Hause zu holen?
McSorley: Sagen wir es so: Wenn er sich eine Rückkehr vorstellen kann, trage ich ihn auf meinen Schultern von Genf nach Sierre.
SLAPSHOT: Mit 14 NL-Teams dürfte es schwierig werden, arrivierte Spieler ins Unterhaus zu holen.
McSorley: Das glaube ich nicht. Es ist nicht schwer, die Destination Sierre zu verkaufen. Die Lebensqualität ist hoch, die Sonne scheint praktisch jeden Tag.
Es ist sogar einfacher, als es vor 20 Jahren war, Spieler vom Projekt Servette zu überzeugen. Für die Deutschschweizer hörte die Hockey-Landkarte damals in Lausanne auf.
SLAPSHOT: Sie waren der Baumeister jener Equipe, die im Frühjahr den ersten Titel in der Klubgeschichte von Servette errungen hat. Sie streiten sich mit dem Verein um eine Summe von 7,6 Millionen Franken vor Gericht. Konnten Sie sich trotzdem freuen?
McSorley: Natürlich. Sehr sogar. Selbstverständlich habe ich im Stadion mitgefiebert, das Ticket habe ich mir gekauft. Und danach gab es mit Freunden ein Glas Champagner in der Stadt.
Nachts um 4 haben mich ein paar Spieler per FaceTime angerufen, das hat mich sehr gefreut.
Ich bin stolz auf diesen Titel, damit konnte ich das Kapitel Servette abschliessen. Was den Prozess angeht: Es ist schade, dass es so weit kommen musste. Dass meine Familie über Jahre traumatisiert wurde.
Ich habe immer Hand für eine Lösung geboten. Der Klub wirft mir vor, dass ich mich bereichert hätte. Das ist absurd.
Mein Salär befand sich auf dem gleichen Niveau wie jenes der anderen Top-Trainer in der Liga, Arno Del Curto beispielsweise. Und ich war gleichzeitig noch Sportchef, also eigentlich eine eher kostengünstige Lösung.
Aber wissen Sie, was mich das Leben gelehrt hat? Dass Anschuldigungen oft eigentlich eher Geständnisse sind. Belassen wir es dabei. Wobei: Etwas möchte ich noch sagen.
SLAPSHOT: Bitte.
McSorley: Wissen Sie, das Geld ist mir nicht so wichtig. Ich habe in meinem Leben Glück gehabt und ausserhalb des Eishockeys mehr verdient als in diesem Geschäft.
In den 1990ern war ich zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort und verdiente mit den «Tackimac»-Produkten für Inline- und Eishockeyzubehör gutes Geld.
Es geht mir ums Prinzip: Ich bin stolz auf den Job, den ich bei Servette gemacht habe. Es ist in Ordnung, wenn jemandem mein Gesicht nicht passt und ich gehen soll.
Das gehört dazu. Aber grundlos eine fristlose Kündigung auszusprechen, das geht nicht.
SLAPSHOT: Direkt neben dem Stadion gab es einst ein nach Ihnen benanntes Steakhouse. Haben Sie sich ein Andenken bewahrt?
McSorley: Ja, ich habe mir ein paar Steakmesser gekauft. Für 100 Franken.
SLAPSHOT: Gehen wir richtig in der Annahme, dass Sie für ihre letzte Station, den HC Lugano, weniger Nostalgie übrig haben?
McSorley: Ich war gerne Lugano-Coach. Und es hätte funktionieren können. Aber wenn sich Spieler direkt mit der Klubführung unterhalten, dann wird es schwierig, dann ist die Autorität des Trainers untergraben.
Ich bin ja nicht der erste Coach, der diese Erfahrung in Lugano gemacht hat. Der Friedhof hinter mir war schon ziemlich lang.
SLAPSHOT: Wird man Sie noch einmal als Coach erleben? Eigentlich haben Sie ihren «Rücktritt aus dem Coachinggeschäft» schon 2017 in einer denkwürdigen Pressekonferenz an der Seite von Hugh Quennec verkündet…
McSorley: Ja, das war ein eigenartiges Schauspiel, es ging damals leider nicht anders. Aber die Wahrheit ist: Es ist erst dann vorbei, wenn sie zwei Meter Erde auf dich schaufeln.
Momentan liegt mein Fokus allerdings nicht auf dem Coaching. Ich lerne gerade Französisch. Wenn meine Lehrerin es schafft, mir diese Sprache beizubringen, verdient sie den Nobelpreis.
SLAPSHOT: Sie werden im März 62. Haben Sie keine Lust auf die Pensionierung?
McSorley: Oh nein. Ich werde weiterarbeiten, bis sie mich irgendwann aus der Halle tragen. Das hoffe ich jedenfalls. Und meine Frau hofft es auch, ich treibe sie in den Wahnsinn, wenn ich zu viel Zeit zu Hause verbringe (lacht).
Aber ernsthaft: Ich bin der Überzeugung, dass ich aus zwei Gründen auf diese Welt geschickt worden bin. Um den Einzelrichter zu ärgern.
Und um 7000 Leute pro Abend mit einem Eishockeyspiel glücklich nach Hause zu schicken. Das ist meine Bestimmung, und das möchte ich noch sehr lange machen.
SLAPSHOT: Sind Sie ein Workaholic?
McSorley: Jeder Mensch ist ein Workaholic. Man muss nur die Sache finden, die man liebt. Und bei mir ist es eben Eishockey.
SLAPSHOT: Als Spieler sammelten Sie 1985/86 in Toledo in der inzwischen längst eingestellten IHL einst 545 Strafminuten in einer Saison. Liebten Sie nicht eher die Schlägereien als das Eishockey?
McSorley: Im Gegenteil. Ich war spielerisch nicht gut genug. Aber ich war der Beschützer unserer Top-Spieler. Nur deshalb hatte ich einen Job. Und ich habe alles dafür getan, um den zu behalten.
Ich hatte riesige Angst davor, dass mein Trikot irgendwann nicht mehr in der Kabine hängt und ich meinen Spind räumen muss. Ich wollte unter keinen Umständen zurück auf die Farm meiner Eltern in Ontario.
Also habe ich getan, was nötig war. Es war nicht immer lustig. Aber die einzige Option.
SLAPSHOT: Der elterliche Bauernhof als Schreckgespenst?
McSorley: Wissen Sie: Von all meinen Brüdern konnte niemand so gut melken wie ich. Unser Vater hat verboten, dass wir die Melkmaschine benutzen, weil er wollte, dass wir die Technik lernen.
Aber ja: Das Leben als Bauer war nichts für mich. Es ist eine wunderschöne Farm, 16 Hektaren. Aber ich wollte raus. Die Welt sehen. Und Eishockey spielen.
SLAPSHOT: Kam es vor, dass Sie bei den Prügeleien Angst hatten?
McSorley: Nicht Angst davor, verletzt zu werden. Sondern einen Kampf zu verlieren und das Team im Stich zu lassen. Ich bin 180 Zentimeter gross. Und musste gegen Spieler kämpfen, die 20 Zentimeter grösser und 20 Kilo schwerer waren als ich. Sehr geholfen hat mir, dass ich in Hamilton einen sehr fähigen Lehrer im Kickboxen hatte.
SLAPSHOT: Viele Enforcer von einst kämpften später mit grossen körperlichen Problemen und bezahlten teilweise mit dem Leben für die Spätfolgen. Wie war das bei Ihnen?
McSorley: Ich hatte Glück. Ich glaube, ich hatte keine einzige Hirnerschütterung.
SLAPSHOT: Ihr Bruder Marty war einer der gefürchtetsten Bösewichte der NHL. Haben Sie sich gegenseitig abgehärtet?
McSorley: Das kann schon sein. Die Sommer auf der Farm haben mehr Spuren hinterlassen als die Winter mit den Schlägereien auf dem Eis.
SLAPSHOT: Waren die Spieler früher härter als heute?
McSorley: Das würde ich überhaupt nicht sagen. Die Anforderungen heute sind sehr viel grösser, es ist eine andere Toughness, die es braucht.
Nehmen wir Daniel Vukovic in Genf. Er hat selten die Fäuste fliegen lassen. Aber er war ein absoluter Krieger, extrem zäh und belastbar. Mattia Baldi war ähnlich.
SLAPSHOT: Sie nennen zwei Ihrer Ex-Spieler bei Servette. Wer war eigentlich ihr bester Transfer?
McSorley: Henrik Tömmernes. Ein Wahnsinnsspieler, der beste Verteidiger in Europa. Er war perfekt für unsere Liga. Ich muss mich bei Heinz Ehlers für den Tipp bedanken. Er sagte mir: Leg jetzt auf und bereit den Vertrag vor. Überleg nicht einmal eine Sekunde. Er hatte recht.
SLAPSHOT: Wie sind Sie 2001 eigentlich selbst in der Schweiz gelandet?
McSorley: Ich hatte den Job als Trainer der London Knights. Servettes damaliger Präsident Mario Torriani ist mit dem Auto bis nach Nottingham gefahren, zu einem unserer Auswärtsspiele. Er hat mich gesehen und dann gesagt: Das ist der Mann, den ich will. So haben wir uns gefunden.
SLAPSHOT: Hatten Sie zu jener Zeit nicht noch NHL-Aspirationen?
McSorley: Die «New York Times» und «Sports Illustrated» haben mich in den Neunzigern als «nächsten NHL-Coach» portiert. 1998 war ich einer der letzten zwei Kandidaten für den Job bei den Tampa Bay Lightning. Aber sie haben Jacques Demers genommen.
Bei Anschutz wären mir die Türen danach offen gestanden, ich hätte Assistent von Andy Murray in Los Angeles werden können. Aber dann habe ich mich in Genf verliebt, in die Schweiz. Und wollte nicht mehr weg.
SLAPSHOT: Die Schweiz ist inzwischen schon so lange Ihr Lebensmittelpunkt: Wann beantragen Sie den Pass?
McSorley: Ich überlege mir das gerade. Und denke, dass ich das bald machen werde. Die Schweiz ist das wunderbarste Land der Welt, ich habe grosses Glück, dass ich mit meiner Familie hier gelandet bin.
SLAPSHOT: Sehen Sie heute in der Schweiz Trainer, denen Sie einen NHL-Job zutrauen?
McSorley: Auf jeden Fall. Dan Tangnes zum Beispiel. Ich bin der Überzeugung, dass die Farbe des Passes je länger je unwichtiger wird. Es ist ja auch wirklich egal, ob du Kanadier oder Schweizer bist. Es zählt nur, ob du gut bist oder nicht.
SLAPSHOT: Nicht zuletzt dank Ihnen ist Servette zu dem geworden, was es heute ist. Aber der Meistertitel blieb Ihnen in Ihrer Zeit in Genf verwehrt. Dafür gewannen Sie mehrfach den Spengler Cup. Welche Erinnerungen haben Sie an das Turnier?
McSorley: Ich bin unbesiegt abgetreten, Marc Gianola muss mich also wieder einladen (lacht). Das wäre sehr schön: Eines Tages mit Sierre zurückzukehren.
Ich habe den Spengler Cup drei Mal gewonnen. Erstmals 2012 zusammen mit Doug Shedden mit dem Team Canada, das war ein Höhepunkt meiner Trainerkarriere.
SLAPSHOT: Inwiefern?
McSorley: Es war die Lockout-Saison. Der erste Block des HCD bestand aus Rick Nash, Joe Thornton und Patrick Kane. Und natürlich hat Davos dieses Arno-Hockey gespielt.
Bei dem die Verteidiger diese weiten Pässe spielten, als ob sie Tom Brady wären und einen Hail-Mary-Pass spielen.
Wie stoppt man das? Na ja, es gibt ja zum Beispiel die «Left Wing Lock»-Taktik. Wir entschieden uns für eine «Three Man Lock», also quasi eine Manndeckung.
Unser Captain war Patrice Bergeron, ein absoluter Superstar. Er blickte mich fragend an und sagte: «Coach, wird das wirklich funktionieren?»
Dann ging er raus, verlor das erste Bully absichtlich und schickte alle auf Position. Als er realisierte, dass es klappt, nickte er uns anerkennend zu. Wir gewannen 7:2, das war ein Tag mit viel Freude und Genugtuung.
«Ich wusste nicht viel über den Spengler Cup, als ich in die Schweiz kam. Aber ich habe mich schnell in den Bann des Turniers ziehen lassen. Eine einzigartige Sache. Ein ganzes Land lässt alles liegen, schaut sich die Spiele an.»
SLAPSHOT: Danach siegten Sie zwei Mal in Folge mit Servette.
McSorley: Für das Image des Klubs hat das Wunder bewirkt. Ich wusste nicht viel über den Spengler Cup, als ich in die Schweiz kam.
Aber ich habe mich schnell in den Bann dieses Turniers ziehen lassen. Es ist eine einzigartige Sache. Ein ganzes Land lässt alles liegen und schaut sich die Spiele an. Wo gibt es das sonst?
Ambrì hat gerade wieder bewiesen, welche Magie der Spengler Cup entfachen kann. Und für den HCD ist das Turnier überlebenswichtig. Das sollten wir nicht vergessen: Wie wichtig Davos für unser Eishockey ist. Der HCD ist Eishockey-Weltkulturerbe.
Über Chris McSorley
Geboren: 22. März 1962 I Nationalität: Kanada.
Klubs als Trainer: HC Lugano, Genève-Servette HC, Team Canada, London Knights, Grossbritannien, Las Vegas Thunder (IHL), Toledo Storm (ECHL), Richmond Renegades (ECHL), Winston-Salem Thunderbirds (ECHL).
Grösste Erfolge als Trainer: 2x Spengler Cup-Sieger mit Servette (2013, 2014), 1x Spengler Cup-Sieger mit dem Team Canada (2012). 2x Playoff-Finalteilnehmer mit Servette. Aufstieg mit Servette 2002. Britischer Meister 1999. 2x Kelly-Cup-Champion (ECHL).
Klubs als Spieler: Las Vegas Thunder (IHL), Nashville Knights (ECHL), Springfield Indians (AHL), Indianapolis Ice (IHL), New Haven Nighthawks (AHL), Flint Spirits (IHL), Muskegon Lumberjacks (IHL), Toledo Goaldiggers (IHL), Kalamazoo Wings (IHL).
Statistik in der IHL: 245 Spiele, 67 Tore/73 Assists, 1589 Strafminuten.