Dr. René Fasel: «Allez Gottéron! Pour un jour, pour toujours»

Nicola Berger
Nicola Berger

Dr. René Fasel war einer der einflussreichsten Eishockey-Funktionäre der Welt. Im grossen SLAPSHOT-Interview spricht er nicht nur über Fribourg-Gottéron.

René Fasel Slapshot
Im grossen SLAPSHOT-Interview spricht der ehemalige einflussreiche Eishockey-Funktionär René Fasel über seine Liebe zum Eishockey, zu Russland und zu Fribourg-Gottéron. - Marcel Bieri

Es ist nicht so einfach, einen Termin mit René Fasel zu finden – für einen 75-Jährigen ist Fasel ein vielbeschäftigter Mann. Er befinde sich gerade in Moskau, sagt Fasel am Handy. Kurz zuvor sei er in Armenien gewesen, bald gehe es weiter nach Brasilien.

An einem Dienstag Ende April aber sitzt Fasel dann doch in einem Restaurant in Zürich-Enge. Fast zwei Stunden dauert das Gespräch – Fasel redet gerne und hat viel zu erzählen.

SLAPSHOT: René Fasel, wie hat sich ihr Leben verändert, seit Sie im Herbst 2021 als Präsident der IIHF abgelöst wurden?

René Fasel: Ich mache eigentlich immer noch das gleiche: Ich reise umher, bin im Eishockey involviert, schaue viele Spiele und kümmere mich um meine Familie. Ich habe inzwischen vier Grosskinder, das hält mich auf Trab.

SLAPSHOT: Aber Sie bewegen sich heute fernab des Scheinwerferlichts.

Fasel: Das ist mir ganz recht. Ich bin in einem Alter, in dem man seine Profilneurose überwunden hat. Oder zumindest haben sollte.

SLAPSHOT: Wann geschieht das denn?

Fasel: Puh, wann wird man schlauer (überlegt)? Vielleicht zwischen 50 und 60?

SLAPSHOT: Was ist ihre offizielle Funktion in der KHL?

Fasel: Ich gehöre zur Expertenkommission, an die sich die Klubs in Schiedsrichterfragen wenden können.

SLAPSHOT: Schmerzt es Sie, dass Sie diese Funktion in Russland ausüben und nicht in der Schweiz?

Fasel: Ich bin in der Schweiz keine gefragte Person mehr. Es ist, wie es ist. Ich bin dankbar dafür, dass ich noch immer im Hockey aktiv sein kann. Es hält mich jung. Und mich fasziniert dieser Sport noch immer wie am ersten Tag.

Rick Nash Slapshot
Der Kanadier Rick Nash (l.) erhält von IIHF Präsident René Fasel die Auszeichnung zum wertvollsten Spieler der WM 2007. - IMAGO/ Russian Look

Wenn ich die Finalserie zwischen Lausanne und Zürich schaue und sehe wie Théo Rochette oder Nicolas Baechler spielen, welche Emotionen das Publikum zeigt, dann geht mir das Herz auf.

SLAPSHOT: Der Klub Avtomobilist Jekaterinburg beklagte sich Mitte April darüber, dass es in der verlorenen Playoff-Serie gegen Kasan systematisch benachteiligt worden sei.

Fasel: Ach, es ist auf der ganzen Welt so, dass im Fall des Scheiterns selten der Fehler bei sich selbst gesucht wird. Wir haben sehr gute Schiedsrichter in der KHL.

Und wir arbeiten daran, dass sich ihre Bedingungen verbessern. Dass sie mehr verdienen zum Beispiel – momentan liegt das Gehalt bei ungefähr 2000 Franken pro Monat.

SLAPSHOT: Das Schiedsrichterwesen scheint praktisch überall ein Dauerthema zu sein – egal in welchem Sport oder Land.

Fasel: Ich kann nur für das Eishockey sprechen. Man muss halt etwas investieren, wenn man gute, fähige Schiedsrichter will.

René Fasel Slapshot
Eishockey-Klubs müssen mehr in Schiedrichter investieren, meinst René Fasel. - Marcel Bieri

In der Schweiz ist das extrem: Die Klubs geben so viel Geld für die Spieler aus. Aber für die Schiedsrichter ist fast jeder Franken zu viel. Da muss man sich nicht wundern, wenn Fehler passieren.

SLAPSHOT: Sie sind inzwischen auch russischer Staatsbürger, ihre Nähe zu diesem Land und zum Präsidenten Vladimir Putin ist bekannt. Verstehen Sie den Argwohn, der ihnen seit dem Beginn des russischen Angriffskrieg entgegenschlägt?

Fasel: Reden wir nicht über Politik. Ich bin für Frieden. Ich finde jeden Krieg grauenvoll und unnötig. Ich würde jeden Krieg beenden, wenn ich das könnte.

SLAPSHOT: Sie gelten als Kritiker der Sanktionen – ginge es nach Ihnen, wären Russland und Weissrussland nicht von allen IIHF-Wettbewerben ausgeschlossen worden.

Fasel: Was können russische und weissrussische Eishockeyspieler für diesen Krieg? Nichts. Der Sport hat die Kraft, Brücken zu bauen. Ich finde es bedauerlich, dass das nicht geschieht.

Gerade war ich in Armenien an der WM der vierten Division beim Spiel Armenien gegen Iran. 8:0, doch nach dem Spiel hat man sich in die Augen geschaut, die Hand geschüttelt und sich gegenseitig respektiert.

René Fasel Slapshot
Im SLAPSHOT-Interview spricht René Fasel auch über seine Liebe zu Russland. - Marcel Bieri

Oder das Eishockey-Team der Frauen mit Spielerinnen aus Süd- und Nordkorea von 2018 während der Olympischen Winterspiele in Pyeongchang. Die Bildung des gemeinsamen Teams war ein symbolischer Akt der Annäherung zwischen den beiden politisch getrennten Staaten.

Diese Geste wurde international als Hoffnungsschimmer für eine friedlichere Zukunft auf der koreanischen Halbinsel wahrgenommen. Das war damals ein starkes Symbol für Friedensbemühungen und Dialog. Das fehlt heutzutage.

SLAPSHOT: Sie sind zwar Ehrenpräsident der IIHF, der Verband wollte Sie wegen ihrer Nähe zu Russland zuletzt aber explizit nicht mehr an den Weltmeisterschaften sehen.

Fasel: Das schmerzt mich, es ist traurig. Von einem auf den anderen Tag existierst Du für gewisse Leute plötzlich nicht mehr. Ich wäre 2024 gerne zum WM-Final nach Prag, habe ihn aber dann letztlich zu Hause am TV geschaut.

SLAPSHOT: Wie begann ihre Liebe zu Russland?

Fasel: Da muss ich ein bisschen ausholen. Ich fand Mitte der 1950er Jahre über den Spengler Cup zum Eishockey.

Wir hatten keinen TV zu Hause und haben einem Wirt in Fribourg als Jugendliche 20 Rappen pro Person bezahlt, damit wir ohne Konsumation die Spiele schauen konnten – in schwarz-weiss, versteht sich.

René Fasel Slapshot
René Fasel will sich die Spiele bei der Heim-WM in Zürich und Fribourg nicht entgehen lassen. - Marcel Bieri

Die Teams aus der Sowjetunion haben das schönste Eishockey gespielt, da habe ich mich verliebt. Und 1981 war ich dann zum ersten Mal selbst da. Ein unglaubliches, prägendes Erlebnis.

SLAPSHOT: Inwiefern?

Fasel: Ich war als Linesman an der U18-Europameisterschaft. Und kein erfahrener Trinker. Die russische Gastfreundschaft hat mir sehr imponiert, auch wenn ich schnell lernen musste, wie tückisch Wodka-Konsum sein kann.

Ich verbinde mit Russland seither viele Freundschaften. Und ich bin ein loyaler Mensch.

SLAPSHOT: Auch aus ihrer Sympathie für Fribourg-Gottéron haben Sie nie einen Hehl gemacht.

Fasel: Allez Gottéron! Pour un jour, pour toujours. Mit Gottéron verbindet mich eine noch viel längere Geschichte, ich liebe diesen Klub.

SLAPSHOT: Wie oft sind Sie an den Spielen?

Fasel: Schon regelmässig. Ich habe sechs Plätze, die ich selbstverständlich bezahle. Eines meiner Grosskinder ist jetzt 11 und ein so grosser Gottéron-Fan, dass er im Leibchen schläft.

SLAPSHOT: Sie sind 75 und haben noch keinen Meistertitel Gottérons erleben dürfen. Wie gross ist die Zuversicht, dass sich das bald ändert?

Fasel: Die Richtung stimmt. Es ist extraordinär, wie sich dieser Klub entwickelt hat. Als ich an meiner ersten Generalversammlung teilnahm, lag das Budget für den gesamten Verein bei 180'000 Franken.

Und heute kommen bei jedem Spiel mehr als 9000 Leute in eines der besten Stadien der Welt. Darauf darf man stolz sein. Gottéron ist eine Lokomotive für die Stadt und den Kanton.

SLAPSHOT: Wieso leben Sie eigentlich nicht in Fribourg?

Fasel: Ich lebe seit 23 Jahren mit meiner Familie in Zürich. 2002 sind wir aufgrund des Hauptsitzes der IIHF nach Zürich gezogen. Seither ist meine Familie fest in der Region verwurzelt.

René Fasel Slapshot
René Fasel geht regelmässig zu den Spielen von Fribourg-Gottéron. - Marcel Bieri

Dennoch werde ich eines Tages nach Fribourg zurückkehren – zu meinen Wurzeln. Man sollte seine Herkunft nie vergessen, und deshalb sehe ich meine Zukunft gemeinsam mit meiner Frau Fabienne eher in Fribourg.

SLAPSHOT: Ihre Zahnarztpraxis lag knapp zehn Minuten von der Patinoire St. Léonard entfernt. Wie oft mussten Sie die Zähne von Hockeyspielern flicken?

Fasel: Manchmal sind wir nach den Spielen direkt in meine Praxis gefahren. Bei Jean-Charles Rotzetter zum Beispiel, bei dem nach einem Sturz in die Bande die gesamte Front eingedrückt war.

SLAPSHOT: Könnten Sie heute noch als Zahnarzt praktizieren?

Fasel: Schauen Sie (zeigt seine ruhigen Hände), ich zittere nicht. Also ja, grundsätzlich schon. Ich habe meine Praxis 1997 aufgegeben.

Seither hat sich in der Zahnmedizin viel getan, es sind zahlreiche neue Erkenntnisse und Technologien dazugekommen. Ich glaube, da könnte ich heute nicht mehr wirklich mithalten. Aber grundsätzlich ist es wie Velofahren, man verlernt es nie.

SLAPSHOT: Gottéron als Schweizer Meister und WM-Gold für die Nationalmannschaft, wird René Fasel das noch erleben?

Fasel: Ich hoffe es sehr. Ich bin gesund und sehr dankbar dafür. Und vielleicht tritt beides ja schon nächstes Jahr ein – warum nicht?

SLAPSHOT: An der Heim-WM in Zürich und Fribourg wird man Sie schon antreffen?

Fasel: Selbstverständlich – ich bin nach wie vor «Life President» der IIHF. Der Verband hat meine Ausladung jeweils mit dem Hinweis auf meine persönliche Sicherheit begründet. Eine – sagen wir – eigenwillige Erklärung, die hier kaum zutreffen dürfte.

SLAPSHOT: Machen Sie sich Sorgen um die Zukunft der WM? Ihre Bedeutung scheint mit jedem Jahr stärker abzunehmen und die NHL plant im Februar 2028 die Durchführung des «World Cup of Hockey» in Europa.

Fasel: Sogar sehr, die Zukunft der WM ist in grosser Gefahr. Man muss sich grundsätzliche Überlegungen machen. Wahrscheinlich sind 16 Mannschaften zu viel. Und drei Turnierwochen auch.

René Fasel Slapshot
Die Weltmeisterschaft benötigt Reformen, sagt René Fasel im SLAPSHOT-Interview. - Marcel Bieri

Die Terminierung wird ja zunehmend schwieriger. Momentan startet die WM in der zweiten Mai-Woche. Die Regular Season der NHL endet Anfang April. Wie viele Spieler sind bereit, sich für eine WM so lange fit zu halten? Es braucht Reformen.

SLAPSHOT: Die WM ist unter ihrer Führung aufgeblasen worden.

Fasel: Ich nehme für mich auch nicht in Anspruch, unfehlbar zu sein. Nach dem Zerfall der Sowjetunion stockten wir von acht auf zwölf Teams auf, das war alternativlos. Heute ist es vielleicht Zeit für eine neue Zäsur.

SLAPSHOT: Und wenn man sich von der Idee verabschiedet, die WM jedes Jahr auszutragen?

Fasel: Das ändert wenig. Ausser dass der IIHF dann 40 Millionen Einnahmen fehlen.

SLAPSHOT: Die NHL hat gerade ein Büro in Zürich eröffnet. Lebt die alte Utopie der «NHL Europe» neu auf?

Fasel: Was die NHL Europe angeht, habe ich immer gesagt: «Over my dead body». Allgemein habe ich mit dem NHL-Kommissionär Gary Bettman viele Gefechte ausgetragen.

Ich weiss nicht, wie lange ich noch lebe, aber die Möglichkeit einer europäischen «Super League» ist real. Ich glaube auch, dass das für die Ligen nicht viel verändern würde.

René Fasel Slapshot
Dr. René Fasel war während Jahrzehnten einer der einflussreichsten Eishockey-Funktionäre der Welt. Im Herbst 2021 wurde er als Präsident des Eishockey-Welt￾verbands IIHF abgelöst. - Marcel Bieri

Zu Gottéron gegen Lausanne gehen nicht weniger Zuschauer, wenn es einen Schweizer Vertreter in einer kontinentalen Liga gäbe.

SLAPSHOT: Eigentlich ist das ja der alte Traum der KHL, die mehrfach versuchte, nach Westeuropa zu expandieren.

Fasel: Ja, und vielleicht gibt es irgendwann noch einmal einen Anlauf, wenn sich die Situation normalisiert hat. Die Schweiz sollte die Situation nicht unterschätzen. Bei den Ausländern wird es einen Exodus geben, sobald der Krieg zu Ende ist.

SLAPSHOT: Man hat den Eindruck, dass das Eishockey in Europa stagniert – in Ländern wie Belgien, den Niederlanden oder Spanien scheint es kaum eine Entwicklung zu geben.

Fasel: Wir müssen einen Weg finden, wie wir die Hürde für den Einstieg reduzieren können. Nicht alle können es sich finanziell leisten, Eishockey zu spielen. Wir kämpfen damit, dass es nicht genug Eishallen gibt und dass die Energiebilanz oft zu wünschen übrig lässt.

Und wir müssen uns auch überlegen, wie wir ein jüngeres Publikum für diesen Sport begeistern können. In der KHL gibt es in dieser Hinsicht gerade interessante Entwicklungen.

SLAPSHOT: Wie sehen die aus?

Fasel: Auf kleineren Eisfeldern werden Spiele mit 3-gegen-3-Feldspielern à 3 mal 7 Minuten ausgetragen. Das Tempo und die Intensität sind enorm. Es gibt keine Unterbrüche, kein Offside, kein Icing.

Natürlich ist das für das traditionelle Eishockey undenkbar – 5 gegen 5, das ist so sakrosankt wie der Vatikan. Aber als Ergänzung – warum nicht?

SLAPSHOT: Wenn Sie auf ihre Amtszeit als IIHF-Präsident zurückblicken: Worauf sind Sie Stolz?

Fasel: Es liegt mir fern, meine Rolle zu überhöhen. Aber das Eishockey hat in den letzten 30 Jahren eine sehr erfreuliche Entwicklung genommen. Es ist nicht mehr einfach tumbes Geprügel von ein paar Muskelprotzen mit Zahnlücken.

Das Spiel ist sauberer geworden, gesitteter und in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Seit den 1990er ist enorm viel Positives passiert: Die Regeln wurden angepasst, um das Spiel schneller und fairer zu machen.

René Fasel Slapshot
Das Eishockeyspiel hat sich in den letzten Jahrzehnten weiterentwickelt und professionalisiert. - Marcel Bieri

Die Sicherheit der Spieler wurde durch neue Ausrüstungen und strengere Regelauslegung massiv verbessert. Das Frauen-Eishockey hat sich weltweit etabliert und professionalisiert.

Das Junioren- und Nachwuchssystem wurde in vielen Ländern ausgebaut. Internationale Turniere wie die WM oder Olympia haben an sportlicher Qualität und medialer Strahlkraft gewonnen – und das Eishockey ist globaler geworden: Neue Nationen haben Anschluss gefunden, Ligen sind professioneller geworden, und das Ansehen des Sports ist gewachsen.

Über Dr. René Fasel

Geburtsdatum: 6. Februar 1950. Werdegang: Fasel war Zahnarzt und Schiedsrichter, ehe er 1985 zum Verbandspräsidenten des Schweizerischen Eishockey-Verbands aufstieg. 1994 übernahm er das Präsidium der International Ice Hockey Federation (IIHF) und blieb bis 2021 höchster Eishockey-Funktionär.

Mehr zum Thema:

Weiterlesen