Roger Bader: «Ich bin ganz sicher nicht 08/15»
Österreich war die positive Überraschung der WM. Der Zürcher Nationalcoach Roger Bader verrät, wie viel Schweiz wirklich im österreichischen Eishockey steckt.
Man übertreibt nicht, wenn man Österreich in diesem Jahr als eine Art Weltmeister der Herzen beschreibt. In Prag sorgte die Nummer 13 der Weltrangliste für ordentlich Furore: Das Team des Trainers Roger Bader rang den Titelhalter Finnland nieder und holte gegen Kanada im spektakulärsten Spiel des Turniers einen Punkt, nachdem es im Schlussdrittel einen 1:6-Rückstand noch egalisierte.
Auch der Schweiz verlangten die Österreicher bei einer 5:6-Niederlage alles ab – der Siegtreffer durch Nico Hischier fiel erst in der Schlussminute. Die Hausse Österreichs hatte den Schönheitsfehler, dass die Mannschaft die erste Viertelfinal-Qualifikation seit 30 Jahren aufgrund eines 2:4 gegen den Absteiger Grossbritannien verpasste.
Trotzdem war die WM ein Erfolg. Ein paar Tage nach der finalen Partie traf Roger Bader SLAPSHOT an seinem Wohnort in Kloten zum Interview.
SLAPSHOT: Roger Bader, Ihr Team sorgte in Tschechien für reichlich Furore. Wie gross ist der Anteil der Schweiz an dieser Entwicklung?
Roger Bader: Na ja, ich bin Schweizer. Arno Del Curto, auf dem in der Schweiz verständlicherweise viel medialer Fokus lag, ist Schweizer.
Und natürlich profitieren wir davon, dass diverse Spieler in der Schweiz ausgebildet wurden und teilweise immer noch dort spielen: Marco Rossi, Vinzenz Rohrer, Dominic Zwerger, Benjamin Baumgartner, Bernd Wolf. Und so weiter. Diese Grenzgängerregelung hilft uns, keine Frage.
SLAPSHOT: Gegen Kanada spielte sich die Mannschaft in einen Rausch. Haben Sie etwas Vergleichbares schon einmal erlebt?
Bader: Nein. Wir waren wie ein Tsunami, der sich nicht mehr aufhalten liess. Als wir den Ausgleich erzielten, hat sich das Hallendach einen Meter nach oben bewegt, die Arena ist fast explodiert. Das war wirklich einmalig.
SLAPSHOT: Wie sehr hat die Niederlage gegen Grossbritannien den Gesamteindruck getrübt?
Bader: Das ist Österreich: ein ewiger Wandel zwischen himmelhochjauchzend und zu Tode betrübt. Die Niederlage war sehr schmerzhaft, wir haben den Kopf verloren. Aber man muss auch sagen, dass wir nicht wissen, ob ein Sieg tatsächlich für den Viertelfinal gereicht hätte.
Man darf nicht vergessen, dass wir näher am Kampf um den Klassenerhalt als an der Viertelfinalqualifikation sind, das ist einfach die Realität. Aber es freut mich, dass unsere Leistungen so positiv aufgenommen wurden. Es haben mir in Prag zum Beispiel Jaromir Jagr und Jari Kurri gratuliert, das hat mich sehr gefreut.
SLAPSHOT: Was muss geschehen, damit Österreich den Anschluss schafft?
Bader: Es geht voran. Wir hatten 15 Jahre, in denen kein einziger Österreicher im NHL-Draft ausgewählt wurde. Nun gab es einige: Rossi, David Reinbacher und Marco Kasper waren sogar Top-10-Selektionen.
Aber wir haben auch Probleme: Wir kämpfen in der Liga um eine Reduktion der spielberechtigten Ausländer von zehn auf neun, schon das ist politisch schwierig.
Dabei sind die Auswirkungen augenfällig: Unsere Goalies spielen nicht. Die drei Torhüter die in Prag waren, haben in der Saison zusammen so viel gespielt wie Leonardo Genoni alleine. Das ist ein Problem.
SLAPSHOT: Sie sind inzwischen seit acht Jahren Sportdirektor und Nationaltrainer beim OEHV. Sie sind in Österreich bekannter als in der Heimat. Wie kommt das?
Bader: Es ist schon so, dass ich in der Schweiz unter dem Radar durchfliege. Dabei bin ich lange dabei. Und ich weiss, dass ich die Kompetenz habe, einen National League-Klub zu führen. Aber es hat sich bisher nicht ergeben, so ist das nun mal.
SLAPSHOT: Mit Del Curto verbindet Sie eine lange Freundschaft. Sie waren sein Assistenztrainer beim ZSC in den frühen 1990er Jahren.
Bader: Ja, das kam so: Der ZSC wollte 1986 jemanden als Nachwuchschef und Assistenzcoach, der selbst noch sehr jung war und sich mit dem Klub und der Juniorenabteilung weiterentwickeln konnte. Ich war damals erst 22 und hatte eigentlich Maschinenbauingenieur studiert. Es war eine riesige Chance. Ich konnte von Alpo Suhonen lernen. Der hat mich später dann nach Österreich geholt. Ich sollte sein Nachfolger werden. Drei Mal habe ich abgesagt. Aber er liess nicht locker. Heute muss ich sagen: Zum Glück habe ich dieses Abenteuer gewagt.
SLAPSHOT: Welche Erinnerungen haben Sie an den alten ZSC?
Bader: Es war eine wilde Zeit. Der Lohn kam auch nicht immer pünktlich. Und während wir trainierten, drehten die Velofahrer auf der Bahn ihre Runden. Arno und ich hatten nach Heimspielen dieses Ritual: Dass wir im Commercio am Bellevue so lange Spaghetti assen, bis um 2 Uhr die erste Ausgabe des «Tages-Anzeigers» erschien. Wir redeten über Gott und die Welt und kritzelten Taktik auf die Quittungen. Eine wunderbare Zeit.
SLAPSHOT: Danach trennten sich Ihre Wege. Wie fanden Sie wieder zusammen?
Bader: Beim Abschiedsspiel von Dr. René Fasel als IIHF-Präsident in St. Petersburg coachte Vladimir Jursinov die eine und Arno die andere Mannschaft. Ich war auch dabei. Arno und ich haben uns immer geschätzt. Und als dann im Herbst 2021 zwei meiner Assistenten bei einem Zusammenzug verhindert waren, habe ich Arno angefragt, ob er helfen könne. Er hatte Lust. Und seither ist er immer dabei, was mich sehr freut. Er sagt zwar immer, dass er es sich offenlasse, ob er wirklich dabei ist. Aber ich weiss genau, dass ich auf ihn zählen kann. Ich bin sicher, dass er auch nächste Saison dabei ist. Er hat bei uns die Rolle von so etwas wie einem Mentalcoach. Ich verstehe, dass er in der Schweiz viel Aufmerksamkeit erhält. Die hat er sich auch verdient. Aber meine österreichischen Assistenztrainer sind genau so wichtig, das möchte ich hier einmal herausstreichen.
SLAPSHOT: Sie waren in der Schweiz unter anderem auch Assistent von Vladimir Jursinov. Von wem haben Sie am meisten mitgenommen?
Bader: Wissen Sie, ich habe einen sehr breiten und weiten Horizont. Es gibt auch Fussballtrainer, die mich inspiriert haben. Arrigo Sacchi zum Beispiel. Und jetzt Ralf Rangnick, mit dem ich mich in Wien austausche. Ich habe viele Ideen, ich bin ein Innovator. Ganz sicher nicht 08/15. Meine Vision ist es, dass meine Teams nicht reagieren, sondern agieren. Und mutig vorwärts spielen. Diese Handschrift kann man bei Österreich sehr deutlich erkennen.
SLAPSHOT: Es heisst, dass Jursinov Sie vor 20 Jahren als sein Nachfolger portiert hat.
Bader: Das stimmt, aber es ist dann leider anders gekommen. Jursinov gab mir viel Verantwortung, ich hielt beispielsweise vor den Spielen jeweils die Ansprachen in der Kabine. Aber dann starteten wir 2004 schlecht. Und wurden beide entlassen.
SLAPSHOT: Sie wechselten stattdessen in den Nachwuchs von Gottéron. Es fällt auf, dass Sie sich nicht zu schade dafür waren, bei den Junioren oder im Amateurbereich zu coachen. Beim Erstligisten Uzwil wirkten Sie mehr als zehn Jahre lang.
Bader: Ich bin bis heute der Meinung, dass man eine gewisse Basis braucht. Jahre, in denen man lernt, das schadet keinem. Auf meine erste Ära in Uzwil bin ich sehr stolz. Der Klub war fast bankrott, wir mussten Transfererlöse erwirtschaften – und taten das dann auch. Mathias Seger verkauften wir nach Rapperswil und auch sonst brachten wir viele Spieler raus: Die Brüder Moggi, Emanuel Peter, Thomas Walser. Es sassen stets Scouts auf der Tribüne, weil wir bekannt dafür waren, spannende Spieler im Kader zu haben, wir galten als «Davos der 1. Liga». Inzwischen ist die Situation völlig anders. Die besten Junioren wechseln viel früher zu den Grossklubs. Das ist der Lauf der Zeit.
SLAPSHOT: Gerade haben Sie ihren Vertrag in Österreich bis 2025 mit einer Option auf eine weitere Saison verlängert. Ist Nationaltrainer Österreichs Ihr letzter Job?
Bader: Ich bin mit meiner Aufgabe sehr glücklich und spüre eine grosse Wertschätzung. Ich sehe mich nicht nach anderen Jobs um. Aber es würde mich schon reizen, irgendwann eine Chance in der National League zu erhalten. Als Trainer oder Sportchef. Wie gesagt: Ich kann das.
SLAPSHOT: Hat es in den letzten Jahren keine Anfragen gegeben?
Bader: Nicht wirklich. Vielleicht hat man mich ein bisschen vergessen. Aber das kann sich ja ändern.
Über Roger Bader
Roger Bader wurde am 29. September 1964 in Winterthur geboren. Er stürmte für Winterthur und absolvierte daneben ein Studium zum Maschinenbauingenieur, ehe er ins Trainermetier einstieg. Bader coachte in Uzwil, beim Zürcher SC, in Luzern, in Kloten, bei Gottéron und auch Nachwuchsauswahlen von Swiss Ice Hockey. Seit 2014 arbeitet er für den österreichischen Verband, seit 2017 ist er Nationaltrainer. Sein 26-jähriger Sohn Thierry stürmt für den SC Bern – und gehörte in Prag zum Schweizer WM-Kader, blieb aber ohne Einsatz.