Ralph Krueger: «Die nächsten Tränen fliessen hoffentlich für Gold»

Nicola Berger
Nicola Berger

Im SLAPSHOT-Interview spricht Ralph Krueger, ehemaliger Schweizer Nationaltrainer, über seine Wahlheimat Davos, Avancen des ZSC und die Lektionen des Lebens.

Ralph Krueger Schweizer Nationaltrainer
Dreizehn Jahre lang war Ralph Krueger Schweizer Nationaltrainer. Er prägte unser Hockey nachhaltig und war der Wegbereiter für die Erfolge von der Gegenwart. - IMAGO / Bildbyran

Ein Mittwoch im Juni in Davos. Bei Postkartenwetter empfängt Ralph Krueger zum Gespräch. Seit der Entlassung in Buffalo ist es ruhiger um den Globetrotter geworden, auch Interviews gibt er nur noch selten.

Was betrüblich ist, denn auch aus der Halbdistanz aktuell ohne Job im Eishockey hat Krueger reichlich Geschichten und Weisheiten auf Lager.

SLAPSHOT: Ralph Krueger, wir treffen Sie in Ihrer Wahlheimat Davos. Was fasziniert Sie eigentlich an diesem Ort?

Ralph Krueger: Es ist die perfekte Umgebung für den Lebensabschnitt, in dem ich mich befinde. Ich war im Winter an 45 Tagen auf den Ski. Und jetzt geniesse ich mit meiner Frau Glenda und den vier Grosskindern die Natur im Sommer.

Ralph Krueger Slapshot
Davos ist die perfekte Umgebung für Ralph Krueger. - Marcel Bieri

Wir gehen viel laufen und aufs Mountainbike. Mein Lieblingsort ist die Zugerschlucht, kurz nach Monstein. Welch betörende Schönheit! Eigentlich könnte man Eintritt verlangen für diesen wundervollen Ort.

SLAPSHOT: Dabei sind Ihre ersten Erinnerungen an Davos wenig erfreulich.

Krueger: Ja, ich spielte mit Düsseldorf 1979 am Spengler Cup. Ich erlitt eine Gehirnerschütterung, brach später im Teamhotel zusammen und erlitt dabei einen Schädelbruch.

Ich hatte noch einen Puls von 25, landete im Koma, und als ich aufwachte sahen mich die Ärzte mit einem Blick an, der signalisierte: Eigentlich solltest du gar nicht mehr hier sein. Aber irgendwie hat Davos mich danach nie mehr losgelassen.

SLAPSHOT: Ihr Vater war Arzt, Ihre Mutter Theaterschauspielerin. Welche Erinnerungen haben Sie an Ihre Eltern?

Krueger: Sie waren sehr prägend für mich. Sie brachen einst von Hamburg auf nach Kanada, um dort ein neues Leben zu beginnen. Und hatten nichts dabei ausser ein paar Koffern.

Mein Vater war im zweiten Weltkrieg als Arzt an der Front dabei. Und meine Mutter war eine Frau mit grossem Herzen, die nie ein schlechtes Wort über andere verlor.

SLAPSHOT: Ihr Positivismus als Nationaltrainer hatte etwas Unerschütterliches. War das auch das Vermächtnis der Mutter?

Krueger: Das kann sein. Ich versuche jedenfalls nicht zu urteilen. Wir sind alle die Produkte dessen, was wir erlebt haben, das sollte man nicht vergessen.

Und ich bin auch der Überzeugung, dass das Leben zu kurz ist, um sich über Dinge zu ärgern, die man ohnehin nicht beeinflussen kann.

SLAPSHOT: Ihre Mutter starb 1987 nach langer Krankheit.

Krueger: Ihr Tod war das einschneidendste Erlebnis meines Lebens. Es war das erste Mal, dass ich mit dem Tod konfrontiert wurde. Und es dauerte, bis ich das verarbeiten konnte.

Bis dahin war mein Leben perfekt gewesen, sorglos. Aber jetzt brauchte ich Ablenkung und fand diese glücklicherweise im Eishockey.

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Bis zum Tod seiner Mutter sei sein Leben perfekt gewesen, sagt Ralph Krueger im Interview. - Marcel Bieri

Ich stand meiner Mutter sehr nahe. Sie hatte mir erzählt, wie sie die Nächte im Bunker verbrachte, während oben die Bomben fielen. Sie war kulturell sehr interessiert. Von ihr habe ich meine Leidenschaft für Theater und Poesie.

SLAPSHOT: Stimmt es, dass Sie sich bei Ihrer ersten Nationalligaversammlung nach der Ernennung zum Nationaltrainer mit einem Gedicht vorgestellt haben?

Krueger: Ja, das war so. Die dachten alle, ich sei verrückt (lacht). Ich habe in jungen Jahren viele Gedichte auswendig gelernt und bei Wettbewerben vorgetragen, meine Mutter wollte das so.

«The Death of The Hired Man» von Robert Frost dauerte ungefähr 23 Minuten (beginnt es vorzutragen). Das hat mir in meiner Arbeit als Trainer später sehr geholfen: Frei sprechen zu können. Denn wer auf Notizen schauen muss, verliert seine Zuhörer.

Als Nationaltrainer habe ich in der Schweiz mit dem Auto bis zu 50'000 Kilometer pro Jahr zurückgelegt. Wahrscheinlich sollte ich das wegen der Polizei nicht öffentlich sagen, aber ich klebte Zettel auf mein Lenkrad und prägte mir so meine Reden ein.

SLAPSHOT: Ist die Arbeit eines Trainers mit jener eines Schauspielers vergleichbar?

Krueger: Auf jeden Fall. Das Leben ist eine grosse Bühne. Es geht immer um Menschen und Geschichten. Ich bediene mich gerne Metaphern. Sie haben das Potenzial, Leben zu verändern.

SLAPSHOT: Ist Ihnen Psychologie wichtiger als Taktik?

Krueger: Das ist etwas zugespitzt formuliert. Aber nicht falsch. Ich würde sagen, dass ich punkto Taktik und Spielsystem ein solider Trainer bin.

Doch meine grosse Stärke ist es, eine Kultur zu schaffen, in der in einem solidarischen Kollektiv jeder Einzelne über sich herauswachsen kann. Das geht nur über die Psychologie.

SLAPSHOT: Seit Sie nach den Olympischen Spielen 2010 als Nationaltrainer zurücktraten, haben Sie im Schweizer Eishockey nie mehr ein Amt bekleidet, obwohl Sie hier wohnhaft geblieben sind und längst die Staatsbürgerschaft angenommen haben. Wieso nutzt niemand ihr Knowhow?

Krueger: Ich war lange weg. Edmonton, Buffalo. Und die sechs Jahre beim FC Southampton. Aber es stimmt schon, eigentlich ist das schade.

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Von 2014 bis zum Ende der Saison 2018/2019 war Ralph Krueger Vorstandsvorsitzender beim englischen Premier League-Klub FC Southampton. - IMAGO / Shutterstock

Ich hoffe, dass sich noch etwas ergibt. Ich muss nicht mehr an der Front stehen. Sondern stelle mein Wissen lieber im Hintergrund zur Verfügung.

SLAPSHOT: Wie kommt es eigentlich, dass Sie nie ein Klubteam in der Schweiz gecoacht haben?

Krueger: Ich war 1997 nahe dran. Walter Frey und Peter Spuhler wollten mich aus Feldkirch zum ZSC holen. Es war das Jahr der Fusion, ich wäre der erste Coach in der Geschichte der ZSC Lions geworden.

Aber ich habe mich dann für die Schweizer Nationalmannschaft entschieden. Und danach gab es zwar immer wieder Angebote aus der National League, auch letzte Saison noch. Aber mein Fokus lag lange eher auf Nordamerika.

SLAPSHOT: 2010 wurden Sie «Associate Head Coach» bei den Edmonton Oilers.

Krueger: Dazu muss ich eine Geschichte erzählen. Nach dem Abschied aus der Schweiz hatte ich zwei Optionen: Edmonton. Und einen lukrativen Mehrjahresvertrag bei Lokomotiv Jaroslawl.

Jenes KHL-Team, bei dem 2011 44 Menschen bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kamen. Ich hörte davon in Edmonton in der Kabine und spürte, wie meine Knie weich wurden. Was, wenn ich das Angebot angenommen hätte?

SLAPSHOT: Stattdessen stiegen Sie bei den Oilers nach zwei Jahren zum Chef auf. Später coachten Sie zwei Jahre lang die Buffalo Sabres. Was bleibt aus den NHL-Jahren?

Krueger: Es war ein Privileg, Spieler wie Jack Eichel, Ryan Nugent-Hopkins oder Sam Reinhart coachen zu dürfen.

Ich habe das sehr genossen. Ich hätte mir gewünscht, dass wir mehr Zeit zusammen haben. Aber die NHL ist ein knallhartes Business, man hat dort wenig Geduld.

Es war spannend, hinter diesen Vorhang blicken zu können. Und ohne meine Zeit als Nationaltrainer wäre das nicht möglich gewesen. Die Fortschritte der Schweiz wurde international sehr aufmerksam verfolgt.

SLAPSHOT: Wird man Sie noch einmal als Trainer sehen?

Krueger: Kaum. Ich teile mein Leben in Dekaden ein. Und jetzt ist die Zeit gekommen, in der meine Frau entscheidet, was wir tun. Sie hat so lange Rücksicht auf meine Karriere genommen, dass sie das jetzt verdient hat.

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Von 1998 bis 2010 Ralph Krueger Cheftrainer der Schweizer Nationalmannschaft. Im Anschluss bis 2013 zunächst Assistentcoach und später Headcoach beim NHL-Klub Edmonton Oilers. - IMAGO

Ich bin jetzt in einem Alter, in dem die Lebenszeit kostbarer wird. Man überlegt sich genauer, wofür man seine Zeit einsetzt. Und ich möchte so viel wie möglich davon mit meiner Familie verbringen.

SLAPSHOT: Mit «Teamlife» schrieben Sie 2002 einen Bestseller, der sich über 100'000 Mal verkaufte und Sie zu einem sehr gefragten Referenten machte. Wann kommt die Fortsetzung?

Krueger: Es ist schon möglich, dass ich noch einmal ein Buch schreibe.

SLAPSHOT: Ihr Sohn Justin führt in Murten inzwischen ein Hotel. Haben Sie ihm Tipps gegeben? Immerhin waren Sie einst Mitinhaber eines Hotels in Texas…

Krueger: Ach, die braucht er nicht. Justin wird in der Schweiz in der Gastronomie noch sehr schöne Dinge realisieren, er hat das im Blut. Aber es stimmt, nach dem Ende meiner Spielerkarriere war ich in Texas Mitbesitzer eines «Ramada Inn».

Es lag direkt an der Autobahn, die Zimmer kosteten 40 Dollar pro Nacht. Ich verbrachte ein paar Monate dort und arbeitete überall mit, auch bei den Zimmermädchen.

Es war eine interessante Erfahrung. Aber Texas war nichts für uns. Da kam das Angebot von Feldkirch gerade recht.

SLAPSHOT: Mit Feldkirch waren Sie Serienmeister. Und Sie sind auch heute noch in Österreich aktiv: 2024 unterstützten Sie die Fussballnationalmannschaft als eine Art Mentaltrainer. Und seit 2023 sind Sie Aufsichtsratsvorsitzender bei Austria Wien.

Krueger: Der österreichische Nationalcoach Ralf Rangnick ist ein Freund von mir, da helfe ich selbstverständlich gerne.

Und bei der Austria geht es darum, einem Traditionsverein wieder Strukturen zu geben. Das hat mich gereizt.

SLAPSHOT: 2028 wird der World Cup of Hockey zurückkehren. Sie coachten 2016 das «Team Europe» mit Spielern aus acht verschiedenen Nationen sensationell in den Final…

Krueger: Ja, aber ich habe den Jungs schon damals gesagt: «Leute, wir waren zu gut, es wird dieses Team nie wieder geben» (lacht). Das hat richtig Spass gemacht, es war eines der seltenen «Best on best»-Turniere mit allen Stars.

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Im Jahr 2016 coachte Ralph Krueger beim World Cup of Hockey das «Team Europe» mit Spielern aus acht Nationen. - Marcel Bieri

Geblieben ist mir der Sieg gegen Tschechien in der Verlängerung. Leon Draisaitl war damals noch nicht der Superstar von heute, sondern der jüngste Spieler in unserer Mannschaft. Ich habe ihn bei einem Bully in der Defensivzone aufs Eis gestellt und wurde dafür auf unserer Bank schon schief angeschaut.

Aber Draisaitl schnappte sich den Puck und schoss den Siegtreffer. Ich hoffe, dass ich 2028 wieder dabei sein kann – in welcher Rolle auch immer. Denn der Sport hält mich jung. Ich mag zwar weniger Haare haben und bald 66 werden. Aber geistig fühle ich mich jung.

SLAPSHOT: 2026 steht für die Schweiz die Heim-WM an. Sie haben 1998 und 2009 zwei Turniere im eigenen Land erlebt, 2009 sprachen Sie von einem «Heimnachteil»…

Krueger: Das war eine etwas unglückliche Formulierung. Aber eine Heim-WM ist eine sehr heikle Geschichte. Die Erwartungen sind gewaltig, es gibt viel mehr Verpflichtungen als sonst.

Der mentale Aspekt ist noch wichtiger als ohnehin schon. Man muss es schaffen, das alles auszublenden, was nicht so einfach ist. 1998 schafften wir das, 2009 nicht. Uns fehlte die Leichtigkeit, wir verpassten die Viertelfinals.

Wir unterlagen Lettland trotz einem massiven Chancenplus. So ist der Sport manchmal. Patrick Fischer wird bestimmt einen Weg finden, ich habe grössten Respekt vor ihm. Wir reden regelmässig miteinander.

Auch nach der WM haben wir uns ausgetauscht, auf dem Flüelapass, die drei Stunden vergingen wie im Flug.

SLAPSHOT: Die Schweiz hat zum vierten Mal seit 2013 Silber gewonnen. Der amerikanische Siegtorschütze Tage Thompson war einer Ihrer Schützlinge bei Buffalo.

Krueger: Tage hat einen Handgelenkschuss, der nicht von dieser Welt ist. Er ist so verdammt schnell und präzise. Als ich sah, dass er aus dieser Position zum Abschluss kommt, dachte ich mir: Oh, oh, das ist ein Problem.

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Spiele der Eishockey-WM 2026 will sich Ralph Krueger auch im Stadion anschauen. - Marcel Bieri

Und das war es dann leider auch. Es ist schade, dass es nicht zu Gold gereicht hat. Aber wir dürfen sehr stolz darauf sein, wie weit wir es schon gebracht haben. Am Spengler Cup 1979 haben wir mit Düsseldorf gegen die Schweiz gespielt.

Und 13:6 gewonnen. 13:6! Und heute gehört die Schweiz zur Weltspitze, das ist phänomenal. Bei der Silbermedaille von 2013 habe ich auf der Tribüne vor Freude geweint. Die nächsten Tränen fliessen hoffentlich für Gold.

SLAPSHOT: Wird man Sie an der WM 2026 im Stadion antreffen?

Krueger: Auf jeden Fall! Die WM ist eine grosse Chance für unser Eishockey. Ich hoffe, dass es eine grosse Party wird, bei der wir uns im besten Licht präsentieren können.

Es würde mich freuen, wenn nicht nur die Schweizer Spiele ausverkauft sind. Gerade in Dänemark hat es mich verwundert, wie wenig Leute im Stadion waren.

SLAPSHOT: Generell scheint das Eishockey Probleme zu haben, ausserhalb der arrivierten Länder zu wachsen.

Krueger: Das fällt mir auch auf. Die Schwelle ist halt schon nicht zu unterschätzen. Es ist nicht wie im Fussball, wo ein Ball genügt.

Man braucht Eis, Equipment und muss die Regeln halbwegs verstehen. Wir müssen uns etwas einfallen lassen, wie wir diesen wundervollen Sport mehr Menschen zugänglich machen können.

Über Ralph Krueger

Geburtsdatum: 31.08.1959 in Winnipeg. Staatsbürgerschaft: Kanada, Deutschland und seit 2019 Schweiz.

Stationen als Spieler: Duisburg, Krefeld, Düsseldorf, Iserlohn, Riessersee, Schwenningen. Stationen als Trainer: Buffalo Sabres, Team Europe, Edmonton Oilers, Schweizer Nationalmannschaft, Feldkirch, Duisburg.

Stationen als Funktionär: Austria Wien (Aufsichtsratsvorsitzender), FC Southampton (Chairman).

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