Guido Lindemann: «Der EHC Arosa ist immer noch ein Riesen-Hit»

Nicola Berger
Nicola Berger

Der EHC Arosa ist in die Swiss League aufgestiegen. Wie denkt die Arosa-Legende Guido Lindemann darüber? Ein Besuch im Kraftort in den Bündner Bergen.

Guido Lindemann SLAPSHOT
Wie denkt die Legende Guido Lindemann, Arosas Liga-Topskorer von 1981, über den Aufstieg des EHC Arosa in die Swiss League? - Tomm Gadient

An einem milden Samstag Ende September hastet Guido Lindemann die wenigen Schritte von seinem Garni zur Heimstätte des EHC Arosa. Er stellt sich an der Stadionkasse in die Warteschlange und kauft sich ein Ticket für die Partie gegen den HC Thurgau.

Man traut seinen Augen kaum: Einer der legendärsten Spieler, die der EHC Arosa je in seinen Reihen hatte, muss hier Eintritt entrichten?

Und drinnen, im Sport- und Kongresszentrum, wird das Erstaunen noch ein bisschen grösser: Vergeblich sucht man nach Lindemanns Trikot unter dem Hallendach. Gewiss, den Klub mögen drängendere Sorgen umtreiben, aber es ist schon verblüffend, dass die Ehrerbietung auch 27 Jahre nach seinem letzten Spiel für den EHC nicht geschehen ist.

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Guido Lindemann ist Ehrenmitglied bei EHC Arosa, spielte von 1970 bis 1986 für den Verein. - Tomm Gadient

Lindemann sagt: «Ich bin eigentlich Ehrenmitglied, habe aber vergessen, wie ich das Ticket aufs Handy laden kann. Da habe ich halt ein Ticket gekauft. Ich habe fünf Franken Seniorenrabatt erhalten, das passt schon.»

Es ist ein Pragmatismus, den auch der Klub lebt. Jetzt, nach der Rückkehr ins bezahlte Hockey nach 39 Jahren. Das Geld ist so knapp, das manche Spieler weniger als 1000 Franken im Monat verdienen – ohne Kost und Logis; schon die Miete kostet mehr.

Im lokalen Gewerbe können (beziehungsweise: müssen) sich die Akteure ein Zubrot verdienen. Auch Lindemann beschäftigt Arosa-Spieler, sie arbeiten in seiner «Overtime Bar» als Servicekräfte. Dort empfängt der joviale Gastgeber SLAPSHOT auch zum Gespräch.

SLAPSHOT: Guido Lindemann, als wir unsere Interviewanfrage platzierten, sagten Sie, der Tag spiele keine Rolle, Sie seien sowieso immer da.

Guido Lindemann: So ist es auch. Unser Betrieb ist an 364 Tagen im Jahr geöffnet. Also immer, ausser an unserem Ski-Tag. Aber wenn Sie nicht grad dann kommen, bin ich da.

SLAPSHOT: Sie arbeiten 364 Tage im Jahr?

Lindemann: Gut, letztes Jahr waren wir eine Woche im Tessin. Aber sonst arbeite ich immer, ja.

SLAPSHOT: Sie sind 70 Jahre alt. Warum tun Sie das?

Lindemann: Es gibt halt immer etwas zu tun. Wir wollten das Garni und die Bar eigentlich verkaufen, aber jetzt haben sich die Pläne geändert: Mein Sohn Sven übernimmt im Frühling 2026. Da werden meine Frau Margrit und ich bestimmt wieder mehr Ferien machen können.

Und ich muss auch sagen, dass es jetzt weniger streng ist als dann, als wir noch unser Transportunternehmen hatten und beide jeweils mit den Lastwagen unterwegs waren. Da war ich manchmal schon müde.

SLAPSHOT: Wir wundern uns auch deshalb, weil Sie einst dafür bekannt waren, nach dem Saisonende sofort für vier Monate zu verreisen. In Südafrika spielten Sie sogar Eishockey.

Lindemann: Das Sommertraining war eher nichts für mich (lacht). Ich wollte spielen, spielen, spielen. Es stimmt, bis 1982 sind wir im Sommer jeweils lange verreist. Einmal haben wir den VW-Bus nach Amerika verschifft und sind quer durchs Land gefahren.

In Südafrika spielte ich 1975 und 1976 in Johannesburg für die «Swiss Bears». Uns wurde das Flugticket bezahlt, und pro Spiel gab es 70 oder 80 Franken. Es gab alle zwei bis drei Wochen ein paar Spiele, und dazwischen hatten wir genug Zeit, um herumzureisen.

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Guido und Markus Lindemann im Nati-Trikot. - SLAPSHOT Archiv

Unter anderem gingen wir in den Krüger-Nationalpark, das war gewaltig. Einmal wurde uns die Ausrüstung geklaut, weil wir nach dem Spiel direkt in den Ausgang gingen.

Ich frage mich bis heute, wer den Dieben wohl diese Beute abgekauft hat. Wer hat in Südafrika Bedarf für eine Hockey-Ausrüstung?

SLAPSHOT: Neben Ihren sommerlichen Reisen waren Sie auch mit Arosa unterwegs. Ab Ende der 1970er-Jahre bestritt der EHC regelmässig ein Turnier in Ostberlin.

Lindemann: Den Checkpoint Charlie zu sehen, das war schon eindrücklich. Wir spielten gegen Dynamo Berlin, Weisswasser und ZSKA Moskau. Wjatscheslaw Fetisov war so kräftig, er hätte mich mit seinem Stock in die Höhe heben können.

Daneben schauten wir der Eiskunstläuferin Katharina Witt beim Training zu. Im Gepäck hatten wir Kugelschreiber und Kaugummis, die bei den Russen sehr beliebt waren.

Es gab damals einen schwungvollen Handel unter den Spielern. Übrigens auch bei den Gastspielen der Russen in Arosa.

SLAPSHOT: Russische Teams spielten in Arosa?

Lindemann: Ja, in den 70ern war es Usus, dass die Finalisten des Spengler Cup in Arosa ein inoffizielles Revanchespiel bestritten.

Arosa Meistermannschaft
Die Meister-Mannschaft 1982 des EHC Arosa. - SLAPSHOT Archiv

Und danach versuchten die Spieler hinter der offenen Eisbahn mit dem Verkauf von mitgebrachten Bleikristallen ein paar Franken dazuzuverdienen. Ich habe bestimmt auch noch ein paar bei mir Zuhause…

SLAPSHOT: Haben Ihre Trainer in der Schweiz Ihre sommerlichen Absenzen einfach so akzeptiert?

Lindemann: Ach wissen Sie, durch die Reisen habe ich viel weniger Alkohol getrunken. Also war ich eigentlich fitter. Und ich habe auch immer wieder mal was gemacht. Bin joggen gegangen oder so.

Na ja, gut, vielleicht schon nicht allzu regelmässig. Aber Kraft war eben nicht alles. Die fehlte mir, dafür hatte ich die Wendigkeit.

Und wir wollen schon nicht vergessen, dass bis heute die Ausländer in unseren Ligen auch erst Ende Juli anreisen. So aussergewöhnlich war das also nicht.

SLAPSHOT: Wie verstanden Sie sich mit dem für seine Tiraden berüchtigten Arosa-Coach Lasse Lilja?

Lindemann: Ich mochte ihn. Er war hart, aber ich brauchte das.

SLAPSHOT: Reden Sie nicht nur deshalb positiv über ihn, weil Sie damals noch keine Bar besassen, die Lilja hätte demolieren können?

Lindemann: Ich weiss nicht, wie oft er das gemacht hat. Aber ich war wirklich auch kein Kind von Traurigkeit. Auf dem Eis habe ich immer mal wieder die Nerven verloren und mich später dafür geschämt.

SLAPSHOT: Wofür?

Lindemann: Einmal blutete ich nach einem Foul aus der Nase, der Schiedsrichter sprach aber keine Strafe aus. Da bin ich zu ihm hin und habe das Blut an seinem Trikot abgestrichen.

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1972 – Stürmerpaar mit Zukunft: Guido und Markus Lindemann. - SLAPSHOT Archiv

Wenig intelligent war auch, als der Bieler Verteidiger Daniel Poulin mir nach einem Spiel den Handshake verweigerte, weil er so sauer auf mich war. Da habe ich ihm direkt die Faust gegeben, der hat die Welt nicht mehr verstanden.

Wie gesagt: Auf dem Eis war ich ein Verrückter. Und ein schlechter Verlierer. Das bin ich auch heute noch.

SLAPSHOT: Die teaminternen Kartenspiele beim EHC sollen legendär gewesen sein.

Lindemann: Wir haben «geschanfiggerlet». Bei den Einsätzen verloren wir schon ab und zu das Augenmass – man wollte ja immer mitgehen und nicht als Feigling dastehen. Einer verlor auf diese Weise mal sein Auto.

SLAPSHOT: Den EHC Arosa verliessen Sie erst ein Jahr nach dem Rückzug aus der Nationalliga A. Dabei hätten Sie im Unterland deutlich mehr verdienen können.

Lindemann: Ja, ein Vielfaches. Aber ich hatte nie einen Grund, Arosa zu verlassen. Wir hatten Spass, Erfolg, die Sonne und den Schnee. Was will man denn mehr? Wobei ich gestehen muss, dass ich einmal tatsächlich schwach geworden wäre.

EHC Arosa
Die Mannschaft der Saison 1985/86. Arosa’s letzte Saison in der Nationalliga A. - SLAPSHOT Archiv

Jürg Ochsner wollte mich unbedingt nach Kloten holen. Ich hatte eigentlich schon zugesagt, aber mein Bruder wollte nicht. Und dann dachte ich: Ach, was soll ich alleine in Kloten? Und bin geblieben.

SLAPSHOT: Sie waren am Skifahren, als Sie erfuhren, dass der Präsident Peter Bossert sich für einen freiwilligen Abstieg entschieden hat.

Lindemann: Ja, ich konnte es kaum glauben. Es hat uns allen grauenhaft weh getan. Wir versuchten in den Tagen danach alles, damit es doch noch weitergehen kann. Im Raum stand, dass alle für die Hälfte des Geldes spielen. Aber wir mussten einsehen, dass es nicht geht.

SLAPSHOT: Für die Nationalmannschaft bestritten Sie nur drei Weltmeisterschaften. Wie kommt das?

Lindemann: Ich hätte 1983 noch einmal mit an die B-WM nach Tokio reisen können. Aber ich war schon 1977 dort, fühlte mich nach der Saison zu müde und fand, sie sollen doch einen Jüngeren mitnehmen. Mir war die Nati weniger wichtig als anderen.

SLAPSHOT: Warum verschlug es Ihre Familie ursprünglich nach Arosa?

Lindemann: Mein Vater war Torhüter beim FC Brunnen, aber meine Mutter war Hebamme und wurde 1948 nach Arosa geschickt. Es gefiel meinen Eltern so gut, dass sie geblieben sind.

SLAPSHOT: Die Preise in Ihrem Garni liegen deutlich unter jenen der Konkurrenz. Interessiert Sie Geld einfach nicht?

Lindemann: Mir ist wichtiger, dass es für alle passt.

SLAPSHOT: Sie wechselten 1987 zu Ambrì. Warum?

Lindemann: Ich dachte: Das passt, von Dorfklub zu Dorfklub. Es war das erste Mal, dass ich Profi war. In Arosa hatte ich jeweils in einem 70 bis 80-Prozent-Pensum in meinem erlernten Beruf als Maurer gearbeitet.

Das war streng, hat mir aber gut getan. Ich bin nicht der Typ, der gerne herumliegt. In Ambrì kam ich allerdings schön auf die Welt.

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Guido Lindemann wurde 1980 und 1982 Schweizer Meister, spielte für Rheintal, Chur, Ambri-Piotta und Arosa. - Tomm Gadient

Die Trainings unter Roland von Mentlen waren so hart, dass ich nach einer Woche aufgeben wollte. Ich habe mich dann aus Trotz durchgebissen.

SLAPSHOT: 1990 schlossen Sie sich dem Rivalen Chur an. Nahm man Ihnen das im Dorf übel?

Lindemann: Vielleicht. Einige Leute wahrscheinlich schon, ich weiss es aber nicht.

SLAPSHOT: Sie spielten weiter bis Sie 42 waren. Aber nicht für Arosa, sondern für Rheintal. Warum?

Lindemann: Arosa wollte sich verjüngen. Das ist ja legitim. Aber es hat mich schon geärgert. Da bin ich halt zu Rheintal gewechselt.

Und habe mir gegen Arosa immer besonders Mühe gegeben. Wir trainierten drei Mal in der Woche.

Heute kann ich es ja sagen, aber ich habe bei meinen Fahrten nach Widnau und zurück damals Rekordzeiten aufgestellt.

SLAPSHOT: Auf diese Saison hin ist der EHC Arosa nach 39 Jahren ins bezahlte Hockey zurückgekehrt. Was bedeutet Ihnen das?

Lindemann: Es freut mich sehr, das ist eine schöne Sache. Ich bin mit dem EHC selbstverständlich immer noch verbunden.

Ich bin Ehrenmitglied und wir treten als Helmsponsor auf. Daneben engagieren wir Spieler für den Service in der Bar, weil die Löhne aus dem Hockey nicht reichen, um den Lebensunterhalt zu bestreiten.

SLAPSHOT: Arosa bewegte sich lange im Amateurhockey. Es gibt heute keinen einzigen einheimischen Spieler im Kader. Wieso braucht es den Klub im Profihockey?

Lindemann: Weil der EHC Arosa immer noch ein Riesenhit ist (lacht). Es ist auch für den Ort gut, für die Aufmerksamkeit. Arosa ist wieder in aller Munde.

SLAPSHOT: Wieso sind Sie nie Arosa-Trainer geworden?

Lindemann: Das ist nichts für mich. Ich habe es mal als Piccolo-Coach versucht, musste aber schnell einsehen, dass das nicht meine Welt ist.

SLAPSHOT: Vor viereinhalb Jahren hatten Sie einen schweren Unfall, als Sie vom Dach fielen. Waren Sie seither noch einmal auf dem Eis?

Lindemann: Nein. Aber ich hoffe, dass ich es in diesem Winter schaffe. Es juckt mich schon.

SLAPSHOT: Welche Träume möchten Sie noch verwirklichen?

Lindemann: Ich wünsche mir, dass es meinen Enkeln gut läuft. Dass Colin sich in Zug durchsetzt und einen Stammplatz erkämpft.

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Bis heute besucht Guido Lindemann gern die Spiele des EHC Arosa. - Tomm Gadient

Dass Kevin bei Thurgau Erfolg hat. Ich schaue alle ihre Spiele. Nach diesem Interview spielt Kevin mit Thurgau in Arosa. Da bin ich natürlich im Stadion.

Und werde aber hin und wieder aufs Handy schielen, wo der Stream von Colins Spiel läuft.

SLAPSHOT: Hören die beiden auf Ihre Tipps?

Lindemann: Es kommt schon vor, dass ich mich am nächsten Tag per SMS melde und sage: Hier wäre diese oder jene Entscheidung besser gewesen. Meistens kommt zurück: «Danke Neni, ich weiss es ja eigentlich.»

Über Guido Lindemann

Geburtsdatum: 19. Januar 1955. Familie: Verheiratet mit Margrit. Bruder: Markus (Meisterschütze 1982, dazu Meister 1980). Kinder: Sven (1034 NL-Spiele für Kloten, Zug, Langnau sowie Rapperswil) und Kim (433 NL-Spiele für die ZSC Lions, Rapperswil, Gottéron und Langnau, von 2019 bis zum Karriereende 2022 beim EHC Arosa).

Enkel: Colin (20, EV Zug) und Kevin (23, HC Thurgau). Grösste Erfolge: Liga-Topskorer 1981 und 1982. Schweizer Meister 1980 und 1982 Klubs als Spieler: Rheintal, Chur, Ambri-Piotta, Arosa.

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