SC Bern Frauen: Sinja Leemann – Ein Schritt aus der Komfortzone

Andy Maschek
Andy Maschek

Nati-Stürmerin Sinja Leemann (23) gewann mit den ZSC Lions dreimal den Meistertitel und einmal den Cup und hat nun nach Bern gewechselt.

Sinja Leemann SLAPSHOT
Nati-Stürmerin Sinja Leemann ist der Königstransfer von Meister SC Bern Frauen. - Terence du Fresne

SLAPSHOT: Nach vier Jahren bei den ZSC Lions sind Sie nun beim SCB. Was sind Ihre ersten Eindrücke?

Sinja Leemann: Es gefällt mir sehr gut! Ich wollte mal etwas Neues und habe etwas gefunden, das mich sicher weiterbringen wird. Ich verlasse die Komfortzone.

SLAPSHOT: Vom vorherigen Serienmeister zum aktuellen Champion: Welche Rolle spielte die Tatsache, dass es den Lions letzte Saison nicht wunschgemäss gelaufen ist?

Leemann: Ich habe mir immer wieder mal Gedanken über einen Wechsel gemacht, denn ich bin der Typ, der gerne etwas Neues sieht und erlebt. Zudem habe ich mir im Hinblick auf Olympia vorgenommen, mich mehr aufs Hockey zu konzentrieren und weniger zu arbeiten.

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Sinja Leemann (r.) stand vier Jahre bei den ZSC Lions unter Vertrag. - PostFinance/Keystone/Manuel Geisser

Ich hatte das Gefühl, in meinem Leben etwas umstellen zu müssen, um vorwärts zu kommen. In Zürich wurde extrem viel gut gemacht, aber irgendwann befand ich mich im Hamsterrad und kam meiner Meinung nach nicht mehr weiter.

Vielleicht war die Tatsache, dass bei uns die letzte Saison nicht wunschgemäss verlaufen war, ein zusätzlicher Faktor für meinen Entscheid.

SLAPSHOT: Wie schwer ist Ihnen der Wechsel gefallen?

Leemann: Es war ein extrem schwieriger Entscheid. Ich wollte die Lions wegen dieser einen Saison nicht im Stich lassen, gleichzeitig hatte ich das Ziel, mich zu entwickeln. Der SCB hat mir dann viele passende Punkte aufgezeigt, wie ich sportlich weiterkommen kann.

SLAPSHOT: Das heisst?

Leemann: Am Mittwoch haben wir beispielsweise für all jene, denen es möglich ist, ein zusätzliches Office-Training und später dann auch noch auf dem Eis. Diese Möglichkeit fand ich für die Olympiasaison extrem wichtig.

SLAPSHOT: Das war also ein Entscheid für die Entwicklung und den SCB und nicht gegen die ZSC Lions?

Leemann: Ich hatte sehr lange zu kämpfen und schob meinen Entscheid lange heraus, da ich zuerst die Saison mit den ZSC Lions beenden wollte.

Sinja Leemann
Sinja Leemann, hier im Trikot der ZSC Lions, wird als beste Schweizer Stümerin der Liga angesehen. - KEYSTONE/Walter Bieri

Nach unserem Ausscheiden hatte ich die Zeit, um mir Gedanken zu machen und kam zum Schluss, dass der SCB am besten zu mir passt.

Rückblickend bin ich sehr froh, dass ich im Guten mit den Lions auseinandergehen konnte und sie mich unterstützten, da es für mich persönlich der richtige Schritt ist.

SLAPSHOT: Weshalb fiel Ihre Wahl nicht aufs Ausland?

Leemann: Das war auch ein Thema, es gab Gedanken an einen Wechsel beispielsweise nach Schweden. Aber ich hatte das Gefühl, dass der Transfer zum SCB der erste Schritt aus der Komfortzone ist.

Ich lebte zuvor immer daheim, es passte mit dem Arbeitgeber und dem Hockey, und das ist nun der Anfang. Ich schnuppere diese neue Luft und schaue, wie es ist. Aber wer weiss, vielleicht ist in ein paar Jahren das Ausland doch noch ein Thema.

SLAPSHOT: Wie haben Sie sich eingelebt?

Leemann: Sehr gut! Im Sommer war ich meist noch zuhause, habe in Winterthur beim Zone for Performance trainiert und konnte so in meiner Physis einen grossen Schritt vorwärts machen.

Beim SCB hatten wir vielfach Freitag/Samstag Training, so dass ich am Wochenende hier war.

Mittlerweile bin ich richtig in Bern, wobei ich nach dem letzten Spiel der Woche heimgehe, Montag und Dienstag für die Rapperswil-Jona Lakers im Büro und den Rest der Woche im Homeoffice arbeite. Es passt alles.

SLAPSHOT: Man sagt, Sie seien die beste Schweizer Stürmerin in der Liga. Das sorgt für Erwartungen und auch einen gewissen Druck…

Leemann: Natürlich besteht ein gewisser Druck, aber vielleicht hilft mir das, noch mehr aus mir herauszukommen, mehr machen zu müssen.

Sinja Leemann
Ron Schneider übergibt Top Scorerin Sinja Leemann (ZSC Lions) den Check für die meisten Scorerpunkte, bei der PostFinance Top Scorer Ehrung am 3. März 2025. - PostFinance/KEYSTONE/Peter Klaunzer

Wir haben in Bern extrem viele gute Spielerinnen, und es ist äusserst wertvoll, mich mit ihnen in jedem Training duellieren zu können. Druck ist ab und zu nicht schlecht. Es wird mich sicher anspornen, noch mehr zu machen, um diesen Erwartungen gerecht zu werden.

SLAPSHOT: Nun spielen Sie mit Estelle Duvin in einem Team, der Liga-Topskorerin. Wie erleben Sie die Französin?

Leemann: Mein erster Eindruck ist sehr gut, sie ist mega cool. Es hilft uns beiden, dass wir uns duellieren können, dies aber auf einer sehr freundschaftlichen Ebene.

SLAPSHOT: Mit Ihnen beiden im selben Team müssen sich die Gegnerinnen verdammt warm anziehen…

Leemann: Ich hoffe es!

SLAPSHOT: Was erwarten Sie von der kommenden Meisterschaft?

Leemann: Ich denke, alle Teams haben aufgerüstet, extrem gute Ausländerinnen verpflichtet. Ich hoffe, dass es uns gelingt, die Attraktivität zu steigern und mehr Leute zu einem Stadionbesuch zu animieren.

Dass man die Spiele sehen will, weil sie interessant und spannend sind. Ich bin auch gespannt, welchen Impact es hat, dass Checks erlaubt sind.

SLAPSHOT: Haben Sie Respekt davor, dass das Körperspiel ein solches Thema wird?

Leemann: Einen gewissen Respekt hat man wohl immer. Aber ich denke, dass es uns helfen wird, schnellere Entscheidungen zu treffen und so das Spiel schneller zu machen.

Wir haben bereits mit Körperkontakt gespielt, einfach in einer etwas anderen Form, und ich denke, dass es im Endeffekt vor allem eine Gewöhnungssache ist.

Sinja Leemann SLAPSHOT
Sinja Leemann (l.) energisch im Kampf um den Puck. - PostFinance/Keystone/Manuel Geisser

Gerade zu Saisonbeginn muss man sich wohl noch etwas reinfinden. Aber für alle, die mit den Jungs gespielt haben, ist es nicht neu.

SLAPSHOT: Vor nicht langer Zeit haben Sie in einem Interview gesagt, dass Sie beim SCB so professionell unterwegs sein werden wie noch nie in Ihrer Karriere. Was heisst das genau?

Leemann: Bis anhin habe ich bei den Lakers immer in einem 100-Prozent-Pensum gearbeitet. Weil wir in Zürich erst spät am Abend trainierten, ging das gut auf.

Nun war es mein Ziel, es mir so professionell wie möglich einzurichten. Ich wollte weniger arbeiten, habe auf rund 60 Prozent reduziert.

Am Montag bin ich jeweils den ganzen Tag im Büro, am Dienstag bis am Nachmittag und in der restlichen Zeit kann ich meine Belastung Steuern, im Homeoffice arbeiten, während ich in Bern gleichzeitig die Möglichkeit habe, beispielsweise am Mittwoch zu trainieren.

Wenn ich noch mehr möchte, wäre das möglich, ebenso habe ich einen Batch, um ins Fitness zu gehen, wenn ich will. Das Mindset ist so darauf ausgerichtet, noch mehr zu machen und auch die Zeit für die Regeneration zu haben.

SLAPSHOT: wohnen Sie immer noch im Zürcher Oberland?

Leemann: Grundsätzlich lebe ich weiterhin daheim, aber in Bern bin ich in einer WG zusammen mit Stefanie Wetli und Maija Otamo.

SLAPSHOT: Ist es nicht der Traum, mal Vollprofi sein zu können?

Leemann: Es wäre sicher ein Traum, das mal zu erleben, doch im Moment sind wir noch weit davon entfernt.

SLAPSHOT: Hat die Fussball-EM der Frauen aber eine zusätzliche Lust geweckt?

Leemann: Definitiv! Es ist mega, was da auf die Beine gestellt wurde. Es war auch ein Weckruf für den Frauensport allgemein, auch für all jene, die sagen, dass das sowieso niemand schaue.

Sinja Leemann
Sinja Leemann will sich mit Blick auf Olympia 2026 mehr auf Eishockey konzentrieren. - PostFinance/Keystone/Manuel Geisser

Diese EM hat sehr viele Leute interessiert, und ich denke, dass der ganze Event in Zukunft vielen Sportarten hilft.

SLAPSHOT: Es steht ein Olympia-Winter an – ist die Vorfreude da besonders gross?

Leemann: Auf jeden Fall! Davon habe ich schon als kleines Mädchen geträumt. Und nun wird es hoffentlich anders als vor vier Jahren, als es wegen Corona speziell war und Einschränkungen gab. Diesen Event zu erleben, ist ein grosses Lebensziel.

SLAPSHOT: Und das Ziel ist wohl auch, nicht mit leeren Händen heimzukommen…

Leemann: Sie sagen es, eine Medaille zu gewinnen, wäre natürlich wunderschön!

SLAPSHOT: Ihr Vertrag in Bern läuft ein Jahr – und dann?

Leemann: Ich habe mir gesagt, das ich jetzt ein Jahr lang so durchzuziehe. Mal schauen, wie mir dieses neue Leben gefällt, denn ich bin sehr heimatverbunden und so war der Wechsel nach Bern ein grosser Schritt.

Während der Saison werde ich dann schauen, in welche Richtung es gehen könnte. Was ich aber jetzt schon sagen kann: Auch Bern ist eine sehr schöne Stadt.

Über Sinja Leemann

Geboren: 19. April 2002. Grösse: 168 cm. Stock: links. Bei den SC Bern Frauen seit: 2025. Vertrag: bis 2026.

Bisherige Klubs: ZSC Lions Frauen, Hockey Team Thurgau Indien Ladies, SC Rapperswil-Jona Lakers, SC Weinfelden Ladies. Bisherige Erfolge: dreimal Schweizer Meisterin sowie einmal Cup-Siegerin mit den ZSC Lions Frauen

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